Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Hochsicherheitstrakt zieht um

Verlegung des Europäischen Hauptquartiers der US-Army von Heidelberg nach Wiesbaden nimmt konkrete Formen an

Von Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden *

Ab 2013 soll das Europäische Hauptquartier der US Army von der hessischen Landeshauptstadt aus arbeiten. Kritiker warnen, dass damit auch die Gefahr terroristischer Anschläge in Wiesbaden wächst.

Mit einem feierlichen ersten Spatenstich »auf der grünen Wiese« haben am Dienstag (1. Dez.) im Wiesbadener Stadtteil Erbenheim offiziell die Arbeiten für den Bau einer neuen Wohnsiedlung begonnen. Hier sollen ab 2012 über 300 teilweise ranghohe US-Militärs und ihre Familien ein Domizil finden. Die Errichtung der Wohnanlagen ist Teil eines groß angelegten Projekts zur Verlegung des Europäischen Hauptquartiers der US Army (USAREUR) mit über 1000 Mitarbeitern von der Universitätsstadt Heidelberg in die hessische Landeshauptstadt. Ab 2013 soll die Einrichtung der hochmodernen militärischen Kommandozentrale abgeschlossen sein

Rund 17 000 Personen

Wiesbadener Eliten, Medien und Kommunalpolitiker, allen voran der an der Spitze der örtlichen Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen im Rathaus regierende Oberbürgermeister Helmut Müller (CDU), freuen sich über den Umzug auf das Gelände um den Erbenheimer Militärflughafen an der Autobahn A 66, auch »Airfield« genannt. Sie versprechen sich davon eine wirtschaftliche Belebung. Nach dem Umzug werden in Wiesbaden rund 17 000 Personen zur US-Militärgemeinde gehören: Berufssoldaten, Zivilangestellte und Familienangehörige.

Die Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung hatte schon im letzten Frühjahr mit der Mehrheit der Jamaika-Parteien CDU, FDP und Grüne die Verlegung des Europäischen Hauptquartiers begrüßt. Nur eine grüne Stadtverordnete scherte aus und stimmte gemeinsam mit der Linken Liste und anderen kleinen Oppositionsfraktionen mit Nein. Die SPD-Fraktion enthielt sich der Stimme. Für ihr striktes Nein führt die Linke Liste (LiLi) unterschiedlichste Argumente an. So befürchtet die dreiköpfige Fraktion durch den zusätzlichen Flächenverbrauch der US-Army im Umfang von etwa 50 Hektar vor allem ökologische Beeinträchtigungen: die Versiegelung klimatisch bedeutsamer Flächen rund um das »Airfield« und den Verlust wertvoller Agrarflächen, die bislang auch dem ökologischen Landbau dienten.

Ebenso warnen die linken Kommunalpolitiker vor einer Zunahme der Verkehrsbelastung auf ohnehin überlasteten Straßen und vor Mietpreissteigerungen, unter denen sozial Schwache und Kinderreiche zu leiden hätten. Dies wiederum begünstige den Wegzug vieler Familien in das Umland und damit noch größere Verkehrs- und Pendlerströme. Da die sich Militärgemeinde überwiegend in einem abgeschirmten Bereich abspiele, wo alle Geschäfte auf Dollarbasis abgewickelt würden, falle wenig für das einheimische Gewerbe ab, warnt LiLi-Chef Hartmut Bohrer.

Vor allem würden durch die Konzentration strategisch bedeutsamer militärischer Anlagen die Bundesrepublik Deutschland und Wiesbaden als Militärstandort immer stärker in völkerrechtswidrige Angriffskriege hineingezogen. Bei einer solchen Konzentration von hochrangigem Personal und militärischer Infrastruktur wachse auch die Gefahr terroristischer Anschläge, warnt der Stadtverordnete Jürgen Becker: »Erbenheim wird Hochsicherheitstrakt.«

Kein Mädchenpensionat

Der Erbenheimer bemängelt, dass die Erschließung um das »Airfield« vor allem von der Öffentlichen Hand und damit von den Steuerzahlern finanziert werde und fordert »bei so gravierenden Einschnitten in den Lebensraum ein Mitspracherecht der Anwohner«. Das US-Hauptquartier sei »weder eine Militärakademie noch ein Mädchenpensionat. Die Herrschaften, die dort wohnen, führen immerhin Krieg«, so Becker.

Wiesbaden ist seit 1945 ein wichtiger Stützpunkt der US Army, die zum Kriegsende Einrichtungen der Wehrmacht übernahm. Hier sind auch US-Einheiten stationiert, die im Zuge des Irak-Kriegs maßgeblich an den Folterungen im berüchtigten Gefängnis Abu Ghoreib beteiligt waren, was 2004 international für Aufsehen sorgte.

* Aus: Neues Deutschland, 2. Dezember 2009


Zur Seite "Militärstandorte"

Zurück zur Homepage