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TTIP: Beruhigungspillen fürs Volk

Chefunterhändler der EU-Kommission für Abkommen mit USA kündigt "Transparenzoffensive" an

Von Jana Frielinghaus *

Ignacio García Bercero ist auf Tournee, um Bedenken gegen die geplante »Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft« (TTIP) mit den USA zu zerstreuen: Am Dienstag nachmittag trat der TTIP-Chefunterhändler der Europäischen Kommission in deren Berliner Vertretung vor die Presse. In der vergangenen Woche hatte die von ihm geführte Verhandlungsgruppe in New York zum neunten Mal mit dem Vertragspartner in spe die Details des sogenannten Freihandelsabkommens diskutiert.

Über dessen konkrete Inhalte informierte der Spanier noch immer nicht, aber er kündigte nicht weniger als eine »Transparenzoffensive« an. Glaubt man ihm, dann wird die Hinterzimmerkungelei bald ein Ende haben. Dokumente würden »mehr und mehr« öffentlich gemacht. Auch der endgültige Vertragstext werde noch vor der Verabschiedung durch die Mitgliedsstaaten der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, versprach García. Tatsächlich finden sich auf den Internetseiten der Kommission neuerdings einige Texte zum Inhalt des Abkommens, eine kostenlose Hotline ist geschaltet. Außerdem wurde am Dienstag im Berliner Europäischen Haus am Brandenburger Tor ein »TTIP-Infopunkt« für interessierte Bürger eröffnet.

García hob das Ziel der Kommission hervor, den Schutz von Investoren zu verbessern. Die bereits existierenden Regeln für internationale Schiedsgerichte müssten reformiert werden, betonte er. In sogenannten Investitionsschiedsverfahren, kurz ISDS (Investor-State Dispute Settlement bzw. »Streitbeilegung zwischen Investoren und Staaten«), können Unternehmen unter anderem Regierungen auf Entschädigung verklagen, wenn sie sich durch Gesetzesänderungen im globalen Wettbewerb benachteiligt sehen. Die Kommission wolle bei der Ausgestaltung dieser Verfahren im Abkommen zwischen EU und USA auf Kritiker zugehen, sagte García. So solle es »mehr Transparenz« bei der Auswahl der beteiligten Juristen und eine Berufungsinstanz geben. Die Vorstellungen der Kommission gingen dabei in eine ähnliche Richtung wie die der deutschen Regierung, so der TTIP-Beauftragte. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte die Etablierung eines internationalen Handelsgerichtshofs vorgeschlagen. Gerade öffentlich kontrollierbare Berufungsinstanzen lehnen die USA bislang jedoch strikt ab. Organisationen wie das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC warnen davor, dass Konzerne mit den bei TTIP geplanten ISDS-Verfahren ähnliche Sonderrechte bekommen, wie sie bereits in anderen bi- und multilateralen Handelsabkommen festgelegt sind.

García versicherte, mit dem geplanten Vertrag werde es keine Absenkung von Umwelt- und Verbraucherschutzstandards geben. Auch die Handlungsfreiheit der Kommunen bei der Gestaltung der öffentlichen Daseinsvorsorge sei »in keiner Weise« bedroht. Zur geplanten »regulatorischen Zusammenarbeit« sagte er, diese werde transparent gestaltet. Konzerne könnten nicht, wie von Kritikern befürchtet, unkontrolliert Einfluss auf Gesetzgebungsverfahren nehmen. Es werde kein »mysteriöses Kooperationsgremium« eingeführt, das geplante neue Regularien modifizieren könne, bevor die gewählten Volksvertreter sich überhaupt damit befassen dürfen, betonte der EU-Handelsexperte. Zudem diene diese Zusammenarbeit nur der Angleichung technischer Standards. Man wolle damit nur jenen Unternehmen »das Leben leichter machen«, die Waren in die USA exportieren. Eine Verhinderung von Gesetzen für einen besseren Schutz der Rechte von Beschäftigten und Verbrauchern oder der Umwelt sei dadurch nicht zu befürchten, beteuerte García.

Weiter wies er darauf hin, dass unter jenen 16 Personen, die als Berater »privilegierten Zugang« zur Verhandlungsgruppe der Kommission haben, auch je zwei Vertreter von Konsumentenorganisationen, Gewerkschaften sowie aus dem Gesundheits- und Umweltsektor seien. Es sei »total falsch« zu behaupten, dass die Wirtschaft – die acht der 16 »Berater« stellt – bevorzugt werde.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. April 2015


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