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Ein paar Kriege zum Geburtstag / Gut besuchte Gegendemonstration

Debatte über "Stärkung" deutscher Außenpolitik auf Münchner Sicherheitskonferenz *

Rund 2500 Menschen haben am Samstag in München gegen die Sicherheitskonferenz demonstriert. Im Anschluss an eine Kundgebung auf dem Marienplatz setzte sich ein Demonstrationszug rund um den weitflächig abgesperrten Tagungsort in Bewegung. Mehrere hundert Polizisten waren vor Ort, insgesamt sind im Rahmen der Sicherheitskonferenz 3100 Beamte im Einsatz.

Mit bunten Fahnen und Kostümen waren die Demonstranten bei strahlendem Sonnenschein unterwegs. Auf Transparenten forderten sie »Friedenspolitik statt Kriegspolitik« und reimten »NATO = Nahtod«. Das »Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz« sieht sich als Teil der weltweiten Friedensbewegung. Die Veranstalter riefen zu fantasievollem und gewaltfreiem Protest auf. Neben dem Hauptzug der Demonstration mischten sich Aktivisten unter die Passanten in der Münchner Fußgängerzone. Dabei gingen die Demonstranten einzeln hintereinander mit Plakaten vom Marienplatz zum Stachus.

250 bilaterale Gespräche habe sein Team am Rande der dreitägigen Konferenz ermöglicht, so Siko-Leiter Wolfgang Ischinger. Doch Lösungen für die Konflikte sind kaum in Sicht. Die Demonstranten vom »Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz« warfen den Tagungsteilnehmern vor, vor allem auf militärische Drohungen und Gewalt zu setzen.

Nach Bundespräsident Joachim Gauck zum Konferenzauftakt forderte auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ein stärkeres außenpolitisches Engagement Deutschlands. So prüfe die Bundesregierung gerade, wie man die Stabilisierung Malis »auch militärisch konkret unterstützen« könne. Scharfe Kritik übte der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger. »Gauck spricht nicht für alle. Das ist nicht unser Präsident.« Das Staatsoberhaupt bereite den geistigen Boden für eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik vor. Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Omid Nouripour, verwies darauf, dass es in Deutschland »eine historisch gewachsene Kultur militärischer Zurückhaltung« gebe, die »nicht einfach in kürzester Zeit« beiseite geschoben werden dürfe.

* Nach: neues deutschland, Montag, 3. Februar 2014


Kampfauftrag aus München

Von deutschem Boden darf keine Zurückhaltung mehr ausgehen: Bundespräsident Gauck und Wehrministerin von der Leyen rufen auf »Sicherheitskonferenz« zu »mehr Engagement« auf

Von Knut Mellenthin **


Laut einer ARD-Erhebung sind 61 Prozent der Befragten gegen die geplante Ausweitung der Bundeswehreinsätze in Afrika. Nur 30 Prozent können dem »militärischen Engagement« etwas abgewinnen. Aber der Propagandakrieg gegen die Mehrheitsmeinung ist bereits eröffnet. Gelegenheit zu Bekenntnissen wie am Fließband bot deutschen und ausländischen Politikern die alljährliche »Sicherheitskonferenz«, die am Wochenende in München stattfand. Scheinbar humanitäre Argumente wurden dabei völlig beliebig mit machtpolitischen Aufrufen vermengt, daß Deutschland endlich wieder eine wesentliche »größere Rolle in der Welt« spielen müsse.

Den Ton hatte Bundespräsident Joachim Gauck schon bei der Eröffnung am Freitag vorgegeben: Schluß müsse sein mit der angeblich bisher praktizierten »Kultur der Zurückhaltung« bei Militäreinsätzen. Deutschlands Rolle als Auslöser zweier Weltkriege dürfe nicht länger dazu führen, »sich hinter Weltabgewandtheit oder Bequemlichkeit zu verstecken«. Ihm folgte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die ihr nicht konkret erläutertes Interventionskonzept auf den griffigen, aber im Grunde nichtssagenden Slogan »Gleichgültigkeit ist keine Option, weder aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Sicht« brachte. Am Sonnabend war Außenminister Frank-Walter Steinmeier an der Reihe. »Deutschland muß bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substantieller einzubringen«, wiederholte er das nun schon bekannte Thema.

