Höchste Sicherheit zwischen Melonen
Thomson soll Guantanamo-Häftlinge aufnehmen
Von John Dyer, Boston *
Zwar sei die Entscheidung noch nicht endgültig, doch werden viele Häftlinge aus dem weltweit
kritisierten Guantanamo-Lager vermutlich in ein Gefängnis im US-Bundesstaat Illinois verlegt. Nach
Abschluss der notwendigen Sicherheitsverstärkungen sollten die Gefangenen zum Ende des
Winters in die Haftanstalt Thomson gebracht werden, wie die »Washington Post« am Sonntag
berichtete.
Thomson nennt sich stolz Melonen-Hauptstadt von Amerika. Rund um den Ort im Bundesstaat
Illinois, etwa 150 Meilen westlich von Chicago, reifen jedes Jahr unzählige riesengroße
Wassermelonen. Sogar auf dem Wasserturm der nur 600 Einwohner zählenden Gemeinde prangt
eine große rote Wassermelone. Bald schon allerdings könnte die kleine Farmerstadt im Mittleren
Westen der USA für etwas anderes stehen. Denn dorthin sollen noch im Lager von Guantanamo
inhaftierte mutmaßliche Terroristen verlegt werden. Und das, so hofft Präsident Barack Obama,
schon im Frühjahr 2010.
Die Landgemeinde steht an erster Stelle auf der Liste jener Orte, in denen sie untergebracht werden
könnten. Denn hier gibt es ein Hochsicherheitsgefängnis, das allerdings nicht fertiggestellt wurde
und deshalb im Moment nur mit einigen wenigen nicht gefährlichen Häftlingen belegt ist. Voll
ausgebaut, verfügt es über 1600 besonders sichere Zellen. In Guantanamo gibt es noch etwa 215
Häftlinge, laut Pentagon-Chef Robert Gates wollen die USA 116 Gefangene ins Ausland bringen.
Während des Wahlkampfes und bei seinem Amtsantritt hatte Obama angekündigt, das Lager bis
spätestens zum Jahrestag seiner Vereidigung am 22. Januar zu schließen. Vor kurzem musste der
Präsident allerdings eingestehen, dass dieser Termin nicht zu halten sei. Guantanamo werde jedoch
2010 geschlossen.
In der Kleinstadt Thomson sprechen die einen von »Glück«, die anderen sind entsetzt über die
Pläne, jene Guantanamo-Häftlinge hierher zu verlegen, die nicht ins Ausland abgeschoben werden
können. In der Stadt wird heftig debattiert. Ein Teil der Bürger befürchtet, ins Fadenkreuz von Al
Qaida zu geraten. »Das macht uns zur Nummer eins auf der Zielliste der Terroristen«, jammert etwa
Shirley Dipple. Die 64-Jährige, die bei Gerrys Polsterei arbeitet, hat einfach Angst. »Was glauben
Sie, wie man sich da fühlt?« Andere sehen das pragmatischer und hoffen auf viele neue
Arbeitsplätze durch die Fertigstellung und das Betreiben des Hochsicherheitsgefängnisses.
Jerry Hebeler ist Gemeindevorsteher und denkt deshalb mehr an die Chancen für den Ort im
Mittleren Westen, wo es außer dem Melonenanbau bisher keine Erwerbsmöglichkeiten gegeben hat.
Der Bezirk Carrol County, zu dem Thomson gehört, hat mit 10,5 Prozent eine leicht höhere
Arbeitslosigkeit als der USA-Durchschnitt. Das neue Gefängnis soll 3000 Arbeitsplätze bringen. Die
Hälfte würde man mit Ortskräften besetzen. Und die Gemeinde könnte auf rund eine Milliarde Dollar
Einnahmen in den nächsten vier Jahren hoffen. Das jedenfalls hat das Weiße Haus ausgerechnet.
»Ich weiß, dass das Wort Terroristen eine Menge Leute erschreckt. Das ging mir auch so«, sagte
Hebeler. »Aber es würde unserer Wirtschaft helfen. Wir müssen den Menschen Hoffnung geben. Wir
müssen ihnen die Chance geben, mit ihren Familien hier bleiben zu können. All das würden wir
damit auf einen Schlag erreichen«, meint Hebeler zur geplanten Sicherheitsstrafanstalt.
Auch die Abgeordneten aus Illinois sind geteilter Meinung. Der republikanische Abgeordnete für
Thomson, Donald Manzullo, hat den Vorschlag kritisiert. Er will die Terrorverdächtigen in
Guantanamo belassen. Gegenargumente, dass das Camp dort verfassungswidrig sei, weil die
Insassen ohne Zugang zur Justiz festgehalten werden, weist er zurück. »Das sind wirklich, wirklich
bösartige Leute, deren Ziel es ist, Menschen zu töten, angetrieben von einer grausamen Religion«,
sagte Manzullo im örtlichen Rundfunk. Der demokratische Abgeordnete Bruce Baley aus dem
Nachbarbezirk Spring Lake glaubt dagegen, dass Manzullo übertreibt. »Die Zeit der Angstmacherei
ist vorbei«, erklärt er. »Ich habe die ganze Woche über den Leuten in meinem Wahlbezirk zugehört.
Und sie haben mir überzeugend erklärt, sie wollen, dass diese Jobs hierher kommen.«
* Aus: Neues Deutschland, 8. Dezember 2009
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