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Bin Laden erschossen und versenkt

US-Kommandoeinheit tötete Al-Qaida-Führer in Pakistan / CNN: Festnahme des Terroristenchefs war nicht vorgesehen *

Fast zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September in den USA sei der Terroristenführer Osama bin Laden in Pakistan von US-Spezialkräften getötet worden. Das gab US-Präsident Barack Obama bekannt.

»Heute Abend kann ich den Amerikanern und der Welt sagen, dass die USA einen Einsatz ausgeführt haben, bei dem Osama bin Laden, der Chef von Al Qaida, ein Terrorist, der für den Tod Tausender unschuldiger Menschen verantwortlich ist, getötet wurde«, sagte Präsident Obama am Sonntagabend (1. Mai) in einer Ansprache an die Nation. »Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan.«

Schauplatz der offenbar gezielten Tötung des Al-Qaida-Führers durch ein Spezialkommando war ein abgeschirmtes Anwesen in Abbottabad, rund 50 Kilometer nördlich von Islamabad. Laut Informationen des US-Senders CNN sollte Bin Laden bei dem Angriff getötet werden. Eine Festnahme sei nicht das Ziel gewesen, hieß es. Es habe sich um eine »Kill Mission« gehandelt, berichtete der Sender am Montag unter Berufung auf offizielle Quellen. Das US-Kommando habe die Leiche des durch einen Kopfschuss Getöteten im Hubschrauber ausgeflogen und im Meer »bestattet«, hieß es. Bei dem Schusswechsel in Abbottabad starben offiziellen US-Regierungsangaben zufolge drei weitere Männer und eine Frau.

Der EU-Koordinator für die Terrorbekämpfung, Gilles de Kerchove, glaubt hingegen nicht an eine gezielte Tötung. »Die Absicht war, ihn lebend gefangen zu nehmen«, sagte De Kerchove am Montag vor Journalisten in Brüssel. »Wenn man entschieden hätte, ihn einfach nur umzubringen, dann hätte man auch einen Angriff mit einer Drohne führen können.«

Eine Erbgut-Analyse hat laut CNN eindeutig bestätigt, dass der Tote Osama bin Laden ist. Eine DNA-Probe war mit Erbgut von Verwandten abgeglichen worden.

Die USA machen Bin Laden für die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA verantwortlich, bei denen fast 3000 Menschen getötet wurden. Auf die Ergreifung oder Tötung des Gründers und Anführers des Terrornetzwerkes Al Qaida waren 50 Millionen Dollar ausgesetzt. In Washington und New York feierten Tausende den Tod Bin Ladens.

Die internationale Polizeiorganisation Interpol rief derweil zu besonderer Wachsamkeit auf. »Den meistgesuchten Terroristen der Welt gibt es nicht mehr, aber der Tod Bin Ladens bedeutet nicht das Verschwinden der Organisationen, die Al Qaida angegliedert oder davon inspiriert sind«, erklärte Interpolchef Ronald Noble.

Die Taliban in Pakistan drohten als Reaktion auf die Tötung Bin Ladens mit Anschlägen in Pakistan und den USA. Kurz darauf kamen bei einem Anschlag nahe einer Polizeiwache im Nordwesten des Landes vier Menschen ums Leben.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai rief die Taliban in seinem Land auf, ihre Waffen niederzulegen und den Kampf gegen seine von Washington unterstützte Regierung zu beenden. Bin Laden habe für seine Taten bezahlt.

Die Erschießung Bin Ladens ist nach Auffassung des Vatikans kein Grund für Freudenfeiern. Vielmehr sei zu hoffen, dass der Tod des Al-Qaida-Chefs mehr Frieden als Hass bringen werde, sagte Vatikansprecher Federico Lombardi am Montag in Rom. »Ein Christ sollte niemals den Tod eines Menschen begrüßen«, so Lombardi.

Die Sicherheitslage in Deutschland hat sich mit der Tötung von Bin Laden nach Einschätzung von Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht verändert. Es sei weiterhin nötig, wachsam zu sein, sagte sie am Montag in Berlin. Die Gefahr durch den internationalen Terrorismus sei noch lange nicht gebannt. Das Auswärtige Amt in Berlin rief zu erhöhter Vorsicht bei Reisen ins Ausland auf. Es sei nicht auszuschließen, dass »westliche Einrichtungen und Staatsangehörige von gewaltsamen Reaktionen betroffen sein könnten«, warnte das Ministerium.