Es blieb Mainstreammedien wie Spiegel, FAZ und Welt vorbehalten, den Münchner Aufbruch zu neuen Ufern enthusiastisch zu bejubeln und die pathetischen Politikerphrasen ins Deutsche zu übersetzen: Mehr Bundeswehr-Soldaten als bisher auf mehr Kriegsschauplätzen. Aber, so mäkelte Christiane Hoffmann am Sonntag in der Onlineausgabe des Spiegel: »Der große Sprung nach vorn ist das noch nicht. Gleichzeitig geht das Morden in Syrien weiter, der Konflikt in der Ukraine eskaliert. Hier wird die deutsche Außenpolitik beweisen müssen, daß sie ihren Worten Taten folgen läßt.«

Der Wunsch nach deutschen »Taten« bestimmte auch die Reden von US-Außenminister John Kerry und Verteidigungsminister Chuck Hagel am Sonnabend. Beide beschworen eine »transatlantische Renaissance«. Kerry erläuterte das so: »Um den derzeitigen Herausforderungen nah und fern zu begegnen, braucht Amerika ein starkes Europa, und Europa braucht ein voll und verbindlich engagiertes Amerika. Das bedeutet, daß Selbstbeschränkung für niemand von uns eine Option ist. Wenn wir zusammen führen, werden andere uns folgen.«

Wohin andere Länder und gesellschaftliche Kräfte den USA und ihren europäischen Verbündeten folgen sollen, machten Kerrys Äußerungen zur Ukraine und zu Syrien deutlich. Die Münchner »Sicherheitskonferenz« stand in ihrer 50jährigen Geschichte vielleicht noch niemals, zumindest aber nicht in den letzten Jahren, so demonstrativ im Zeichen einer aggressiven Herausforderung Rußlands. Gegen Syrien brachte Kerry wieder die schon überwunden geglaubten Kriegsdrohungen ins Spiel, weil der Abtransport der chemischen Waffen aufgrund der landesweiten Kämpfe hinter dem Zeitplan liegt. Gleichzeitig drängte er Moskau, auf die syrische Regierung Druck auszuüben – wohlwissend, daß Rußland gerade das um so weniger tun wird, je öffentlicher und unverschämter solche Forderungen erhoben werden.

In Sachen Ukraine waren sich ohnehin alle westlichen Politiker, die in München auftraten, völlig einig: Deren Zukunft habe gefälligst in der EU zu liegen, wie es der Präsident des Europarats, Herman Van Rompuy, formulierte. Sichtbarster Ausdruck war der groteske Zirkus, der am Rande der Konferenz um Witali Klitschko veranstaltet wurde. Fast alle westlichen Teilnehmer standen Schlange, um sich in die Tanzkarte des früheren Boxers einzutragen. Mehr als viertelstündige Begegnungen sprangen dabei aus Zeitnot nicht heraus.

In dem aufgeheizten Klima hatte es Sergej Lawrow mit seiner Mahnung zur Vernunft schwer. Die Behauptung, daß die Ukraine zwischen Rußland und dem Westen wählen müsse, sei kontraproduktiv, sagte der russische Außenminister. »Von Kerry mit seiner Erfahrung und Besonnenheit habe ich eine solche Agitation am wenigsten erwartet.« Und, vielleicht etwas gekünstelt naiv: Er könne nicht verstehen, daß sich die NATO-Staaten derart vorbehaltlos mit gewalttätigen Protesten solidarisieren, gegen die sie im eigenen Land schärfstens vorgehen würden.

** Aus: junge Welt, Montag, 3. Februar 2014


Das Ende der Zurückhaltung

Münchner Sicherheitskonferenz propagiert Militarisierung deutscher Außenpolitik

Von Olaf Standke ***


Berliner Spitzenpolitiker nutzten die Münchner Sicherheitskonferenz vor allem, um den Boden für eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik zu bereiten.

