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Kritik unerwünscht

EU-Kommission verweigert »Europäische Bürgerinitiative« gegen Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Aktionstag am 11. Oktober

Von André Scheer *

Seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009 gibt es in der EU das Instrument der »Europäischen Bürgerinitiativen« (EBI). Durch diese können Anliegen auf die Tagesordnung der EU-Kommission gesetzt werden, wenn innerhalb eines Jahres in mindestens einem Viertel aller Mitgliedsstaaten eine Million Unterschriften gesammelt werden. Ist das erfolgreich, muß die Kommission das Thema beraten – mehr nicht. Konkrete politische Konsequenzen hat die EBI nicht. Allerdings kann das Sammeln der Unterschriften als Kampagne dazu dienen, ein bestimmtes Thema in die Öffentlichkeit zu tragen und auf diese Weise Diskussionen anzuregen.

Das fürchtet Brüssel offensichtlich. Am Donnerstag lehnte die Kommission eine vom Bündnis »Stop TTIP« eingereichte Bürgerinitiative gegen die derzeit in Geheimverhandlungen ausgekungelten transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und CETA ab. »Ihre geplante Bürgerinitiative liegt offenkundig außerhalb des Rahmens, in dem die Kommission befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen«, teilte Brüssel den Initiatoren mit. Die Verhandlungsmandate seien lediglich interne Vorbereitungsakte zwischen den EU-Organen und deshalb durch eine Bürgerinitiative nicht anfechtbar. Darüber hinaus könne die Kommission keine »negativen Ratifizierungsvorschläge« machen und deshalb der Forderung nicht nachkommen, die Verhandlungen über CETA und TTIP nicht abzuschließen.

»Im Umkehrschluß heißt das: Internationale Verhandlungen der Kommission dürfen durch Bürgerinnen und Bürger nur bejubelt, nicht aber kritisiert werden«, kritisiert Michael Efler, der Sprecher des internationalen Bündnisses.

Man habe die eigene Position vor der Einreichung des Antrags durch Juristen prüfen lassen und erwäge nun, die Ablehnung vor dem Europäischen Gerichtshof anzufechten. Der Bescheid reihe sich ein in eine Strategie der EU-Kommission, Bevölkerung und Parlamente aus den Verhandlungen um ­CETA und TTIP herauszuhalten: »Statt Bürgerinnen und Bürgern werden hier lieber Lobbyisten gehört.«

Diese Meinung teilt der Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst von der Linkspartei. »230 Organisationen aus 21 Ländern unterstützen die geplante EBI. Ihr Erfolg wäre so gut wie sicher gewesen. Die Ablehnung mit rein formalen Argumenten bewegt sich juristisch auf ganz dünnem Eis und ist offensichtlich politisch motiviert.« Sein Kollege Alexander Ulrich, Obmann der Linksfraktion im EU-Ausschuß des Bundestages, ergänzt: »Mit TTIP und CETA sollen sogenannte Handelshemmnisse abgebaut werden. Das größte Handelshemmnis ist offenbar die Demokratie. Die Art und Weise, wie hier gegen den Willen der Bevölkerung Politik gemacht wird, ist ein handfester Skandal. Damit darf die Kommission nicht durchkommen.«

TTIP ist ein Abkommen zwischen europäischen und nordamerikanischen Staaten, das vor allem die EU und die Mitgliedsländer der nordamerikanischen NAFTA – USA, Kanada und Mexiko – umfassen soll. Vorgesehen ist die Bildung der weltweit größten Freihandelszone, mit der die ökonomischen Großmächte ihre Dominanz gegenüber den zunehmend selbstbewußteren Schwellenstaaten sichern wollen. Zugleich sollen handelspolitische Regelungen zwischen den Vertragspartnern »angeglichen« werden. Das Netzwerk ATTAC befürchtet deshalb Schlimmes: »Es ist zu erwarten, daß demokratische Rechte, soziale Standards, Klimaschutz und Finanzmarktkontrolle auf dem jeweils niedrigsten Level ›harmonisiert‹ werden sollen. TTIP wird außerdem die Macht der Konzerne stärken und die Gestaltungsmöglichkeiten der Gesellschaft massiv einschränken. «

Als Vorstufe dafür gilt das zwischen der EU und Kanada schon 2013 unterzeichnete Freihandelsabkommen CETA, das noch in diesem Herbst ratifiziert werden soll. Es ähnelt den Bestimmungen des gescheiterten »Antipiraterieabkommens« ACTA, das 2012 nach heftigen internationalen Protesten vom Europäischen Parlament gestoppt wurde. Auch US-Unternehmen können sich künftig gegenüber europäischen Behörden auf CETA berufen – sofern sie eine Niederlassung in Kanada haben.

Für den 11. Oktober mobilisiert das internationale Bündnis gegen TTIP deshalb zu einem europaweiten Aktionstag. »Wir fordern eine grundlegende Wende in der Handelspolitik! Statt Profitinteressen von Konzernen müssen Menschenrechte, Demokratie und Umwelt an die erste Stelle gesetzt werden«, heißt es dazu auf der Homepage von ATTAC. Angekündigt sind – neben einer Demonstration in Hamburg, die am 11. Oktober um 13 Uhr am Gewerkschaftshaus beginnt – bislang vor allem kleinere Aktivitäten, Infostände oder Kundgebungen.

kurzlink.de/ttip-aktionstag

* Aus: junge Welt, Samstag 13. September 2014


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