"Terrorismus und demokratische Gesellschaften"
Brajesh Mishra, Nationaler Sicherheitsberater Indiens auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2002
Auch in Südasien bleibt die Situation angespannt. Eine Annäherung der Standpunkte zwischen Indien und Pakistan, deren Vertreter auf der Münchner Sicherheitskonferenz sprachen, ist nicht in Sicht. Die Rede des indischen Sicherheitsberater lässt keinen Zweifel über die Entschlossenheit Indiens aufkommen, den Kampf um Kaschmir (darum geht es, nicht um den "Terrorismus") weitzerhin militärisch auszutragen. Wir dokumentieren die Rede im Wortlaut.
Danke für diese Gelegenheit, meine Ansichten über eine
schreckliche Realität der heutigen Welt mit Ihnen teilen zu
dürfen, die Realität der Bedrohung der demokratischen
Gesellschaften durch die Globalisierung des Terrors.
Es macht mir keine Freude zu sagen, daß wir in Indien diese
Realität über viele Jahre hinweg erfahren haben. Es mußte erst
der 11. September kommen, um das globale Außmaß des
Terrorismus in dramatischer Weise in das kollektive Bewußtsein
der Welt zu rücken.
Die Welt erkennt jetzt, daß Terrorismus nur dann effektiv
bekämpft werden kann, wenn man global und umfassend gegen
ihn vorgeht. Die Resolution 1373 des UNO-Sicherheitsrates
deutet die richtige Richtung an, aber die Demokratien in der Welt
müssen wirksam bei ihrer Verwirklichung zusammenarbeiten und
ihre Einhaltung durch andere Länder sicherstellen. Das erfordert
einen kollektiven politischen Willen, der nicht von kurzfristigen
politischen oder ökonomischen Gesichtspunkten verwässert
werden darf. Was auch immer unsere politische Vorliebe oder
unsere strategischen Berechnungen sein mögen, wir können
nicht den Terrorismus in irgendeiner Region dulden und ihn
woanders verdammen, denn diese Nachsicht wird auf uns alle
zurückfallen. Wir müssen die drei lebenswichtigen Säulen der
Terrorgruppen bekämpfen: Verstecke, Geldquellen und Waffen.
Es ist nur zu verständlich, daß demokratische multikulturelle
Gesellschaften das Primärziel des Terrorismus sind. Gleichzeitig
sind sie natürlich am leichtesten verwundbar. Terroristen beuten
die zivilen Freiheiten, religiöse Toleranz und kulturelle Vielfalt in
unseren Ländern aus. Sie versuchen, unser demokratisches
Gewebe zu zerstören, indem sie sektiererische Bestrebungen
unterstützen, kulturelle Spannungen fördern und uns
letztendlich unserer ursprünglichen Freiheit berauben, die sie
selber ausgenutzt haben.
Es ist auch Tatsache, allerdings oft außer Acht gelassen, daß die
Förderung, die Grundlagen und die Finanzierung des Terrorismus
von totalitären Militär- oder theokratischen Regimes kommen. Sie
nähren und unterstützen extremistische Terrorgruppen, um so
ihre politischen Ziele durchzusetzen. Im Gegenzug machen sich
diese Gruppen für die Regimes unentbehrlich, indem sie durch
externe Kampagnen und Ablenkungsmanöver von den
Unzulänglichkeiten ihrer inneren Systeme ablenken.
Hier sind die Wurzeln des Terrorismus zu finden. Jene, die auf
den "Entstehungsgründen" des Terrorismus herumreiten, sollten
anerkennen, daß sie im militärischen Abenteuertum und in
religiösem Extremismus, die von totalitären Regimes gefördert
werden, zu finden sind.
