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Naturschützer fordern naturverträgliche Folgenutzung des Truppenübungsplatzes

Gemeinsame Pressemeldung von NABU, BUND und LNV zum Truppenübungsplatz Münsingen

Im Folgenden dokumentieren wir eine Pressemitteilung vom 18. Oktober 2004 sowie ein ihr zugrunde liegendes Positionspapier.


Naturschutz vor Ort · 18.10.2004

Tübingen/Stuttgart - Das Gelände des Truppenübungsplatzes Münsingen muss auch für die Zukunft als Einheit erhalten und großräumig gesichert werden. Das fordern Vertreter von zehn Naturschutzverbänden, darunter die neun anerkannten, von der Landesregierung. Sie übergaben heute in Tübingen ihr gemeinsames Positionspapier zur Folgenutzung des Truppenübungsplatzes Münsingen an Regierungspräsident Wicker.

"Das gemeinsame Positionspapier aller Naturschutzverbände ist ein entscheidender Schritt voran. Es steckt den Rahmen ab für die zukünftige Nutzung des Truppenübungsplatzes, die dem hohen ökologischen Wert des Geländes gerecht wird", lobt Dr. Heiner Grub, Vorstandsmitglied des Landesnaturschutzverbands LNV, die Initiative des Schwäbischen Albvereins und des Naturschutzbund NABU, auf die das Papier zurückgeht.

Michael Spielmann, Geschäftsführer des BUND Baden-Württemberg, betont die Einzigartigkeit des Gebietes: "Der Erhalt dieses einmaligen Naturerbes von europaweiter Bedeutung hat höchste Priorität. Nun muss schnell ein umfassendes Konzept erstellt werden, das konkrete Vorgaben macht, welche Nutzungen mit den Naturschutzzielen vereinbar sind".

"Wir wollen gemeinsam mit den Menschen der Region nach den besten Folgenutzungen des Truppenübungsplatzes suchen", unterstreicht Ingo Ammermann, Landesvorstandsmitglied des NABU. "In einer sanften, naturverträglichen Nutzung des Platzes z.B. durch Schäferei und Tourismus sehen wir große Entwicklungspotenziale für die Region." Andere Bundesländer hätten sehr erfolgreich vorgemacht dass der Schutz der Natur in Premium-Schutzgebieten einen wichtigen Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Infrastruktur leisten könne.

Gemeinsam fordern die Naturschutzverbände das Land Baden-Württemberg auf, sich für eine schnelle Regelung der Flächenübernahme einzusetzen und die Gestaltungskompetenz für die Region sichern. Von Regierungspräsident Hubert Wicker wünschen sie sich, in der Region auf eine international anerkannte Modellregion hinzuarbeiten.

Hintergrund

Die Bundeswehr zieht Ende 2006 vom Truppenübungsplatz ab. Das Gelände ist noch im Besitz des Bundes. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen die Eigentumsfrage, die noch unklare Belastung mit Kampfmittelresten und die damit zusammen hängenden offenen Fragen zu Haftung.

Die rund 6.700 ha große Fläche wurde von der Landesregierung fast vollständig für das europäische Schutzgebietsnetz NATURA2000 gemeldet. Damit verpflichtet sich die Landesregierung, das Gebiet in seiner heutigen Naturschutz-Qualität mindestens zu erhalten.

Weitere Informationen sowie das gemeinsame Positionspapier unter www.nabu-bw.de.

Hutelandschaft Münsinger Hardt

Gemeinsames Positionspapier der Naturschutzverbände zur Zukunft des Truppenübungsplatz Münsingen

Der Truppenübungsplatz Münsingen weist eine Vielzahl von Lebensräumen, Tier- und Pflanzenarten auf, für die landes-, bundes- und europaweit eine hohe Schutzpriorität besteht. Zudem zählt das Gebiet zu den letzten und größten unzerschnittenen Räumen des Landes. Damit besitzt dieses baden-württembergische und schwäbische Naturerbe europaweite Bedeutung. Die Landesregierung meldete rund 90% der Truppenübungsplatz-Flächen für das europäische Schutzgebietsnetz NATURA2000. Damit verpflichtet sie sich, diese Flächen in der heutigen Qualität zu erhalten.

