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Obama will die Kopfjagd fortsetzen

Pakistan fürchtet, dass die selbstherrliche Kommandoaktion der USA Schule macht

Von Detlef D. Pries *

Ermutigt durch den Erfolg der »Operation Geronimo« gegen Osama bin Laden in Abbottabad – und von wachsender Zustimmung in den USA –, sieht sich Barack Obama zu weiterer Kopfjagd auf Terrorverdächtige in Pakistan berechtigt. Und die pakistanische Regierung scheint mit den USA in einen Wettbewerb um die wichtigsten Trophäen treten zu wollen.

Barack Obama behalte sich das Recht vor, auch künftig gegen Terroristen vorzugehen, die sich in Pakistan aufhalten, verkündete sein Sprecher Jay Carney am Mittwoch (Ortszeit). Schon im Wahlkampf 2008 hatte Obama als Präsidentschaftskandidat angekündigt, er werde gegen Osama bin Laden oder andere Führer des Terrornetzwerks auch in Pakistan vorgehen, wenn die dortige Regierung »unfähig oder nicht willens« sei zu handeln. Durch mehr als 100 Angriffe unbemannter US-amerikanischer Drohnen kamen seit Obamas Amtsantritt in Pakistan bereits über 670 Menschen ums Leben. Oft genug trafen die Angriffe Unschuldige.

Dagegen setzte sich Salman Ba-shir, Staatssekretär im pakistanischen Außenamt, am Donnerstag abermals gegen Behauptungen zur Wehr, der pakistanische Geheimdienst ISI habe Bin Laden jahrelang gedeckt. Dieser »falsche Vorwurf« könne durch nichts belegt werden. Die Regierung in Islamabad sieht sich ungeachtet dessen genötigt, ihre Verbundenheit mit den USA im »Krieg gegen den Terror« unter Beweis zu stellen. Nach Medienberichten will sie nun ihrerseits den ebenfalls in Pakistan vermuteten obersten afghanischen Taliban Mullah Mohammad Omar und den mutmaßlichen Bin-Laden-Stellvertreter Eiman al-Sawahiri fassen. Die Zeitung »The News« kündigte jedenfalls unter Berufung auf Sicherheitskreise eine »massive Suchaktion« vor allem in der westpakistanischen Stadt Quetta und den Stammesgebieten an der pakistanisch-afghanischen Grenze an. »Ziel ist es, Mullah Omar oder den ägyptischen Arzt Eiman al-Sawahiri so schnell wie möglich zu ergreifen, sollten sie sich in Pakistan versteckt halten«, schrieb die Zeitung.

Tatsächlich fürchtet Islamabad wohl vor allem um die US-amerikanische Finanzhilfe. Nicht ohne Grund. 18 Milliarden Dollar – in erster Linie für das Militär – haben die USA in den vergangenen zehn Jahren nach Pakistan überwiesen. Nun aber forderte die Kongressabgeordnete Kay Granger in einem Brief an Außenministerin Hillary Clinton sogar, ein 200-Millionen-Dollar-Hilfsprogramm für Opfer der verheerenden letztjährigen Überschwemmungen in Pakistan einzufrieren.

Und noch einen Grund hat Islamabad, weiteren Verletzungen seiner Souveränität zuvorzukommen: Das USA-Beispiel könnte Schule machen. Hohe indische Militärs haben bereits den Gedanken laut werden lassen, auch sie könnten derlei Tötungskommandos gegen Extremisten in Pakistan aussenden. Staatssekretär Bashir warnte für diesen Fall vor einer »Katastrophe«.

In den USA hat Präsident Obama mit seinem Einsatzbefehl derweil erheblich Boden gutgemacht. Einer Umfrage der »New York Times« und des Fernsehsenders CBS zufolge loben neuerdings 72 Prozent der US-Amerikaner den Chef des Weißen Hauses für seine Entschlossenheit in Sachen Terrorbekämpfung. Vor der Tötung des Erzfeinds waren es lediglich 51 Prozent. Ungeachtet dessen fürchten mehr als 60 Prozent der US-Amerikaner, dass die Terrorgefahr nun gewachsen ist. Die große Mehrheit fühlt sich nach dem Tod Bin Ladens keinesfalls sicherer.

Ganz ohne Bedenken ist auch Obama nicht: Um nicht zu weiterer Gewalt anzustacheln, verweigert er die Veröffentlichung von Fotos des getöteten Al-Qaida-Chefs. Die »sehr drastischen« Bilder könnten von dessen Anhängern als Propagandawerkzeug benutzt werden, sagte der Präsident gegenüber CBS. Am Donnerstag legte Obama im Gedenken an die Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001 am Ground Zero in New York einen Kranz nieder.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2011


Die Folterfrage

Von Olaf Standke **

Eine symbolträchtige Geste, die weitere Punkte bringen dürfte: Wenige Tage nach der Tötung von Osama bin Laden wollte sich Barack Obama am Donnerstagabend am Ground Zero in New York mit Angehörigen der Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 treffen. Meinungsumfragen zeigen, dass der USA-Präsident mit der Liquidierung des Staatsfeindes Nr. 1 in der Gunst seiner Landsleute kräftig zugelegt hat. Selbst auf Feldern, die nichts mit der Terrorbekämpfung zu tun haben, erhält der demoskopisch zuletzt arg abgestürzte Ex-Hoffnungsträger auf einmal bessere Noten. Allerdings ist die Freude im Weißen Haus nicht ungetrübt.

