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"Das zieht einen neuen Rüstungsschub nach sich"

Mit dem Freihandelsabkommen TTIP droht auch weitere Militarisierung, Aufrüstung und erhöhte Kriegsgefahr. Ein Gespräch mit Wolfgang Dominik *


Wolfgang Dominik engagiert sich seit Jahrzehnten in der antifaschistischen und der Friedensbewegung, im Bochumer Friedensplenum und dem dortigen Bündnis gegen Rechts.

Die Kritik am Abkommen über eine »transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft« zwischen der EU und den USA namens TTIP nimmt stetig zu. Was haben Sie auszusetzen?

Nach zögerlichen Anfängen gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von sehr kritischen Medienbeiträgen zu TTIP und über eine Million Bürgerinnen und Bürger, die sich bei einer Unterschriftensammlung gegen TTIP positioniert haben. Allen Interessierten dürfte klar sein, dass in streng abgeschirmten Geheimverhandlungen weniger Eingeweihter die Reste von Demokratie zu Grabe getragen werden. Transnationale Großkonzerne, vor allem mit Sitz in den USA und einer dementsprechend parteilichen Schiedsgerichtsbarkeit werden endgültig die Richtlinien der Politik in den europäischen Ländern bestimmen. Meine Kritik ist unter anderem, dass die militärischen Komponenten von TTIP bisher in der Diskussion zu kurz kamen.

Welche militärischen Komponenten meinen Sie?

Wenn in einem Papier der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem letzten Sommer zu lesen ist, TTIP sei »nicht nur ökonomisch sehr wichtig«, sondern könne potentiell »die Weltordnung und das globale Handels- und Wohlfahrtssystem verändern« kann, ist das ein deutlicher Hinweis. Eine ganze Reihe von Think Tanks erinnert an eine simple Tatsache, die spätestens seit 1991/92 auch in den Weißbüchern der Bundesregierung nachzulesen ist: Globale Ausbeutung, globale Handelswege, globale Beherrschung der Rohstoffe bedeuten für die kapitalistischen Metropolen auch immer deren militärische Absicherung. Das war nie anders. TTIP soll geopolitisch die ökonomische Hegemonie »des Westens« gegenüber Russland und China stärken. Das wird einen neuen Rüstungsschub unter US-Hegemonie nach sich ziehen und gewisse eigene Wege, die Europa zum Beispiel gegenüber Russland gehen wollte, noch unmöglicher machen.

Sie rechnen also mit massiver Aufrüstung, sollte TTIP tatsächlich verabschiedet werden?

Von einer Vertiefung der transatlantischen Rüstungskooperation wird ja jetzt schon geredet. Die USA bemängeln oft genug, dass Europa beispielsweise im Ukraine-Krieg viel zu zögerlich sei, was eine auch militärisch noch härtere Gangart gegenüber Russland angeht. Das geplante Abkommen enthält auch die Option von Fracking in der EU. Wenn dadurch zum Beispiel eine Energieunabhängigkeit Europas von Russland erreicht würde, könnte man noch heftiger und auch militärisch gegen Russland agieren. Noch intensivere Aufrüstung wäre die Folge, wenn der Westen systematisch die bisherige Sicherheitsarchitektur zum Einsturz bringt. Trotz NATO-Osterweiterung ist dieser Modus vivendi mit Russland bisher von der EU nicht grundsätzlich in Frage gestellt worden. Man machte ja erbauliche Geschäfte.

Also könnte das Handelsabkommen vor allem für Russland eine neuerliche Provokation darstellen und zur weiteren Blockbildung einer »westlichen Wertegemeinschaft« führen?

Selbstverständlich, aber nicht nur Russland, die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika insgesamt geraten noch mehr ins Visier der durch TTIP noch stärker an US-Standards gebundenen EU - auch in militärischer Hinsicht. Die Werte der »westlichen Wertegemeinschaft« können mit »Profit geht über alles« zusammengefasst werden.

Jean Ziegler, der UN-Menschenrechtsbeauftragte, weist immer wieder darauf hin, dass das kapitalistische System nur durch 40.000 Verhungerte täglich funktioniert. Viele von uns haben vor einem Jahr noch gedacht, dass die europäischen Konzerne mit ihren jeweiligen Regierungen ihre guten Geschäfte mit Russland weitermachen könnten. Die USA haben ihre eigenen Pläne aber auch in der EU durchgesetzt. Jetzt sind NATO-Ausbilder in den Ukraine-Krieg unterwegs. Noch will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) keine Waffen liefern. Die USA dürften es bald aber auch offiziell tun. Durch TTIP wird Russland noch weiter isoliert, und die EU wird sich noch schneller dem US-Kurs anpassen.

Wird TTIP auch bei den anstehenden Ostermärschen eine Rolle spielen?

Ich hoffe sehr! Wir in Bochum haben Werner Rügemer eingeladen, über »TTIP und Militär« zu sprechen. Auch die »Informationsstelle Militarisierung« hat das Thema vor ein paar Monaten intensiv behandelt. Ich hoffe, das spricht sich rum.

Interview: Markus Bernhardt, Bochum

* Aus: junge Welt, Samstag, 7. März 2015


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