1) Großräumige Sicherung

Spätestens mit dem Abzug der Bundeswehr müssen mindestens die als NATURA2000-Gebiete gemeldeten Flächen (Vorschlagsliste März 2004) des Truppenübungsplatzes als Naturschutzgebiete ausgewiesen werden. Sie werden damit als spätere Kernzonen eines großräumigen Schutzgebiets in der Region gesichert (siehe gemeinsamer Antrag der Naturschutzverbände vom 24.6.2002).

2) Die Eigentumsfrage zügig klären

Das Eigentum ist eine Schlüsselfrage für die Zukunft des Truppenübungsplatzes. Das Land Baden- Württemberg ist in der Pflicht, durch Übernahme der Flächen diese einmalige Chance zu ergreifen.
Um die Gestaltungs- und Entscheidungskompetenz für Land und Region zu sichern, muss das Land die Verhandlungen mit dem Bund zügig abschließen.
In einem Zweckverband oder einem anderen Trägerkonstrukt müssen neben dem Land und den regionalen Körperschaften auch die Naturschutzverbände beteiligt werden.

3) Die Natur durch sanfte Nutzung erhalten

Für die Fläche des gesamten Truppenübungsplatzes muss ein naturschutzfachliches Gesamtkonzept erstellt werden. Ziel des Gesamtkonzeptes ist es, auch in Zukunft den hohen Wert der Natur- und Kulturlandschaft mit ihrer Arten- und Lebensraumvielfalt zu erhalten und zu verbessern sowie Alternativen für die bisherige militärische Nutzung zu finden. Es muss für die verschiedenen Bereiche den Schutz- und Entwicklungsbedarf, Nutzungsmöglichkeiten und die notwendigen Pflegemaßnahmen benennen.
Verschiedene Nutzungsarten sind denkbar, sofern sie mit den naturschutzfachlichen Zielen vereinbar sind und nicht durch Kampfmittelreste ausgeschlossen werden. Mögliche neue Ideen sind wie die bestehenden und die nachfolgend genannten Nutzungen im Rahmen des Gesamtkonzepts zu prüfen.
  • Der Truppenübungsplatz ist geprägt durch die Schafbeweidung. Die extensive Wanderschäferei soll daher als vorherrschende Nutzung der offenen Flächen erhalten und gesichert werden. Eine Ausdehnung oder Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere des Ackerbaus, lehnen die Naturschutzverbände nicht zuletzt aus Trinkwasserschutz-Gründen (große Teile des Gebiets sind Wasserschutzzone II und III) ab.
  • Die Naturschutzziele respektierender, gelenkter Tourismus (Wanderwege; geführte Wanderungen, Natur und Wildnis, Stille und Sternenhimmel erleben).
  • Nachhaltige jagdliche Nutzung im Rahmen eines auf Naturschutzziele ausgerichteten Wildmanagements.
  • Nachhaltige Forstwirtschaft mit Ausweisung von Bann- und Schonwaldflächen. Die aufgeforsteten Fichtenbestände sollten je nach Entwicklungsstand in naturnahen Wald umgebaut oder wieder in Weideland rückgeführt werden.
  • Eine wirtschaftliche Nutzung (vor allem in den bebauten Bereichen) ist denkbar und erwünscht, sofern sie mit dem Gesamtkonzept vereinbar ist (s.o. und Punkt 4).
4) Das „Alte Lager“: Impuls für die Region durch vielfältige Nutzung

Für das Alte Lager (124 Gebäude in überwiegend gutem Zustand, davon ca. 100 unter Denkmalschutz) muss ein schlüssiges Nutzungskonzept erstellt werden. Wesentliches Kriterium für die Zulassung einzelner Nutzungsarten ist die Verträglichkeit mit dem naturschutzfachlichen Gesamtkonzept für den Truppenübungsplatz.
Die Anlage eines großen Vergnügungsareals durch einen Großinvestor mit Ausdehnung auf angrenzende Flächen lehnen die Naturschutzverbände ab. Vielmehr ist angesichts der enormen Größe des Alten Lagers eine vielfältige Nutzungsmischung anzustreben, die flexible Lösungen für den Bedarf und die Entwicklung der Region ermöglicht.
In Frage kommen unter anderem: Naturschutz-, Umweltbildungs- und Infozentrum; Infrastruktur für sanften Tourismus; Uni- und Fachhochschulzentrum; Gastronomie; Handwerkerpark (ausgehend von Betrieben zur Pflege und Entwicklung des Geländes); Wohnnutzungen; Museen; Präsentationen und Veranstaltungen; beschränkte Erprobung von Testfahrzeugen im bisherigen Umfang und nur auf aus naturschutzfachlicher Sicht geeigneten Flächen.