Linksparteichef Klaus Ernst nannte die Tötung Bin Ladens im ZDF einen »moralischen Sieg«. Am Rande einer Vorstandssitzung seiner Partei in Berlin äußerte er »Verständnis für die Freude in den USA, auch wenn rechtsstaatliche Verfahren Vorrang haben sollten« vor Kommandounternehmen. Der Westen handle glaubwürdiger, wenn er im Rahmen des Völkerrechts agiere. Man solle sich zudem keinen Illusionen hingeben – die Tötung Bin Ladens sei »kein Sieg über den Terrorismus«. Ernst bekräftigte die Forderung der LINKEN nach einem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

Die Todesnachricht hat die Börsenindizes am Montag weltweit befeuert. Der Deutsche Aktienindex (Dax) in Frankfurt am Main kletterte am Morgen auf ein Drei-Jahres-Hoch. Der Rohölpreis hingegen ging zwischenzeitlich um über drei Dollar pro Fass zurück.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Mai 2011


Der CIA-Chef schaute live zu

Nach 40 Minuten Einsatz gab es »ziemlich kräftigen Applaus«, doch wirklich getroffen hat man Al Qaida nicht

von René Heilig **


Der Tod Ôsama bin Ladens gilt als vor allem innenpolitischer Erfolg für Barack Obama. Der US-Präsident hatte seinem Vorgänger vorgeworfen, nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 nicht entschlossen genug gegen Al Qaida vorgegangen zu sein und schickte immer mehr Truppen zum Anti-Terror-Kampf nach Afghanistan. Nun erledigten eine handvoll Entschlossener den Job? Ein Trugschluss! Anmerkungen Abbottabad ist gut eine Autofahrstunde von der pakistanischen Hauptstadt Islamabad entfernt. Gegründet wurde die von Kennern als sauber und schön bezeichnete Distrikthauptstadt 1853 in der britischen Kolonialzeit. Sie trägt den Namen ihres Gründers: Major James Abbott – Abbottabad.

Es gibt Schulen und andere höhere Bildungseinrichtungen, allein vier Medizinhochschulen, davon eine ausschließlich für Frauen. Kürzlich wurde vom Ministerium für Wissenschaft und Technologie eine Universität für Informationstechnologien eröffnet. Hier leben von allem Paschtunen, die Nähe zu Afghanistan ist so durch Volkszugehörigkeit gegeben.

Hubschrauber landeten in Abbottabad

Doch das alles wird künftig bei der Nennung des Namens Abbottabad nur eine untergeordnete Rolle spielen. Abbottabad ist jener Ort, an dem der von den USA mit 25 Millionen Dollar Kopfgeld gesuchte Terrorist, der Fürst politischer Hinterlist, Osama bin Laden, offenbar unbehelligt von allen Jägern bis zum Wochenende lebte. Und wo er nun getötet wurde.

»Nach einem Feuergefecht töteten sie Osama bin Laden«, sagte der US-Präsident in seiner Fernsehansprache. Er beschreibt ganz bewusst eine Hinrichtung. Nur wenige Stunden nach der Tötung wurde die Symbolgestalt des islamistischen Terrorismus auf hoher See bestattet. Nach islamischen Regeln, heißt es. Was immer das bedeutet. Und welche neuen Verschwörungstheorien damit auch immer angeregt werden. Es soll – wenn die US-Angaben zum Hergang der Jagd stimmen – offenbar verhindert werden, dass es eine Pilgersstätte für nachfolgende Terroristen-Generationen gibt.

Wer hat bin Laden getötet? »Ein kleines Team von Amerikanern hat die Operation mit außergewöhnlichem Mut und Fähigkeiten ausgeführt«, sagte Obama. Der Rest ist geheim. Sicher scheint, das Team bestand aus Navy-Seals. Diese bestens gedrillten Angehörigen von Marine-Spezialeinheiten erledigen öfter Drecksarbeit für die CIA. Neben dem Terroristenführer seien drei weitere Männer – angeblich auch ein Sohn bin Ladens – sowie eine Frau, die den Angegriffenen »als Schutzschild« dienen sollte, getötet worden. Auf US-Seite habe es keine Verletzten gegeben, obwohl einer der vier Helikopter während des Angriffs abstürzte.

Insgesamt 40 Minuten habe die Operation gedauert. Pakistans Geheimdienst ISI spricht zwar von vier Stunden Kampf und behauptet, dass seine Truppen einbezogen waren, doch das ist kaum glaubhaft. Die USA haben keinen Fremden einbezogen, schon gar nicht Pakistans ISI-Leute, die mit den Taliban und den Al-Qaida-Führern stets eng kooperierten.

