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Ein "Kindersoldat" vor Obamas Tribunal

Der USA-Präsident wollte Guantanamo schließen, nun beginnt dort der erste Prozess seiner Amtszeit

Von Olaf Standke *

Eigentlich wollte USA-Präsident Barack Obama alles anders machen und Bushs berüchtigtes Gefangenenlager Guantanamo schon im Januar schließen. Doch nun begann dort der erste Prozess während seiner Amtszeit. Fast zeitgleich wurde mit dem früheren Koch von Osama bin Laden erstmals unter seiner Ägide auch ein Guantanamo-Insasse verurteilt.

Er war kaum 15, als er in Afghanistan festgenommen wurde. Ein Kindersoldat im großen »Terrorkrieg«, glaubt man den Washingtoner Behörden. Er soll 2002 einen US-amerikanischen Sanitätssoldaten während eines Gefechts am Hindukusch mit einer Handgranate getötet zu haben. Acht Jahre wurde Omar Khadr in Guantanamo Bay festgehalten. Er sei geschlagen, gefoltert und gedemütigt worden, so seine Anklage. Trotzdem dürfen seine Geständnisse verwendet werden, wie ein Militärrichter am Montag entschied. »Schändlich« nannte das sein Anwalt Denis Edney.

Gestern sollte nun der Prozess gegen den gebürtigen Kanadier in dem kleinen Gerichtssaal an der Südspitze des Gefangenenlagers beginnen, der erste gegen einen Terrorverdächtigen während der Amtszeit von Präsident Obama. Auch deshalb findet der Fall weltweite Aufmerksamkeit. Hatte doch kaum noch jemand nach dem Machtwechsel im Weißen Haus mit einem solchen Prozess gerechnet. Schließlich zählte das Aus für das international scharf kritisierte Gefangenenlager auf dem 117 Quadratkilometer großen USA-Militärstützpunkt in Kuba zu den wichtigsten Wahlkampfversprechen von Obama. Nicht nur, dass das Sondergefängnis den Steuerzahler in den USA nach einer Pentagon-Studie bisher über zwei Milliarden Dollar gekostet hat, es ist vor allem auch Symbol einer verheerenden Politik der Supermacht unter Bush. Eine der ersten Amtshandlungen Obamas im Januar 2009 war so die Anordnung zur Schließung innerhalb eines Jahres.

Zwar hat der neue Präsident die Zahl der Häftlinge inzwischen auf unter 200 verringert, doch scheint das Ende von Guantanamo auch heute in weiter Ferne zu liegen. Die Bereitschaft im eigenen Land, die Insassen aufzunehmen oder Ort für Zivilprozesse zu sein, ist so gering wie die im Ausland, frei gelassene Gefangene zu übernehmen. Auch Deutschland tue sich da sehr schwer, wie Amnesty International kritisiert. In den USA fürchten die regierenden Demokraten, das Thema könnte bei den Zwischenwahlen zum Kongress im November Stimmen kosten, sprechen sich doch in landesweiten Umfragen inzwischen 60 Prozent gegen eine Schließung aus. Die »New York Times« jedenfalls geht nicht mehr davon aus, dass sich die Tore in Guantanamo noch vor Ende der Amtszeit Obamas 2013 endgültig schließen werden.

Der Prozess jetzt gegen Omar Khadr wird von US-amerikanischen Bürgerrechtlern scharf beobachtet. Sie haben das Gefängnis in Bushs juristischem Niemandsland für sogenannte feindliche Kämpfer immer wieder als menschenrechtswidrig verurteilt; nicht zuletzt, weil dort Geständnisse von Verdächtigen unter Folter zustande gekommen sind. Zudem müsse geklärt werden, ob es überhaupt völkerrechtlich statthaft sei, einen Kindersoldaten abzuurteilen, betont Juraprofessor Eugene Fidell von der Universität Yale.

Wird Khadr für schuldig befunden, droht ihm eine lebenslange Haft. »Ein Kindersoldat für immer im Gefängnis, das wäre ein Skandal«, meinen nicht nur seine Anwälte. Zumal es in diesem Fall eindeutige Beweise gebe, »dass Omar Khadr die Handgranate nicht geworfen hat«, so Oberstleutnant Jon Jackson. Sollte er freigesprochen werden, ist seine Zukunft allerdings ungewiss. Sein Heimatland Kanada weigerte sich bislang, ein Auslieferungsgesuch zu stellen.

Jackson griff auch Präsident Obama scharf an, weil der sich entschlossen habe, das nächste traurige Kapitel im erbärmlichen Buch der von Bush eingeführten Militärtribunale zu schreiben. Mit dem früheren Koch von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden wird jetzt erstmals in seiner Amtszeit ein Guantanamo-Häftling verurteilt. Im Gegenzug für sein Schuldgeständnis wurde ihm eine Haftdauer zugesichert, die aber geheim bleiben soll, wie die »Washington Post« berichtete. So viel zu der von Obama verkündeten Reform der Sondergerichte. »Jeder Militärprozess in Guantanamo kostet Obama einen politischen Preis«, ist sich der Rechtsexperte Benjamin Wittes vom Washingtoner Brookings-Institut sicher. Guantanamo ist längst sein Gefängnis.

* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2010


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