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Obamas Videoshow

US-Regierung verbreitet angebliche Osama-bin-Laden-Filme – ohne Ton und Transkripte. Fundstücke aus Abbottabad sollen Gefährlichkeit des Al-Qaida-Chefs belegen

Von Knut Mellenthin *

Die US-Regierung hat am Sonnabend fünf Videofilme zur Veröffentlichung freigegeben, die angeblich Osama bin Laden in seiner Villa im pakistanischen Abbottabad zeigen. Das soll dazu dienen, immer noch bestehende Zweifel an der offiziellen Schilderung der Ereignisse abzubauen. Vor allem sollen die Aufnahmen beweisen, daß der Al-Qaida-Führer wirklich in dem Haus gelebt und dort jahrelang eine »aktive Kommando- und Kontrollzentrale« unterhalten hat.

Einer der Filme zeigt bin Laden in eine Wolldecke gehüllt auf dem Fußboden eines anscheinend kalten, karg eingerichteten Raumes sitzend, wie er auf einem winzig kleinen Bildschirm Nachrichten über sich selbst betrachtet und dabei eine Fernbedienung in der Hand hält. Die Umgebung macht den Eindruck einer Rumpelkammer oder einer Gefängniszelle und sieht jedenfalls nicht nach der Kommandozentrale oder nach dem Wohnraum eines reichen Mann aus, der bin Laden angeblich immer noch war.

Bewegtbilder

Ein anderer Film zeigt den sagenumwobenem Terroristenchef beim Verlesen einer Ansprache, die angeblich an die Bevölkerung der USA gerichtet war. Seltsam ist allerdings, daß zu seinen Lebzeiten seit seinem Verschwinden aus Afghanistan im Dezember 2001 nicht eine einzige Videoaufnahme von bin Laden verbreitet wurde: Alle seine angeblichen Botschaften waren lediglich Audios, zu denen ein Standfoto gezeigt wurde.

Die jetzt von der US-Regierung veröffentlichten fünf Videos, auch die Ansprache, sind alle ohne Ton. Es gibt auch keine Texttranskripte. Ein Regierungssprecher sagte, man wolle Al-Qaida nach dem Tod ihres Führers keine Propagandaplattform bieten. Angesichts der Tatsache, daß einige Dutzend tatsächliche oder angebliche Interviews und Aufrufe bin Ladens im Internet zu finden sind, ist diese Begründung äußerst unglaubwürdig.

Das in Abbottabad eingesetzte amerikanische Killerkommando hat nach Aussagen der US-Regierung den größten »Schatz« an Daten über das Al-Qaida-Netzwerk abgeschleppt, der jemals erbeutet wurde. Unter anderem soll es sich um zehn Computer, zehn Mobiltelefone und rund hundert Memory-Sticks handeln. Einige Dutzend Computerspezialisten und Experten für verschiedene Sprachen aus mindestens sieben verschiedenen US-Sicherheits- und Geheimdiensten seien nun an der Arbeit, um die riesige Materialmenge zu analysieren. Das kann einige Wochen oder Monate dauern und wird voraussichtlich sehr viele gut getimte Propagandahits produzieren.

Schon ein schneller, flüchtiger Blick auf die Fundstücke genügte aber dem Ministerium für Innere Sicherheit, um sofort bekanntzugeben, Al-Qaida habe offenbar Angriffe auf das Eisenbahnnetz der Vereinigten Staaten geplant, möglicherweise in Verbindung mit dem zehnten Jahrestag des 11. September. Offenbar soll dem naheliegenden Eindruck vorgebeugt werden, Präsident Barack Obama habe nur aus politischer Effekthascherei einen Frührentner – bin Laden war 54 – abknallen lassen, der schon seit Jahren keine aktive Rolle mehr spielte.

Operative Führung

So läßt die US-Regierung auch schon ohne Prüfung des Datenmaterials an die Mainstreammedien gezielt »durchsickern«, die durch den Überfall von Abbottabad gewonnenen Erkenntnisse zeigten, »daß bin Laden sehr viel stärker in die personelle und operative Führung von Al-Qaida involviert war, als während der letzten zehn Jahre zeitweise angenommen worden war«. So habe er beispielsweise den »Ablegern« seiner Organisation in Somalia und im Jemen ganz genau mitgeteilt, was sie tun und lassen sollten.

Konkrete Beweise für diese Behauptungen blieb Washington bisher schuldig. Schließlich müssen die erbeuteten Daten ja erst einmal analysiert werden. Aber ein bißchen Stoff muß man den Medien selbstverständlich jetzt schon zuschieben.

Indessen wächst in Pakistan die Wut über das selbstherrliche Agieren des übermächtigen Verbündeten. »Diese Operation trampelt auf unserer Ehre und Würde herum«, erklärte der Oppositionsführer im Parlament, Chaudry Nisar Ali. Der Präsident und der Premierminister müßten dagegen klar Stellung nehmen – oder zurücktreten.

* Aus: junge Welt, 9. Mai 2011


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