Die 40-minütige Aktion war live ins CIA-Hauptquartier bei Washington übertragen worden. Geheimdienstchef Leon Panetta und einige aus seiner Führungsmannschaft hätten die Aktion am Bildschirm verfolgt. »Als klar war, dass der Einsatz ein Erfolg war, gab es von den CIA-Leuten einen ziemlich kräftigen Applaus«, berichtete ein US-Sprecher.

Wie war man bin Laden auf die Spur gekommen? Offenbar fühlte der sich zu sicher. Jahrelang war er in den Bergen von Tora Bora im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet vermutet worden und mehrere Sterbemeldungen – auch eine von der CIA verbreitete – befriedigt zur Kenntnis genommen. Später hatte es geheißen, Bin Laden habe sich in entlegene Stammesgebiete im Westen Pakistans zurückgezogen.

Die CIA hatte bei ihrer Suche einfach eine Checkliste abgearbeitet. Im Raster war das dreistöckige repräsentative Haus in Abbottabad hängen geblieben – es war extrem gut bewacht und wurde häufig von einem Boten aufgesucht, der Funktionen im Geflecht der pakistanischen Al-Qaida-Struktur ausfüllte. Im vergangenen August begann die CIA mit einer gründlichen Aufklärung. Am 14. März hielt US-Präsident Obama laut »New York Times« ein erstes Treffen mit seinen engsten Sicherheitsexperten ab, um über die Kommandoaktion zu beraten. Das letzte Treffen fand am vergangenen Freitag statt. Obama hat den Befehl erteilt, den Staatsfeind Nr. 1 zu – ergreifen? Nein, das war offenbar nie geplant.

Bleibt die Frage, ob der nun irgendwo im Meer versenkte Körper wirklich einst Obama bin Laden war. Ja, sagt Washington. Der Einsatztrupp habe an Ort und Stelle Techniken zur Gesichts- und Körpererkennung eingesetzt, um die Identifizierung des Gesuchten zu sichern. Zudem besitze man DNA-Proben, die nun ausgewertet werden. So wie man in Washington keinen Wert auf einen international geltenden Richterspruch gelegt hat, so legt man auch keinen Wert auf die Expertise unabhängiger Gerichtsmediziner. Der Fall Osama bin Laden soll erledigt sein.

Ist er das wirklich? Und wie ist das mit Al Qaida, der gefürchtetsten aller internationalen Terrororganisationen?

Vom US-Handlanger zum 9.11.-Ideengeber

Im Grunde ist der Mann aus Saudi-Arabien »nur« ein aus dem Ruder gelaufener Handlanger der USA. Dachte man bei der CIA lange Zeit. Die hatte sich seiner bedienen wollen im Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan. Als deren Truppen 1979 Afghanistan besetzten, ging der Saudi bin Laden nach Pakistan, wo die Fäden des Widerstands zusammenliefen. Zusammen mit dem Dschihad-Theoretiker Abdullah Assam gründete er ein »Zentrum für Dienstleistungen für die Mudschaheddin«. Der engagierte junge Familienvater war Werber, Geldbeschaffer, Rekrutierer. Er errichtet Ausbildungscamps zunächst für arabische Freiwillige, die geschlossen an die Front zogen. Die CIA unterstütze den Organisator dabei tatkräftig.

Doch der so Benutzte wollte seinerseits die US-Amerikaner nur benutzen, denn: Der heilige Krieg gegen die Ungläubigen, Dschihad genannt, müsse nicht nur in Afghanistan und nicht nur gegen die Sowjetunion geführt werden. Davon war der stets Bescheidenheit predigende Milliardärssohn aus Dschidda, den sie »Abu Abdullah« nannten, überzeugt. So wirkte er in Südjemen, Somalia, Bosnien und anerswo als Mentor tausender Gotteskrieger. Und er gründete Al Qaida.

Al Qaida war anders als bisherige streng gegliederte Terrororganisationen. Al Qaida ist eine Idee, die Menschen anzieht, sie zu einem Netzwerk webt. Al Qaida gibt logistischen Rückhalt. Selbst wenn eine ihrer Zellen ausgehoben wird, funktionieren die anderen weiter. Denn verbunden sind die Jünger Osamas – wenn überhaupt – über das Internet.