Demokratien sind anfälliger gegenüber dem Terrorismus, auch
weil unsere Werte effektive antiterroristische Aktionen
verhindern. Aufdringliche Überwachung, Beschneidung der
Freiheiten, Einschränkung der Bewegungsmöglichkeiten und
andere derartige anstrengende Sicherheitsprozeduren sind
höchst unbeliebt, weil sie unsere Lebensqualität
beeinträchtigen. Heute müssen wir uns mit einigen
Beschränkungen unserer Rechte und Freiheiten abfinden, so daß
wir der weitaus destruktiveren Bedrohung durch den Terrorismus
entgegenwirken können. Wir müssen entschiedene, strenge und
energische Schritte gegen die Terroristen einleiten, die sowohl
bestrafende als auch abschreckende Wirkung haben. Sogar
während wir Selbstbeschränkung und Fairness von unserer
Polizei und den Sicherheitsbehörden fordern, sollten wir
anerkennen, daß außerordentliche Umstände effektive
Maßnahmen erfordern. Die Menschenrechte der Terroristen
können nicht über die ihrer Opfer gestellt werden, nicht nur die,
die von Ihren Geschossen getroffen werden, sondern auch die
Generationen, denen ein normales Leben und wirtschaftlicher
Fortschritt durch das Vorherrschen des Terrorismus verwehrt
wird.
Manchmal wird zwischen verschiedenen Akten des Terrorismus
unterschieden. In einigen Fällen will man uns Glauben machen,
daß es nicht Terrorismus ist, sondern Freiheitskampf. Es wird
auch behauptet, daß der Kampf gegen den Terrorismus ein
Kampf um die Herzen und Hirne der Bevölkerung ist, die den
Terroristen Unterschlupf gewährt. Diese oberflächliche
Argumentation widerspricht jeder Logik. Sie behaupten, daß
Osama bin Ladens Verbündete Freiheitskämpfer sind, wenn sie
in einem Land aktiv sind und Terroristen, wenn sie woanders
operieren. Sie deuten auch an, daß Freiheitskämpfer
rücksichtslos Zivilisten massakrieren können, die sie zu befreien
beabsichtigen, ohne daß sie die Unterstützung der Bevölkerung
verlieren. Sie ignorieren die Tatsache, daß es nicht
Unterstützung der Bevölkerung ist, sondern eine Angstpsychose
der Gewalt, welche die schweigende Mehrheit in diesen
Gesellschaften unterdrückt. Wir haben das in Indien im Falle von
Punjab sehr deutlich gesehen, wo terroristische Separatisten in
den achtziger Jahren zuschlugen und von außen großzügige
Unterstützung in Form von Zuflucht, Finanzen, Waffen und
Ausbildung erhielten. Fortgesetztes entschiedenes Handeln
unserer Sicherheitskräfte hat diese Bedrohung abgewendet und
die demokratischen Prozesse in Punjab wiederhergestellt.
Bezeichnenderweise hat keine dieser sogenannten
Volksgruppen versucht, ihre Unterstützung in der Bevölkerung zu
überprüfen, indem sie an Wahlen teilnahmen, obwohl ihnen
diese Möglichkeit offenstand. Gleichermaßen bezeichnend
besteht die Bewegung für Khalistan, wie die Separatisten ihren
Wunschstaat nannten, heute nur außerhalb Indiens, und es
überrascht kaum, daß viele ihrer Anführer im selben Nachbarland
leben, welches ihre terroristischen Aktionen gesponsort hat. Seit
mehr als einem Jahrzehnt werden wir derselben Bedrohung in
Jammu und Kaschmir ausgesetzt.
Die internationale Koalition gegen den Terrorismus muß sich
immer bewußt sein, daß der Terrorismus ein globales Netz
besitzt. Es wäre falsch, all unsere Anstrengungen auf ein
einziges Genie des Übels zu konzentrieren, auf Osama bin Laden
als ob seine Ausschaltung die von ihm aufgebaute Organisation
tödlich treffen würde. Unsere Aufmerksamkeit sollte nicht nur
darauf gerichtet sein, wie er entwischt ist. Wir sollten uns
fragen, wohin und wie die große Mehrheit der Taliban- und AI
Kaida-Kämpfer nach dem 7. Oktober entkommen ist. Wo sind die
tausenden von ausländischen Kämpfer und Berater der Taliban,
die in Kunduz in der Endphase der Militäraktion eingeschlossen
waren und dennoch eine glückliche und mysteriöse Fluchtroute
fanden. Das sind Fragen von langfristiger Bedeutung für die
internationale Kampagne gegen den Terrorismus. Jeder, der die
Landkarte der Region betrachtet, versteht, warum das für Indien
eine Frage unmittelbarer Sicherheitsbedenken ist. Deshalb
möchte Indien auch konkrete Beweise einer Verringerung der
terroristischen Aktivitäten jenseits seiner Grenzen haben, bevor
es zu militärischer De-Eskalation übergeht.