Der Bundespräsident hatte den Ton am Freitag vorgegeben, der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, begrüßte die Äußerungen Joachim Gaucks überschwänglich, und Außenamtschef wie Verteidigungsministerin folgten dem Leitgedanken am Wochenende: Das deutsche Staatsoberhaupt forderte in seiner Eröffnungsrede beim Jubiläumstreffen im Hotel »Bayerischer Hof« nachdrücklich ein deutlich ausgeweitetes außenpolitisches Engagement der Bundesrepublik, bis hin zu mehr Verantwortungsübernahme in der NATO - was bei einem Militärbündnis schon laut Definition eine Ausweitung von militärischen Einsätzen einschließt.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der bereits in seiner Bundestagsgrundsatzrede vor einigen Tagen gegen eine »Kultur des Heraushaltens« zu Felde gezogen war, erklärte vor den Konferenzteilnehmern, dass Deutschland schlicht zu groß sei, »um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren«. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wurde konkreter und machte sich für eine intensivere militärische Kooperation zwischen einzelnen Staaten der Europäischen Union stark. Ziel seien »Gruppen von Staaten, größere und kleinere, die sich freiwillig zusammenschließen«. Unter der Koordination einer Rahmennation sollten sie dann etwa »an gemeinsamer Ausbildung und Übungen« arbeiten. Dieser Ansatz sei dazu geeignet, »sowohl die NATO als auch die EU zu stärken«. Und natürlich sei Deutschland »bereit, als Rahmennation oder als beteiligte Nation seinen Beitrag zu leisten«.

Man könnte also von einer präsidial unterstützen konzertierten Aktion der neuen schwarz-roten Bundesregierung sprechen, zumal auch die in München fehlende Bundeskanzlerin Angela Merkel zuvor in der Hauptstadt zur Einmischung in internationale Krisen aufgerufen hat. Am Bundestag vorbei und gegen die große Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit werde hier propagiert, dass Schluss sein soll mit der Politik der Zurückhaltung, mit den Vorbehalten gegen Militäreinsätze, kritisiert Wolfgang Gehrcke, stellvertretender Vorsitzender der linken Bundestagsfraktion. So gesehen sei diese 50. Sicherheitskonferenz auch eine Verabredung gegen Parlamentsrechte. Mit einer Pappmaschee-Torte, die mit einem als »Tötungsmaschine« bezeichneten Soldaten dekoriert war, gratulierten Friedensaktivisten am Wochenende auf ihre Weise zum Jubiläum.

Washingtons Spitzenvertreter, Außenminister John Kerry und Pentagon-Chef Chuck Hagel, erwarten sich allerdings von Deutschland schnell mehr als Worte. Bislang seien lediglich wenige Länder bereit, wirklich Führung zu übernehmen, denn das bedeute, entsprechende militärische Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Weltwirtschaftskrise hin, Budgetzwänge her, »auch die Europäer müssen ihren Teil leisten«, so Hagel, sonst stimme etwas mit der politischen Führung nicht.

Über den NSA-Skandal wollten Obamas Abgesandte beim Forum der transatlantischen Partnerschaft allerdings nur vage reden. Der Name des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes, der bei seinen weltweiten flächendeckenden Überwachungsaktionen selbst vor Merkels Handy nicht Halt machte, fiel in Kerrys Ausführungen nicht einmal. Steinmeier schwieg, und sein Washingtoner Amtskollege floskelte, man müsse nun nach vorn schauen - ohne das von Berlin gewünschte bilaterale No-Spy-Abkommen. Dafür widmete sich Kerry lieber all jenen Regimes, die andernorts massiv Bürgerrechte verletzten.