Terrorismus als Selbstläufer – nur so konnte Osama bin Laden als einer der gefährlichsten Terroristen aller Zeiten in die Geschichte eingehen: vom Anschlag 1993 auf das New Yorker World Trade Center über den Doppelanschlag auf die US-Botschaften in Daressalam und Nairobi 1998 mit mehr als 200 Toten, den Angriff auf den US-Zerstörer »Cole« im November 2000 im jemenitischen Aden mit 17 Toten, den 11. September 2001 in New York und Washington mit fast 3000 Todesopfern bis zu den Bomben von Bali, Madrid und London. Bin Laden inspirierte Widerständler in Bagdad ebenso wie in Kandahar. Und in Europa. Deutschland hat Grund zur Furcht – es besetzte mit anderen NATO-Mitgliedern abermals Afghanistan.

Es mag der CIA gelungen sein, bin Laden zu töten. Ein Prestigesieg. Die mächtigste Nation der Welt hat einen Massenmörder getötet. Doch Osama bin Laden wird weiterleben – als Symbol, hinter dem sich noch mehr fanatischer Widerstand versammelt. Der von den USA ausgerufene Krieg gegen den Terrorismus ist nicht gewonnen. Seine Ursachen bestehen fort.

** Aus: Neues Deutschland, 3. Mai 2011


Obama: Osama ist tot

Killerteam des US-Präsidenten erschießt Al-Qaida-Chef bin Laden in Abbottabad in Pakistan. Spuren umgehend beseitigt

Von Knut Mellenthin ***


Die Jagd nach dem sagenumwobenen Al-Qaida-Chef ist zu Ende. Wenige Monate vor dem zehnten Jahrestag der Angriffe vom 11. September 2001 gab US-Präsident Barack Obama in der Nacht zum Montag (2. Mai) bekannt, daß Osama bin Laden in einer »gezielten Operation« zur Strecke gebracht worden sei. »Ein kleines Team von Amerikanern« habe das Unternehmen »mit außerordentlicher Tapferkeit und Fähigkeit« durchgeführt. Bin Ladens Tod sei »der bis jetzt bedeutendste Erfolg in den Bemühungen unserer Nation, Al-Qaida zu besiegen«. Aber, so Obama weiter, die Terrororganisation werde zweifellos auch künftig »ihre Angriffe gegen uns fortsetzen«. »Wir müssen und wir werden zu Hause und im Ausland wachsam bleiben.«

Unwidersprochenen Meldungen zufolge transportierte das Killerkommando die Leiche bin Ladens mit dem Hubschrauber ab und warf sie wenig später ins Meer. Diese schnelle Spurenbeseitigung wurde fälschlich als »Bestattung nach muslimischem Brauch« bezeichnet. Angeblich sei man so verfahren, weil es zu schwierig gewesen wäre, ein Land zu finden, das bereit gewesen wäre, bin Laden zu begraben. Auf diese Weise wird die Welt nie erfahren, ob es wirklich bin Laden war, der bei dem Militäreinsatz in der nordpakistanischen Stadt Abbottabad am Sonntag erschossen wurde. In der Darstellung, ob das amerikanische Kommando die Identität bin Ladens durch einen »DNA-Schnelltest« definitiv festgestellt habe oder ob lediglich ein Test »eingeleitet« wurde, dessen Ergebnisse »in den nächsten Tagen« erwartet werden, widersprachen sich gestern die Berichte. Unerklärt blieb, warum das Haus, in dem bin Laden gelebt haben soll, nach dem Angriff niedergebrannt wurde. Es schien die meisten Medien aber auch gar nicht zu interessieren.

Abbottabad liegt nach unterschiedlichen Berichten zwischen 60 und 100 Kilometer von der Hauptstadt Islamabad entfernt. Offiziell hatte die US-Regierung bin Ladens Versteck viel weiter westlich, in den sogenannten Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan, vermutet. In der Stadt, die ungefähr 150000 Einwohner hat, befinden sich ein Stützpunkt der pakistanischen Streitkräfte und eine Militärakademie. Viele hochrangige Militärs haben in dem malerisch gelegenen Ort ihre Residenzen.

Die als »festungsartig« beschriebene dreistöckige Wohnanlage, in der bin Laden gelebt haben soll, lag den Berichten zufolge zwischen sehr viel kleineren Häusern, aus denen sie weit herausragte. Sie war durch bis zu sechs Meter hohe Mauern gesichert, auf denen Stacheldraht angebracht war. Weitere Schutzmauern befanden sich im Inneren des großen Grundstücks. Das erst vor fünf Jahren errichtete Gebäude habe auffälligerweise weder Telefon- noch Internetanschluß gehabt. Der Wert der Anlage – weit über eine Mil­lion Dollar – habe absolut nicht den Vermögensverhältnissen der nominellen Besitzer, angeblich zwei Kuriere bin Ladens, entsprochen.