5) Den Truppenübungsplatz als Einheit erhalten

Ein wesentliches Merkmal des Übungsplatzes ist die enorme Größe des Platzes (6.700 ha) und seine Unzerschnittenheit (d.h. keine breiten, oft befahrenen Straßen, keine Verlärmung, keine diffuse Verschmutzung durch Lichtquellen). Eine Rückgabe von Teilflächen an umliegende Gemeinden wird von den Naturschutzverbänden daher abgelehnt.
Der Sinn des geplanten L230-Ausbaus muss kritisch hinterfragt werden. Sollten die Autobahnanbindung und Ortsumfahrungen trotzdem gebaut werden, könnten Teilstücke der Panzerringstraße am Südrand des Platzes für den öffentlichen Verkehr genutzt werden, wenn der Truppenübungsplatz dadurch nicht zerschnitten oder beeinträchtigt und keine weitere öffentliche Straße gebaut wird. Dieses Vorhaben darf gemäß der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie keine Verschlechterung des NATURA2000-Gebietes mit sich bringen.
Die von Teilen der Raumschaft geforderte Verbindung zwischen Römerstein-Zainingen und Münsingen wird aufgrund der durch EU-Recht (NATURA2000) vorgegebenen Verträglichkeitsprüfung nicht realisierbar sein. Die Naturschutzverbände lehnen die Straße ab, da sie nicht erforderlich ist und von ihr eine erhebliche Zerschneidungswirkung ausginge. Zudem würde sie die Besucherlenkung erschweren bzw. einem Lenkungskonzept vorgreifen.

6) Entwicklungschancen für die Region ergreifen

Die Konversion des Truppenübungsplatzes ist für Mensch und Natur in der ganzen Region der Mittleren Schwäbischen Alb eine Jahrhundertchance. Sie sollte weit über die Grenzen des Truppenübungsplatzes hinaus genutzt werden. Die Regional- und Landespolitik muss diese Chance ergreifen und in ein zukunftsweisendes Konzept umsetzen, das den Kriterien einer naturverträglichen Regionalentwicklung gerecht wird. Der Truppenübungsplatz sollte langfristig den Kern eines sehr viel größeren Gebiets bilden, das Dank seiner Naturausstattung Impulse für die Regionalentwicklung setzt:
  • Eine starke Marke kann landes- und bundesweit mit den Alleinstellungsmerkmalen Weite, Stille und Unzerschnittenheit für die Natur-Region werben und den Wettbewerb mit anderen Tourismusregionen bestehen. Unter einem solchen Markenzeichen kann unter anderem ein vielfältiges regionales Freizeitangebot gebündelt werden: von verschiedenen Möglichkeiten des Naturerlebnis zu allen Jahreszeiten und bei jedem Wetter bis hin zu anderen touristischen Angeboten und Sehenswürdigkeiten. Dadurch wird der Fremdenverkehr belebt und die Verweildauer der Gäste verlängert.
  • Die Regionalentwicklung muss gestärkt werden, so dass Wertschöpfung und Arbeitsplätze entstehen und die Infrastruktur – u.a. ÖPNV-Anbindung – erhalten oder ausgebaut werden kann. Mit Hilfe eines international anerkannten Markenzeichens für naturverträgliche Regionalentwicklung können landes-, bundes- und europaweit Fördermittel eingeworben werden.
    Die Naturschutzverbände schlagen vor, ein bewusst weit gefasstes Gebiet „Hutelandschaft Münsinger Hardt“ auszuweisen. Basis für die skizzierte regionale Entwicklung wäre eine international anerkannte Schutzkategorie, die Mensch und Natur gleichberechtigt nebeneinander stellt und im zukünftigen Landesnaturschutzgesetz vorgesehen ist. Sie könnte für die Schwäbische Alb zu einem weltweit anerkannten Markenzeichen werden.
Stand: 18.10.2004
Redaktion: Ingo Ammermann, NABU BW, Tübinger Str. 15, 70178 Stuttgart;
ingo.ammermann@NABU-tuebingen.de



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