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CETA steht, TTIP kommt

Kaum noch zu ändern? In Berlin diskutierten Befürworter und Kritiker des "Freihandels" rechtliche Aspekte der Abkommen zwischen EU und USA bzw. Kanada

Von Wolfgang Pomrehn *

Freihandel muss sein, sagt die EU. Seit geraumer Zeit verhandeln Brüsseler Emissäre deshalb u. a. mit Kanada und den USA über entsprechende Abkommen. Unter ihren Kürzeln CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement, Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen, Kanada) und TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership, Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft mit den USA) sind diese inzwischen trotz anfänglicher Geheimhaltung weit über Fachkreise hinaus bekannt geworden. Am Wochenende wurden wichtige Aspekte auf einer Tagung in Berlin diskutiert. Eingeladen hatten die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) gemeinsam mit dem Bundesfachausschuss Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), die Neue Richtervereinigung sowie die Rechtsanwaltskammer Berlin.

Eineinhalb Jahre hatte es gedauert, bis die EU im Herbst auch nur das von den Regierungen der Mitgliedsländer beschlossene TTIP-Verhandlungsmandat veröffentlichte. Dies steckt den Auftragsrahmen ab, mit dem die Kommission für die 28 Mitgliedsstaaten spricht. Die CETA-Verhandlungen mit Kanada wurden bereits Mitte vergangenen Jahres offiziell abgeschlossen, der Entwurf wird derzeit in den Parlamenten der beteiligten Staaten diskutiert. Veränderungen, so heißt es aus dem Hause der Handelskommissarin Anna Cecilia Malmström, können nur noch an kleinen Details vorgenommen werden. Malmström ist als Mitglied der schwedischen Liberalen sicherlich die richtige Besetzung auf dem Posten, um die Interessen der Konzerne zu wahren. Ausgehandelt hat den Vertrag ihr Vorgänger Karel De Gucht.

Gewerkschaften, Globalisierungskritiker, der Deutsche Städtetag und andere kritisieren an den Vertragswerken zahlreiche Punkte. Und es gibt grundsätzliche Zweifel. Die betreffen beispielsweise die weitgehenden Schutzrechte für ausländische Investoren. Aber auch die »Liberalisierung« wichtiger Dienstleistungssektoren wird mit Argwohn betrachtet. Nicht zuletzt sind es die Sorgen um den Schutz der öffentlichen Daseinsvorsorge und über befürchtete Eingriffe in die Rechte abhängig Beschäftigter sowie in den Verbraucher- und Umweltschutz, die den »Freihandel« zum Politikum machen.

In Berlin sollten juristische Aspekte und die Folgen der Verträge für die nationalen rechtsstaatlichen Systeme im Vordergrund der Diskussion stehen. Das sperrige Thema ließ sich allerdings nicht immer in diesen Rahmen pressen. Diskutiert werden sollte auch über das bisher weniger bekannte TiSA-Abkommen (Trade in Services Agreement), zu dem die EU seit Anfang 2012 mit über 20 weiteren Staaten, darunter die USA, China, die Schweiz, Kanada und Japan, Geheimverhandlungen führt. Das spielte in Vorträgen und Gesprächen jedoch kaum eine Rolle.

Ein Knackpunkt sind die in TTIP und CETA vorgesehenen Schiedsgerichte für Klagen ausländischer Unternehmen gegen Staaten. Nach Aussagen von Heinz Hetmeier, der im Bundeswirtschaftsministerium das Referat Allgemeine Handelspolitik leitet, könnte es noch Einschränkungen und Verbesserungen geben. Könnte. Die Bundesregierung ist in dieser Frage bei CETA eher leidenschaftslos. Hat sie doch mit Kanada bereits ein bilaterales Abkommen, das diese Schiedsgerichte vorsieht. Westdeutschland gehörte schon in den 1960ern zu den eifrigsten Vorreitern dieser Art Unternehmerfreiheit, die in zahlreichen zwischenstaatlichen Verträgen die Rechtsposition der Konzerne stärkte. Einer breiteren Öffentlichkeit sind diese ohne Publikum und staatliche Kontrolle arbeitenden Schiedsgerichte erst durch eine Klage des schwedischen Vattenfall-Konzerns gegen die Bundesrepublik Deutschland bekanntgeworden. Dem Energieriesen schmeckte eine Umweltauflage Hamburgs nicht, die seinem neuen Kohlekraftwerk Moorburg die Entnahme von Elbwasser zur Kühlung beschränken sollte. Wie in solchen Fällen üblich, benannten Vattenfall und das die Bundesrepublik vertretende Wirtschaftsministerium – seinerzeit von der FDP kontrolliert und der Umweltpolitik besonders abhold – je einen Schiedsrichter und einigten sich auf einen dritten, gemeinsamen Kandidaten. Die Verhandlungen, wie üblich hinter verschlossenen Türen, endeten mit einem Vergleich: Die Hansestadt musste die Anordnung zurücknehmen. Vattenfall darf nun mehr Kühlwasser aus der Elbe entnehmen und kann sich den Bau eines Kühlturms sparen. Vor gut zwei Wochen hat daraufhin die EU-Kommission die Bundesrepublik beim Europäischen Gerichtshof verklagt, weil sie darin einen Verstoß gegen die sogenannte FFH-Richtlinie sieht, mit der Flora und Fauna geschützt werden sollen.

Weniger erfreulich als die mögliche Bewegung in Sachen Schiedsgerichte ist, dass ver.di zwischenzeitlich den Widerstand gegen TTIP und CETA weichgespült zu haben scheint. Zur Podiumsdiskussion am Sonnabend ließ sich der Vorsitzende Frank Bsirske entschuldigen und schickte Michael Fischer vor, der das Ressort Politik und Planung leitet und zuvor bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung gearbeitet hatte. Fischer durfte verkünden, dass ver.di zwar irgendwie dagegen sei, aber nichts gegen Freihandel habe und mitdiskutieren wolle. Die grundsätzliche Kritik überließ er Andreas Fisahn, der an der Universität Bielefeld lehrt und im wissenschaftlichen Beirat von ATTAC sitzt. Der machte darauf aufmerksam, dass das EU-Handelsmandat für TTIP unter anderem auch eine weitere Liberalisierung der Finanzmärkte vorsehe. Freihandel verschärfe die Umweltkrise und führe automatisch zur Absenkung sozialer Standards, wie man bereits in der EU sehen könne. Mit CETA werde außerdem das in Deutschland und in der EU geltende Vorsorgeprinzip ausgehebelt. Als Fazit der Tagung bleibt, dass die Bundesregierung vor allem den Schutz deutscher Konzerne im Ausland und den Zugriff auf die bisher sehr abgeschotteten öffentlichen Aufträge in den USA im Auge hat, während Gewerkschaften und auch Vertreter der Kommunen das Dogma der Exportorientierung nicht in Frage stellen mögen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 14. April 2015


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