Nach den bisherigen Darstellungen wurden die US-Behörden erstmals im August vorigen Jahres durch einen Tip auf die Wohnanlage in Abbottabad aufmerksam. Man sei sich schnell darüber klargeworden, daß sich dort ein »hochwertiges Ziel« versteckt hielt, und habe damit begonnen, Pläne für eine Kommandoaktion auszuarbeiten. Seit März habe es fünf Treffen führender Sicherheitsexperten im Weißen Haus gegeben, um alle Einzelheiten der Opera­tion zu planen.

Die Beziehungen zwischen den USA und Pakistan sind seit Monaten aufs Äußerste angespannt. Gründe dafür sind unter anderem die häufigen widerrechtlichen Drohnenangriffe des Geheimdienstes CIA auf Ziele im Nordwesten des Landes und die Vorwürfe amerikanischer Politiker und Militärs, die Regierung in Islamabad bekämpfe die militanten Islamisten nicht genug, sondern kooperiere sogar mit ihnen. Aus den bisher vorliegenden Berichten ergibt sich, daß die Kommandoaktion in Abbottabad von den USA völlig allein und ohne vorherige Unterrichtung pakistanischer Stellen durchgeführt wurde. Ein Sprecher der pakistanischen Taliban erklärte dennoch am Montag, daß sie zur Vergeltung Präsident Asif Ali Zardari und die Streitkräfte ihrer Landes angreifen würden.

*** Aus: junge Welt, 3. Mai 2011


Hinrichtung des Zauberlehrlings

Von Olaf Standke ****

Der Zauberlehrling ist endlich tot. Denn das sollte man nicht vergessen: Washington hatte diesen Osama bin Laden einst aufgerüstet für den Kampf gegen den sowjetischen Erzfeind in kalten Kriegszeiten. Doch aus der vermeintlichen Marionette wurde der Puppenspieler, der Terrorfürst, der so viel Leid über Tausende in den USA und anderswo brachte. So sehr seine Verantwortung dafür nach Rache schreien mag, in rechtsstaatlichen Verhältnissen sollte sich daraus kein Recht zur extralegalen Hinrichtung ableiten. Denn das war die Nachtaktion des Killerkommandos auf fremdem Territorium, wenn sie denn so abgelaufen ist, wie berichtet wurde. Da mussten sich schon ganz andere Massenmörder vor Richtern verantworten.

So groß die Genugtuung zumal bei Angehörigen von Terroropfern jetzt sein mag, letztlich hat sich Präsident Obama mit seinem Tötungsbefehl auf die Stufe jener begeben, denen ein Menschenleben nichts wert ist. Doch gut möglich, dass ein für immer stummer Bin Laden einfach die beste Lösung für die USA ist und ihr unangenehme Wahrheiten erspart. Zu denen gehört auch, dass der »Krieg gegen den Terror« längst ein Vielfaches aller Terrorismusopfer an Menschenleben gekostet hat. Bin Ladens Festnahme sollte einst die Afghanistan-Invasion legitimieren. An den Ursachen des Terrors wird seine Liquidierung eine Dekade später nichts ändern.

**** Aus: Neues Deutschland, 3. Mai 2011 (Kommentar)


Das lange Sterben eines Phantoms

Von Knut Mellenthin *****

Die Propaganda der US-Regierung muß künftig ohne Osama bin Laden auskommen. Das ist letztlich, was immer die Tatsachen hinter der angeblichen Kommandoaktion vom Wochenende sein mögen, eine politische Entscheidung. Ob man nun irgendeine neue Figur zum überlebensgroßen Terroristenmonster aufbauen wird, ist vorerst offen. Der bisher als »Nummer Zwei« von Al-Qaida betrachtete Ägypter Ayman Al-Zawahiri wird das jedenfalls kaum werden können.

