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Entwicklungsländer sind die großen Verlierer

Das geplante EU-USA-Handelsabkommen TTIP würde vor allem Afrika wichtige Handelsanteile kosten

Von Rolf-Henning Hintze *

Am Montag begann eine neue Verhandlungsrunde für das geplante Handelsabkommen EU-USA, das TTIP. In Afrika könnte es dadurch laut Studien hohe Einkommensverluste zur Folge haben.

Die Ablehnung des geplanten Handel- und Investitionsabkommens EU -USA (TTIP) hat in Deutschland in den letzten Monaten überraschend stark zugenommen. Wenig Beachtung haben die Medien bisher aber den voraussehbaren desaströsen Konsequenzen des Abkommens für die Entwicklungsländer geschenkt. Dabei hat die Bertelsmann-Stiftung, ein Propagandist des TTIP-Abkommens, schon vor Monaten eine Studie des Münchner ifo-Instituts veröffentlicht, die in aller Deutlichkeit voraussagt, dass besonders die Entwicklungsländer Verlierer des geplanten Abkommens wären.

Das geplante TTIP-Abkommen, für das sowohl CDU wie SPD werben, will Umwelt- und Arbeitsstandards zwischen EU und den USA angleichen und sogenannte Schiedsstellen, bestehend aus drei privaten Wirtschaftsanwälten, vertraglich verankern. Bei diesen könnten Konzerne dann von Staaten hohe Schadensersatzzahlungen einklagen, wenn sie zum Beispiel durch schärfere Gesetze ihre Gewinne geschmälert sehen.

In der 50 Seiten langen Studie, die das Münchner ifo-Institut im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellte, finden sich Aussagen wie: »Die großen Verlierer einer Eliminierung der Zölle sind Entwicklungsländer« (Seite 28). Sie verlören durch den verstärkten Wettbewerb auf dem EU- oder US-Markt »dramatisch an Marktanteilen« und alternative Märkte mit ähnlichem Marktpotenzial seien »geographisch relativ weit entfernt«. Dies sei vor allem für Länder in Nord- und Westafrika ein Problem. Diese handelten traditionell intensiv mit Europa. Die Liste der Verlierer wird laut ifo-Studie von der Côte d'Ivoire und Guinea angeführt. Ihre Exporte nach Europa würden von Gütern aus den USA verdrängt. Das gilt nicht für Kakao oder Kaffee, was nicht auf der Exportpalette der USA steht, aber schon beim wichtigen Exportprodukt Baumwolle zöge Côte d'Ivoire dann den Kürzeren. Für ostafrikanische Länder wie Uganda und Tansania träfe ein ähnliches Szenario zu, auch wenn sie aufgrund der größeren Nähe zum chinesischen und australischen Markt bessere Möglichkeiten hätten, Verluste aufzufangen.

Die ifo-Studie hat nicht allein die Auswirkungen des TTIP-Abkommens (»Tiefe Liberalisierung«) untersucht sondern auch ein denkbares Abkommen, das sich allein auf den Abbau der in Schnitt etwa 3,5 Prozent betragenden Zölle zwischen beiden mächtigen Wirtschaftsblöcken beschränken würde (»Zollszenario«). Bei einer »tiefen Liberalisierung« – also dem Zustandekommens des TTIP-Abkommens – wäre für eine Reihe afrikanischer Länder ein deutlicher Rückgang des Pro-Kopf-Einkommens die Folge. Für Botswana sagt das ifo-Institut einen Rückgang von 4,1 Prozent voraus, für Mosambik und Niger 4,0 Prozent, Algerien 3,5 Prozent, Namibia 3,1 und Ägypten 2,8 Prozent.

Vermutlich ahnen die wenigsten Europäer, dass dies eine Verschlechterung der Verhältnisse bedeuten würde, die einer sozialen Katastrophe nahe käme. In vielen afrikanischen Ländern befindet sich Großteil der Bevölkerung schon längst in einem Überlebenskampf, der oft Hunger, Mangel an ärztlicher Versorgung sowie Mangel an ausreichend sauberem Trinkwasser und Elektrizität einschließt. Die Kindersterblichkeit würde bei geringerem Pro-Kopf-Einkommen absehbar wieder ansteigen.

Das ifo-Institut und die Bertelsmann-Stiftung lassen sich dagegen von vermeintlichen Gewinnaussichten beeindrucken: »Für die Welt insgesamt bedeutet die tiefe Liberalisierung zwischen EU und USA einen Anstieg des durchschnittlichen realen Einkommens um 3,27 Prozent. Damit liegt genug Geld auf dem Tisch, um die Verlierer zu kompensieren.« Kompensationszahlungen der Reichen für die Armen? Das wäre unter neoliberaler Ägide etwas absolut Neues. Schlechterdings unvorstellbar.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 20. Mai 2014


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