Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Das Bombodrom als politisches Lehrstück

Von Hans-Peter Richter*

Am 9. Juli 2003 hat Verteidigungsminister Peter Struck entschieden, dass das Gelände der Kyritz-Wittstock-Ruppiner Heide erneut als Bombenabwurfplatz zu benutzen ist. Dagegen haben 10 Gemeinden und zwei Verbände noch im Juli Klage eingereicht. Da Struck vergessen hatte, den sofortigen Vollzug anzuordnen, haben die Klagen aufschiebende Wirkung, d.h. der Übungsbetrieb kann nicht beginnen. Am 6. August ordnete Struck nachträglich den sofortigen Vollzug an. Dagegen stellten die 12 Kläger einen Antrag auf einstweilige Verfügung, dass die aufschiebende Wirkung bestehen bleibt. Am 18. September entschied das Verwaltungsgericht Potsdam, dass der Bund das Gelände bis zu einer endgültigen Entscheidung nicht nutzen darf (vgl. die Presseerklärung des Amtsgerichts Potsdam).
"Egal wie die Entscheidung ausgeht, ist der Fall Bombodrom schon heute ein politisches Lehrstück", schreibt Hans-Peter Richter in seinem Beitrag, den wir im Folgenden dokumentieren (Originalartikel: pax-report, 5, September/Oktober 2003).



Die Vorgeschichte

Dieses Gebiet gehört laut den Grundbüchern den umliegenden Gemeinden und war bis 1950 kein Militärgelände. Erst 1950 wurde es von der Sowjetarmee beschlagnahmt und bis zum Abzug als Übungsgebiet für Bombenabwürfe und Artillerieübungen genutzt. Der Terror durch den Flug- und Schießlärm war für die Bewohner schwer zu ertragen und sie hofften nach dem Abzug der Russen auf ein Ende des Lärmterrors. Doch die Hoffnung war vergebens. Im Dezember 1993 übertrug das Bundesverwaltungsamt ohne Rücksicht auf die Grundbucheintragungen das Gelände an die Bundeswehr. Es kam zur Gründung der Bürgerinitiative FREIe HEI De, die eine zivile Nutzung wollte. Später schloss dich Bürgerinitiative "Freier Himmel" aus Mirow in Mecklenburg an. 14 Gemeinden aus Brandenburg reichten 1994 Klagen ein, weil sie der Bundeswehr bestreiten, Eigentümer und Nutzer des Geländes zu sein. Die Gerichtsverfahren ging bis zum Bundesverwaltungsgericht, das am 14. 12. 2000 entschied, dass die Bundeswehr das Gelände nicht benutzen darf, weil keine Anhörung der betroffenen Gemeinden stattgefunden hat. Die FREIe HEIDe und die Gemeinden glaubten einen endgültigen Sieg errungen zu haben. Doch es kam anders. Die Anhörungen wurden nachgeholt. Für die Bundesregierung war es dabei offensichtlich irrelevant, dass bei den Anhörungen alle Gemeinden (bis auf Wittstock) gegen die militärische Nutzung waren, ihnen reichte es, dass es eine Anhörung gegeben hatte. So lässt sich durch Auslegungen ein Urteil in sein Gegenteil verkehren. Es ist kein Wunder, dass viele in den Bürgerinitiativen kein Zutrauen in die Gerichtsbarkeit haben und auf Widerstand anderer Art setzen.

Die Bürger können den Politikern nicht mehr vertrauen. Bis auf den Landrat Gilde (SPD) sind bisher nämlich alle umgefallen. Zusagen von Politikern wurden nicht eingehalten. 1994 war Rudolf Scharping (SPD) im Rahmen seiner damaligen Wahlkampftour in Gadow und versprach, dass wenn die SPD an die Regierung käme, würde das Gelände zivil genutzt werden. Später sprachen sich ebenso der jetzige "Verteidigungs"-minister Peter Struck und der jetzige Ministerpräsident von Brandenburg Matthias Platzeck aus. Heute wollen sie davon nichts mehr wissen. Immer weniger Bürger glauben, dass Politiker zum Wohle der Allgemeinheit arbeiten. Zum Wohle der Allgemeinheit ist das Bombodrom auf keinen Fall. Wie kommt es zur Aufgabe von Überzeugungen? Ist es Machrausch, Bestechung, Druck durch die Rüstungsindustrie oder Erpressung?

Die Bürger müssen jedenfalls selbst aktiv werden. Bis Ende 1992 sammelte die FREIe HEIDe über 40 000 Unterschriften. Betroffene demonstrierten vor dem Landtag in Potsdam, schickten Delegationen zum damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe. An über zwanzig Autobahnbrücken in der Region wurden Transparente mit Slogans gegen die Weiternutzung des Bomodroms aufgehängt. Infostände, Wandzeitungen, offene Briefe, Protestschreiben, symbolische Platzbesetzungen, 88 Protestwanderungen, Mahnsäulen, Lichterketten, Konzerte, Aktionswochen, Sommercamps und vieles mehr bestimmten nun die Aktivitäten. Mehrere Ostermärsche in Fretzdorf waren die größten in ganz Deutschland.
Um in die Medien zu kommen, denken sich die Aktiven ständig neue optische Attraktionen aus. Besonders gelungen war da das von Hunderten gebildete "Peace-Zeichen" in Fretzdorf im Jahre 2000. Im Jahre 2003 kamen mehrmals nackte Aktivisten in die Medien.