Die jetzt offiziell verkündete Geschichte von der Tötung bin Ladens erscheint nicht unbedingt glaubwürdig, auch wenn die Mainstream­medien nicht einmal den leisesten Zweifel aufkommen ließen, daß sich alles wirklich ganz genau so zugetragen hat, wie Präsident Barack Obama behauptet. Von dem angeblichen Al-Qaida-Führer und Auftraggeber des 11.September gab es schon seit Dezember 2001 kein gesichertes Lebenszeichen mehr. Damals hatten die Amerikaner zunächst behauptet, sie hätten bin Laden und seine Leute im nordostafghanischen Höhlenkomplex von Tora Bora eingeschlossen, ein Entkommen sei unmöglich. Wenig später wurde jedoch verkündet, ihm sei mit einigen Getreuen die Flucht gelungen, mölicherweise mit Hilfe bestochener Afghanen.

Seither wurden rund 30 angebliche Erklärungen bin Ladens verbreitet. Allerdings wurden diese im Laufe der Jahre immer seltener, und längst schon hatte Zawahiri ihn als Sprecher von Al-Qaida eindeutig überrundet. Außerdem wurden im Namen bin Ladens seit Dezember 2001 fast nur noch Tonaufnahmen, manchmal verbunden mit einem Standbild oder irgendwelchen Film­szenen, veröffentlicht. Die Authentizität der Aufnahmen wurde lediglich durch CIA-Experten bestätigt, denen man getrost eine gewisse politische Interessiertheit unterstellen konnte, das Phantom nicht sterben zu lassen.

Die einzige in dieser Zeit veröffentlichte Videoaufnahme war von extrem schlechter Qualität und alles andere als ein sicherer Lebensbeweis. Bis zum Einmarsch von Briten und US-Amerikanern nach Afghanistan hatte bin Laden eine Anzahl langer, qualitativ erstklassiger Videofilme produzieren lassen, in denen er seine Ziele darlegte. Daß er darauf plötzlich völlig verzichtet haben sollte, falls er wirklich noch am Leben und auf freiem Fuß war, ist ebenso unerklärlich wie unglaubwürdig.

Auch der Inhalt von bin Ladens Stellungnahmen änderte sich seit Ende 2001 total. Seine gesichert authentischen Erklärungen sind alle sehr lang, enthalten zahlreiche theologische Zitate und Exkurse und sind von grundsätzlich-strategischer Art. Als Hauptziel deklarierte er die Befreiung der Länder der »drei Moscheen«, also Saudi-Arabiens und Palästinas, von westlicher Vorherrschaft und Besetzung. Dagegen sind die seit 2002 in bin Ladens Namen veröffentlichten Texte zumeist nur kurz und vordergründig-tagespolitisch. Häufig enthalten sie flache Agitation an die Adresse der Menschen in den USA und Europa. So wurde zum Beispiel am 7. September 2007 eine Tonaufnahme mit Standbild veröffentlicht, in dem der Sprecher, angeblich bin Laden, die Amerikaner dazu aufrief, den islamischen Glauben anzunehmen. Unter anderem trug der Redner dabei das Argument vor, der Islam kenne keine Steuern, sondern nur eine maßvolle Abgabe in Höhe von 2,5 Prozent des Einkommens.

Die beiden letzten bin Laden zugeschriebenen Botschaften wurden Anfang und Ende Oktober vorigen Jahres bekannt. Die erste dieser Stellungnahmen beschäftigte sich mit den schwerwiegenden Folgen der Indus-Überschwemmung für die pakistanische Bevölkerung. Der Sprecher machte dafür den Klimawandel verantwortlich und rief zur Schaffung einer zentralen Hilfsorganisation für die Flutopfer auf. Unterlegt war die Ansprache mit Videobildern aus den Überschwemmungsgebieten.

Die zweite angebliche Botschaft richtete sich an die französische Bevölkerung. Frankreich wurde darin aufgefordert, seine Truppen aus Afghanistan abzuziehen und die Moslems im eigenen Land nicht zu unterdrücken. Insbesondere wurde gegen das Burka-Verbot polemisiert. 2009 waren acht Osama bin Laden zugeschriebene Texte bekannt geworden. Sie beschäftigten sich mit dem Krieg zwischen Georgien und Rußland, lobten das Buch des früheren US-Präsidenten James Carter über den Nahostkonflikt und zitierten zustimmend aus der Arbeit von John Mearsheimer and Stephen Walt über die Israel-Lobby.

Geheimdienste und Regierungsbeamte hatten schon vor fünf Jahren damit begonnen, das Publikum an den Gedanken zu gewöhnen, daß bin Laden vielleicht gar nicht mehr unter den Lebenden sein könnte. Zumindest aber habe er wahrscheinlich längst das Zepter an Zawahiri abgeben müssen und spiele praktisch keine Rolle mehr.

***** Aus: junge Welt, 3. Mai 2011


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