Die wichtigste Lehre für die demokratische Welt aus dem 11.
September ist die Notwendigkeit engerer operativer
Zusammenarbeit und stärkeren Austausches von
nachrichtendienstlichen Erkenntnissen zur Bekämpfung des
Terrorismus. Es erinnert mich an ein Fernsehinterview, in dem
unser Außenminister vor kurzem beschrieb, wie Indien vier
Terroristen freilassen mußte, um die Freilassung von über 150
Passagieren eines Flugzeuges der Indian Airlines zu erreichen,
welches im Dezember 1999 nach Kandahar entführt worden war.
Es war bekannt, daß die freigelassenen Terroristen in
Verbindung mit Osama bin Laden standen. Der das Interview
führende Journalist bemerkte witzelnd, daß Indien durch die
Freilassung der Terroristen zumindest teilweise für die Angriffe
vom 11. September verantwortlich war! Das ist natürlich eine
lächerliche Behauptung. Aber es bedarf nicht allzuviel Phantasie
zu verstehen, daß bei engerer Zusammenarbeit der
Sicherheitskräfte und Geheimdienste demokratischer Staaten im
vergangenen Jahrzehnt durchaus das Anwachsen der
internationalen Terrormaschine zu dem Frankenstein von heute
hätte vermieden werden können.
Nationale Geheimdienste sind traditionell unwillig, ihre
Informationen mit ihren Gegenübern selbst in eng verbündeten
Ländern auszutauschen. Dieser Unwille entsteht aus der Sorge
um gegenwärtige oder künftige Konflikte nationalen Interesses
oder weil das die Beziehungen mit anderen Ländern
beeinträchtigen könnte. Wir müssen erkennen, daß die
demokratische Welt heute beim Terrorismus der größten
existenziellen Einzelbedrohung ihrer Ideologie und ihrer
Lebensart gegenübersteht. Ein nationales Schubladendenken
kann unser kollektives Ziel der Zerschlagung des Terrorismus
nicht voranbringen, da er ein nahtloses Netz internationaler
Verbindungen hergestellt hat. Informationsaustausch auf
Echtzeitbasis und ein operatives Zusammenwirken kann helfen,
die unterschiedlich gesammelten Datenfetzen zu integrieren und
ein miteinander verbundenes koherentes Puzzle
zusammenzusetzen. Die Analyse der Daten kann dadurch
bereichert werden, daß diejenigen einbezogen werden, die sich
mit den kulturellen Feinheiten und den örtlichen Gegebenheiten
auskennen.
Ich möchte noch einen letzten Gedanken in die Waagschale
werfen. Wir sollten es dem Terrorismus niemals gestatten, uns
zu erpressen und uns in die Unterwerfung oder Lähmung
drängen lassen. Nach den Terrorangriffen auf den Landtag von
Jammu und Kaschmir im vergangenen Oktober und auf das
Parlament im vergangenen Dezember, hat Indien entschieden,
den grenzübergreifenden Terrorismus mit Macht zu bekämpfen,
da er untragbare Ausmaße angenommen hat. Wir schätzen
zutiefst das Verständnis und die Unterstützung der
internationalen Gemeinschaft bei diesem Vorhaben. Wir hoffen,
daß wir unser Ziel ohne Anwendung unnötiger Gewalt erreichen
werden. Aber es ist wichtig, nicht nur in unserem nationalen
Interesse, sondern auch für die weltweite Kampagne gegen den
Terrorismus, daß die Entschlossenheit beibehalten wird, bis sie
das gewünschte Ziel erreicht. Zu keiner Phase in dieser oder
jeglicher anderer Situation sollten wir den Kräften des
Terrorismus den Eindruck vermitteln, daß der Wille zu
entschiedener Reaktion entweder durch Angst vor den Folgen
oder durch Uneinigkeit innerhalb der internationalen
Gemeinschaft gebrochen werden könnte.
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