Während die USA, die NATO und die EU der prowestlichen Opposition um den eigens aus Kiew angereisten Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko den Rücken stärkten und Moskau aufriefen, das Recht der Ukrainer auf Selbstbestimmung zu respektieren, warf ihnen der russische Außenminister Sergej Lawrow vor, die Unruhen noch zu schüren. Schon im Jahr 2007 habe der Nordatlantik-Pakt beschlossen, dass die Ukraine eines Tages Mitglied werden solle: »Hier wird eine Wahl aufgezwungen.« Die Gräben zwischen dem Westen und Russland traten einmal mehr deutlich zutage, auch in Sachen Syrien oder beim Streit über die geplante US-Raketenabwehr in Europa. Lawrow beschuldigte die NATO, sein Land zu bedrohen. Was sind da Erklärungen von Kerry, Steinmeier oder NATO-Generalsekretär Rasmussen Wert, man wolle weiter die Kooperation mit Moskau suchen, um Konflikte wie in Syrien oder mit Iran zu lösen?

*** Aus: neues deutschland, Montag, 3. Februar 2014


Wegschauen

Theatralische Posen in München

Von Knut Mellenthin ****


»Gleichgültigkeit ist keine Option«, verkündete Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf der Münchner »Sicherheitskonferenz«. Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der offenbar in seinem Leben viel zu oft auf der Reservebank sitzen mußte, formulierte den gleichen Gedanken so: »Deutschland ist eigentlich zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren.« Emotional sehr viel direkter hatte es von der Leyen schon kurz zuvor dem Spiegel gesagt: »Wir können nicht zur Seite schauen, wenn Mord und Vergewaltigung an der Tagesordnung sind.« Was sie praktisch meinte, war die Entsendung deutscher Soldaten in afrikanische Bürgerkriegsgebiete.

Es gibt rund 200 Staaten. In etwa der Hälfte davon werden die Menschenrechte erheblich verletzt. In mehr als 30 Ländern werden die Übergriffe aufgrund ihrer Häufigkeit und Schwere von Menschenrechtsorganisationen als »sehr ernst« eingestuft. In der Spitzengruppe liegen unter anderem Nigeria, Jemen, Myanmar (das frühere Birma), Irak, Somalia, Pakistan, Kongo, Sudan – um nur einige der möglichen kommenden Einsatzgebiete der Bundeswehr zu nennen.

Aber keine Angst: Es wird nicht im entferntesten so schlimm werden. Denn weder Ursula von der Leyen noch Frank-Walter Steinmeier oder Bundespräsident Joachim Gauck meinen wirklich das, was sie sagen. Sie alle sind Meister im Wegschauen, wenn es um weltweite Menschenrechtsverletzungen und humanitäre Katastrophen geht. Keiner in der Bundeswehr muß derzeit befürchten, daß er nach Saudi-Arabien oder Pakistan geschickt wird, um Regierungen zu stürzen und Staaten zu destabilisieren. Deutschen Soldaten wird auch der Kampf gegen die dschihadistischen Massenmörder, Vergewaltiger und Folterer erspart bleiben, die auf saudische Rechnung aus aller Welt in Syrien zusammengeströmt sind.

»Mord und Vergewaltigung« führen deutsche Regierungspolitiker nur als nützliche Propagandaversatzstücke ins Feld. In Wirklichkeit werden Auslandseinsätze der Bundeswehr auch künftig ausschließlich aufgrund politischer und wirtschaftlicher Interessen angeordnet.

Die große theatralische Pose, einfach nicht »wegschauen« zu können, überkommt deutsche Regierungspolitiker ohnehin nur, wenn es um die Anwendung militärischer Gewalt geht. Es handelt sich also um bloße Heuchelei. Und zwar von der allerwiderlichsten Art, weil sie sich auf die Opfer beruft. Emotionalität, menschliche Anteilnahme und vor allem schnelle, tatkräftige Hilfe fehlen immer da, wo nicht für Kriege geworben werden soll. So beispielsweise, als vor wenigen Jahren in Somalia Hunderttausende aufgrund einer außerordentlich langen Dürreperiode starben. Das sind im Zeitalter der modernen Technologie und Prognostik keine unberechenbaren Naturkatastrophen mehr, sondern vorauszusehende Abläufe. Rechtzeitige Hilfe hätte Hunderttausenden Menschen, die überwiegende Mehrheit von ihnen kleine Kinder, das Leben retten können. Aber die, die angeblich nicht wegschauen können, taten genau das.

**** Aus: junge Welt, Montag, 3. Februar 2014 (Kommentar)


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