Neben der Bürgerintitiative FREIe HEIDe und von FREIER HIMMEL gibt es jetzt eine dritte Kraft des Widerstandes. Das ist die Bürgerinitiative "resist now". Sie bildete sich im Widerstand gegen den Irak-Krieg gegen die Nutzung der US-Militärstützpunkte, Insbesondere hat sie Sitzblockaden auf der Rhein-Main-Luftwaffenbasis in Frankfurt organisiert.

Wie wird es weiter gehen?

Die FREIe HEIDe hat bisher "nur" auf Protestwanderungen, Gerichtsverfahren und andere "gesetzestreue" Maßnahmen gesetzt, "resist now" bevorzugt eher gewaltlose Aktionen des zivilen Ungehorsams, dazu gehören auch Blockaden und Platzbesetzungen. Ein Teil der Anwohner wird wahrscheinlich resignieren , ein anderer Teil sich eher radikalisieren, wenn wirklich mit den Bomben abwürfen begonnen wird. Das Sommercamp 2003 hat einen Aufruf veröffentlicht. Darin wird dafür geworben, dass mindestens 200 Gruppen in die FREIe HEIDe kommen. Für jeden der vorgesehenen Flugtage eine. In den umliegenden Gemeinden wächst die Bereitschaft zum zivilen Ungehorsam. In Larzac in Frankreich wurde es uns schon vor 10 Jahren vorgemacht. Dort sollte auch ein riesiges Militär-Übungsgebiet eingerichtet werden. Durch anhaltenden Widerstand wurde das verhindert. Im August trafen sich in diesem abgelegenen Gebiet zum Jubiläum des Widerstandes 150 000 Menschen. Nun gilt es in der FREIen HEIDe ebenso zu mobilisieren. Die nächsten Termine stehen bereits fest. Informationen gibt es im Internet unter www.freieheide-nb.de.

Militärische Besessenheit

Egal wie die Gerichtsverfahren ausgehen ist festzustellen, dass die Bundesregierung mit ungeheurer Energie, ja geradezu einer Besessenheit die Benutzung des Bombodroms will. Warum? PAX REPORT Nr. 4-2003 berichtete schon, dass dort die EU-Eingreiftruppen trainiert werden sollen. So stellt sich also unsere Regierung die zukünftige Politik vor. Verteidigung am Hindukusch und Präventivkriege. Wir merken also für unser politisches Lehrstück: Friedenspolitik hat keinen Stellenwert.

Die Bundesregierung hat in einem Schriftsatz für das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, die Kyritz-Wittstocker Heide wäre das einzige Bombenabwurfgebiet, über das sie selbst bestimmen könnte. Es gibt jetzt schon eines in Nordhorn (Niedersachsen), über das die Briten bestimmen und ein zweites in Siegenburg (Bayern), über das die USA bestimmen. Auf diesen Gebieten hat also Deutschland de facto keine Souveränität.

Das ist ein weiterer Punkt für unser politisches Lehrstück. Hier gibt es also noch die Vasallentreue gegenüber den USA. Nur um es mit den USA nicht zu verscherzen, werden entgegen dem Völkerrecht, dem Grundgesetz und dem NATO-Vertrag US-Militärstützpunkte auf deutschem Boden zur Verfügung gestellt. Es muss damit Schluss gemacht werden, dass sogar fremde Ländern auf unserem Boden das Töten üben, und wir stellen ihnen auch noch umsonst unseren Boden dazu zur Verfügung!! Natürlich ist das Töten üben durch eigene Soldaten genau so verwerflich. Wie passt das überhaupt zu unseren Verpflichtungen aus dem 2+4-Vertrag und dem Grundgesetz, wonach von deutschem Boden nur Frieden ausgehen soll?

Fazit

Das Fazit aus dem politischen Lehrstück lautet also:
  1. Auf Hilfe durch Gerichte ist kein Verlass**
  2. Politiker finden meist einen Weg, ein nicht genehmes Urteil außer Kraft zu setzen.
  3. Sobald sie in der Regierung sind, werfen die meisten Politiker ihre Überzeugungen über Bord.
  4. Das Motiv der meisten Politiker für ihre Tätigkeit ist nur selten das Wohl der Allgemeinheit.
  5. Im Zweifelsfall ist es deutschen Politikern wichtiger bei den USA beliebt zu sein, als sich an das Friedensgebot zu halten.
  6. Friedenspolitik hat keinen Stellenwert.
  7. Nur anhaltender Widerstand der Bevölkerung kann Kriegsvorbereitungen behindern.
** Anmerkung der Redaktion: H.-P. Richter hat den Artikel vor der Entscheidung des Amtsgerichts Potsdam vom 18. September 2003 geschrieben.

* Hans-Peter Richter ist Redakteur der Zeitschrift pax report des Deutschen Friedensrats; Mitarbeit in der Berliner "Achse des Friedens" sowie im Bundesausschuss Friedensratschlag.

Aus: PAX REPORT, Nr. 5, September/Oktober 2003, S. 1-3


Zur Seite "Militärstandorte"

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage