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"Wenige profitieren auf Kosten vieler"

Streit über TTIP-Abkommen könnte Konflikt zwischen DGB-Führung, IG Metall und ver.di verschärfen. Ein Gespräch mit Jakob Schäfer *


Jakob Schäfer ist Mitglied der IG Metall und engagiert sich im Arbeitsausschuß der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken.


Vom Grundatz her bekennt sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einem Papier, das gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium verfaßt wurde, zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP, das zwischen der EU und den USA geplant ist. Welches Signal geht davon aus?

In der innerparteilichen Diskussion brauchte SPD-Chef Gabriel offenbar einen wichtigen Bündnispartner, um die Position der SPD-Führung auf dem Parteikonvent am Wochenende durchzudrücken. Skandalös an dem besagten Papier ist zweierlei: Erstens, daß die DGB-Spitze eine solche Position veröffentlicht, während die Diskussion in den Gewerkschaften immer mehr Fahrt aufnimmt. Und zweitens, daß das Papier sogar gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium unterzeichnet wurde. Damit signalisiert die DGB-Führung – trotz der im Papier genannten Bedingungen – eine grundsätzliche Zustimmung.

Erst in der Vorwoche hatte die EU-Kommission eine europaweite Bürgerinitiative gegen das TTIP- bzw. das CETA-Abkommen mit Kanada für unzulässig erklärt. Rechnen Sie jetzt noch mit ernsthaften Protesten hierzulande?

Dieses DGB-Papier erleichtert natürlich nicht gerade die innergewerkschaftliche Diskussion. Aber für die Entwicklung des Widerstands hat es nur eine untergeordnete Bedeutung. Die Position der IG Metall ist bisher immer noch klar ablehnend. Der Vorsitzende Detlef Wetzel hat im März in einem Interview wörtlich gesagt: »Freihandelsabkommen sofort stoppen.« Auch ganz aktuell heißt es bei der IG Metall, daß die grundsätzlichen Mängel nicht beseitigt wurden und daß von dem geplanten Abkommen wenige auf Kosten vieler profitieren. Ich sehe gerade bei den beiden großen Gewerkschaften IG Metall und ver.di keine Hinweise, daß sie inhaltlich die Positionen der DGB-Führung übernehmen. In dem Zusammenhang will ich nur auf die geplanten Proteste von »TTIP un-fair-handelbar« am 11. Oktober verweisen.

Der Widerstand lebt also noch?

Allerdings. Denn es kommt ja nicht auf das formale Mittel Bürgerinitiative an. Auch die Annahme des Bürgerbegehrens hätte das Abkommen noch nicht gestoppt. Letztlich war dies ein Mittel zum Zweck. Hier haben 230 Organisationen aus 21 EU-Staaten mitgewirkt und allein in Deutschland 700000 Unterschriften gegen TTIP gesammelt. Damit wurde die Öffentlichkeit sensibilisiert und informiert. Letztlich kommt es darauf an, daß der politische Widerstand sich ausweitet und sichtbar wird. Die größten Möglichkeiten zur Entfaltung des praktischen Widerstands haben allerdings die Gewerkschaften. Nach dem Gefälligkeitsdienst, den die DGB-Führung der SPD-Führung gewährt hat, wächst damit die Verantwortung der Einzelgewerkschaften, vor allem der IG Metall und von ver.di. Sie müssen jetzt beweisen, daß sie wirklich Widerstand leisten. Wenn sie zu großen Kundgebungen aufrufen, kann das der Bewegung einen gewaltigen Schub geben.

Wie erklären Sie sich den plötzlichen Sinneswandel der DGB-Spitze?

Ich glaube nicht, daß die DGB-Spitze einen Sinneswandel vollzogen hat. Der Vorsitzende, Reiner Hoffmann, vertritt diese Positionen schon immer. Ich denke, daß sich jetzt der Konflikt zwischen DGB-Führung und den Spitzen zumindest von IG Metall und ver.di verschärfen wird.

Der DGB will mit dem TIPP-Abkommen darauf hinwirken, »faire und nachhaltige Handelsregeln global voranzutreiben und Maßstäbe zu setzen«. Klingt das nicht schön?

Alle Erfahrung zeigt, daß eine Liberalisierung des Handels immer zu zwei wichtigen Veränderungen geführt hat: Mit solchen Abkommen können Staaten oder Kommunen zu Schadensersatzzahlungen gezwungen werden, wenn sie Vorschriften oder Verbote erlassen. So hat beispielsweise Kanada 1997 den hochtoxischen Stoff MMT verboten. Der Hersteller Ethyl Corp. konnte dann Kanada erfolgreich auf einen Schadensersatz für entgangene Profite von 19,5 Millionen Euro verklagen. Dies geschah aufgrund des NAFTA-Abkommens zwischen Mexiko, den USA und Kanada. Zweitens: In der IG Metall-Zeitung vom Juni wurde darauf hingewiesen, daß mit NAFTA allein in den USA rund 700000 Arbeitsplätze verlorengingen. Die Gewerkschaften haben also allein schon deswegen das größte Interesse daran, gegen dieses Abkommen zu mobilisieren.

Interview: Ralf Wurzbacher

* Aus: junge Welt, Samstag 20. September 2014


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