Nicht nur, dass Leute wie der oberste Verschwörungstheoretiker des Landes, Moderator Glenn Beck, vielsagend fragen, ob die Kommandoaktion nicht nur Show im Dienste eben dieser Umfragenwerte gewesen sei. Oder dass die Regierung bei wichtigen Punkten des Ablaufs in peinlicher Art zurückrudern und etwa zugeben musste, dass Bin Laden doch nicht bewaffnet war. Zwar stellt kaum jemand in den USA die Rechtmäßigkeit seiner Hinrichtung in Frage, doch durch die Hintertür rutscht Obama auf einmal erneut in eine Folterdebatte, die er längst beendet glaubte. Denn Republikaner möchten den Erfolg nur allzu gern der harten Hand der Bush-Regierungen zuschreiben: Erst die von ihm gebilligten »harschen Verhörmethoden« hätten überhaupt auf Bin Ladens Spur geführt. Obama scheut dieses Feld, denn hier hat er schon genug Probleme mit den eigenen Anhängern, nachdem er sein großes Wahlversprechen Guantanamo-Schließung bisher nicht erfüllte. Und ohne Mobilisierung der linksliberalen Basis dürfte der Wiedereinzug ins Weiße Haus kaum möglich sein.

** Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2011 (Kommentar)

Gefangengenommen und erschossen

Osama bin Laden wurde bei dem Sturmangriff von US-Spezialeinheiten auf sein Haus in Pakistan lebend gefangengenommen und erst später erschossen. Das erklärte der chinesischen Tageszeitung People’s Daily zufolge die zwölfjährige Tochter des am Montag getöteten Al-Qaida-Chefs. Das Mädchen habe gesehen, wie ihr Vater hingerichtet und der Leichnam dann in einen Hubschrauber gebracht wurde, so das Blatt.

Auch pakistanische Offiziere widersprechen der offiziellen Darstellung der US-Behörden über den Verlauf der Militäraktion. »Nicht eine einzige Kugel wurde von dem Gelände aus auf die US-Kräfte abgefeuert«, sagte ein ungenannt bleibender Armeesprecher dem Fernsehsender Al-Arabiya. Dem von Dubai aus arbeitenden Kanal zufolge wurden die überlebenden Angehörigen bin Ladens, darunter eine seiner Ehefrauen und sechs Kinder, in das Krankenhaus von Rawalpindi gebracht. Insgesamt sollen sich zum Zeitpunkt des Überfalls 17 oder 18 Menschen in dem stark gesicherten Gebäude aufgehalten haben.

Pakistan hat den USA unterdessen am Donnerstag (5. Mai) mit verheerenden Konsequenzen gedroht, sollten sie einen weiteren nichtautorisierten Angriff auf Terrorverdächtige durchführen. Die pakistanischen Streitkräfte und die Regierung waren im eigenen Land heftig dafür kritisiert worden, daß sie die Verletzung ihres Hoheitsgebiets durch die Nordamerikaner duldeten. Außenminister Salman Bashir sagte deshalb am Donnerstag vor Journalisten: »Die pakistanischen Sicherheitskräfte sind weder inkompetent noch nachlässig in ihrer heiligen Pflicht, Pakistan zu beschützen.« Die Streitkräfte hätten zwei F-16 Kampfflugzeuge entsandt, als sie bemerkten, daß Hubschrauber über die Stadt Abbottabad flogen, sagte er. Offenbar seien die Flieger aber zu spät eingetroffen. Auf die Frage, ob die Operation illegal gewesen sei, antwortete Bashir: »Das müssen Historiker entscheiden.«
(dapd/Xinhua/jW) Quelle: junge Welt, 6. Mai 2011



Teeren und Federn

Von Uwe Kalbe ***

Die Bundeskanzlerin hat jetzt ein Problem. Als Christin hätte sie nicht sagen dürfen, dass sie sich freute über den Tod Osama Bin Ladens. Und als Kanzlerin? Der US-Präsident hat ein Problem. Er hätte konsequent bei der Version bleiben sollen, dass Osama im Kampf oder wenigstens nach einem Kampf getötet wurde. Denn das weiß jeder Freund des Western: Geschossen wird nicht auf den wehrlosen, sondern nur auf den bewaffneten Bösewicht. Sonst ist es Mord.

Moralisieren als Politikersatz. Merkels Kritiker räumen ein, auch sie seien erleichtert. Erleichterung ist angemessen, Freude nicht? So groß sind die Unterschiede bei der Bewertung eines Vorgangs, der selbst nicht in Frage gestellt wird. »Tötungen« Mord zu nennen, fordert jenes Recht, mit dem der Westen gern eine moralische Überlegenheit begründet – in den USA zumindest ohne Richterurteil, in jedem Fall auch an Bösewichten.

Eine Überdosis Western hat sich mittlerweile in der Exekutive des Westens eingenistet. Auch die Sicherungsverwahrung in Deutschland gehörte in dieses Filmfach. Zu viel Empathie für Schwerverbrecher wurde gern den Kritikern unterstellt. Selbst wenn Karlsruhe (erneut) anders entschieden und sie weiter geduldet hätte, ging es doch um eine Zusatzstrafe für bereits Verurteilte. Zum Schutz vor vermeintlichen Schwerverbrechern sollte man nicht vom wilden Westen lernen wollen – oder gleich Teer und Federn verteilen.

*** Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2011 (Kommentar)


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