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"Die Sünden der USA"

Warum US-Bürger zur Zielscheibe der Terroristen wurden. Von Robert Bowman*

Im Folgenden dokumentieren wir einen Brief des US-amerikanischen Erzbischofs Robert Bowman an Präsident Bush. Abgedruckt ist er in einer deutschen Übersetzung in der kritischen Monatszeitschrift "Publik Forum".


Herr Präsident, bitte sagen Sie dem Volk die Wahrheit über den Terrorismus. Wenn die falschen Vorstellungen über den Terrorismus nicht ausgeräumt werden, wird die Bedrohung fortdauern und uns am Ende komplett vernichten.

Die Wahrheit ist, dass keine von unseren tausenden Atomwaffen uns vor dieser Gefahr beschützen kann. Auch Systeme wie Krieg der Sterne egal wie fortgeschritten sie sind und wie viele Milliarden Dollar für sie hinausgeschmissen werden werden uns nicht vor einer Atomwaffe schützen können, die mit einem Schiff, einem Flugzeug, in einem Koffer oder einem Mietauto hierher transportiert wird. Keine Waffe Ihres umfangreichen Arsenals und kein Cent der 270 Milliarden Dollar, die jedes Jahr in den so genannten Verteidigungshaushalt fließen, kann eine terroristische Bombe verhindern. Das ist eine militärische Tatsache.

Herr Präsident, Sie haben dem amerikanischen Volk nicht die Wahrheit gesagt, als Sie erklärten, Afghanistan und der Sudan müssten bombar- diert werden. Sie sagten, wir seien Zielscheibe des Terrorismus, weil wir die Demokratie, die Freiheit und die Menschenrechte in der Welt verteidigen. Was für eine Absurdität. Wir sind Zielscheibe des Terrorismus, weil unsere Regierung in weiten Teilen der Welt Diktatur, Sklaverei und menschliche Ausbeutung verteidigt. Wir sind Zielscheibe der Terroristen, weil wir gehasst werden.

In wie vielen Ländern haben Agenten unserer Regierung demokratisch gewählte Repräsentanten beseitigt und sie durch Militärdiktatoren ersetzt willfährige Marionetten, die bereit sind, ihr Volk an die multinationalen Konzerne zu verkaufen? Wir haben dies im Iran getan, als die Marines und die CIA Mossadegh absetzten, weil er die Absicht hatte, die Erdölversorgung zu verstaatlichen. Wir ersetzten ihn durch den Schah Reza Palehvi, bewaffneten, trainierten und bezahlten seine gehasste Nationalgarde Savak. Diese versklavte und terrorisierte das iranische Volk, um die Finanzinteressen unserer Mineralölkonzerne zu schützen. Ist es nach all dem schwer sich vorzustellen, dass es im Iran Menschen gibt, die uns hassen? Das Gleiche haben wir in Chile und in Vietnam getan. Und es ist nicht allzu lange her, dass wir es im Irak versucht haben.

Ist es nicht offensichtlich, wie viele Male wir es in Nicaragua und anderen lateinamerikanischen Republiken getan haben? Nach und nach haben wir die demokratischen Regierungen ersetzt, welche die Reich- tümer des Landes unter ihrem Volk aufteilen wollten, das sie schuf. Wir haben sie gegen blutrünstige Tyrannen ausgetauscht, die ihr eigenes Volk verkaufen, um ihre Privatkonten zu vergrößern. Das erreichten wir durch Bezahlung üppiger Bestechungsgelder, bis die Reichtümer dieser Länder von Konzernen wie Sugar, United Fruits Company oder Folger ausgebeutet werden konnten.

In einem Land nach dem anderen hat unsere Regierung die Demokratie durch die Diktatur ersetzt. Und deshalb werden wir auf der ganzen Welt gehasst. Und deshalb sind wir Zielscheibe der Terroristen. Das kanadische Volk genießt Demokratie, Freiheit und Menschenrechte ebenso wie das norwegische oder schwedische. Haben Sie jemals davon gehört, dass die Botschaften dieser Länder bombardiert wurden? Wir werden nicht gehasst, weil wir die Demokratie, Freiheit und Menschen- rechte praktizieren. Wir werden gehasst, weil unsere Regierung den Ländern der Dritten Welt diese Prinzipien verweigert, da ihre Ressourcen unseren multinationalen Konzernen Appetit machen. Dieser Hass, den wir gesät haben, wendet sich nun gegen uns in Form des Terrorismus und in Zukunft möglicherweise auch in Form des nuklearen Terrorismus.

Sobald wir aber einmal die Wahrheit über die Existenz seiner Bedrohung und seine Voraussetzungen gesagt haben, wird auch die die Lösung des Problems offensichtlich: Wir müssen unsere Praxis ändern. Wir müssen uns unserer Waffen entledigen (unilateral, wenn notwendig), was unsere Sicherheit verbessern wird. Ein drastischer Wechsel in unserer Außen- politik wird ebenfalls der Sicherheit dienen. Anstatt unsere Söhne und Töchter durch die ganze Welt zu schicken, anstatt Araber zu töten, damit wir das Erdöl unter ihren Wüsten ausbeuten können, sollten wir sie dorthin schicken, um deren Infrastrukturen aufzubauen, sie mit Trinkwasser zu versorgen und die ausgehungerten Kinder zu ernähren. Anstatt tagtäglich tausende irakische Kinder mit unseren Wirtschafts- sanktionen zu töten, sollten wir den Irakern helfen, ihre Elektrizi- tätswerke und Wasseraufbereitungsanlagen, ihre Krankenhäuser und alle anderen Strukturen wieder aufzubauen, die wir zerstört haben. Statt Rebellion, Destabilisierung und Mord zu unterstützen, sollten wir die CIA auflösen und das dafür verschwendete Geld Hilfsorganisationen zukommen lassen.

Zusammenfassend heißt das: Wir sollten gut sein statt böse sein. Wer würde uns dann hassen? Wer wollte uns dann bombardieren? Dies ist die Wahrheit, Herr Präsident. Und es ist nötig, dass das amerikanische Volk sie hört.

Der Autor ist Erzbischof der Vereinigten Katholischen Kirche in Melbourne Beach, Florida. Er war Armee Oberst und flog im Vietnamkrieg über 100 Einsätze. Veröffentlicht in "Publik-Forum", 2003. Übersetzung: Sebastian Pflugbeil.


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