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Rund um die Münchner Sicherheitskonferenz 2004

Eine kleine Chronik von Ereignissen und eine Zusammenstellung von Meinungen

Die Münchner Sicherheitskonferenz ist längst zu einem Großereignis der internationalen Politik und der Friedensbewegung geworden. Auf dieser Seite versammeln wir eine Reihe von Meldungen rund um die Sicherheitskonferenz sowie ausgewählte Stellungnahmen oder Zitate, die sich auf sie beziehen.

München, 6. Februar 2004

Die Sicherheitskonferenz 2004 begann am 6. Februar buchstäblich mit einem Knall, wie die folgende Meldung zeigt:

Bei der 40. Münchner Sicherheitskonferenz sind durch einen versehentlich abgegebenen Schuss acht Menschen leicht verletzt worden. Aus der Waffe eines im Hotel Bayerischer Hof eingesetzten französischen Personenschützers habe sich aus bislang unbekannten Gründen ein Schuss gelöst, teilte die Polizei München am Freitag mit. Das Projektil sei in den Marmorboden des Hotels eingeschlagen, so dass Umstehende von Splittern getroffen worden seien. Drei Journalisten und ein Bundeswehr-Angehöriger seien dadurch "minimal" verletzt worden. Vier Polizeibeamte hätten ein so genanntes Knalltrauma erlitten. Die Kriminalpolizei nahm die Ermittlungen auf.
AFP-Meldung, 6. Februar, 18.00 Uhr

Wenn man indessen bedenkt, dass rund 280 Verteidigungs- resp. Kriegsminister und andere Militärexperten aus über 40 Staaten in München versammelt sind, die alle zusammen über eine wahrlich gigantische Feuerkraft verfügen, dann lag so eine Explosion geradezu in der Luft. Verglichen mit den verfügbaren Waffenarsenalen nimmt sich dieses Schüsschen recht bescheiden aus. Hoffen wir trotzdem, dass nicht noch mehr passiert. Es wäre doch schade um den wertvollen Marmorboden.

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Die gefürchteten Demonstranten traten außerhalb des Bayerischen Hofs auf den Plan - durchweg friedlich, wie die ersten Agenturmeldungen einräumen müssen.

Zum Auftakt der 40. Münchner Sicherheitskonferenz am Freitag haben rund 150 Gegner der Veranstaltung in der Innenstadt demonstriert. Die Proteste begannen friedlich, wie die Polizei mitteilte. Vor allem junge Leute aus dem linken Spektrum beteiligten sich an den Aktionen, die noch bis zum Abend andauern sollten. Die Demonstranten wollten eine Menschenkette rund um das Tagungshotel bilden. Für Samstag ist eine Großdemonstration mit 5.000 Teilnehmern geplant. Rund 4.000 Beamte aus ganz Deutschland sind bis Sonntag im Einsatz.
AP-Meldung, 6. Februar, 17.20 Uhr

Wenig später wuchs die Zahl der Demonstranten an:

Rund 450 Demonstranten bildeten am Abend eine Menschenkette rund um das Tagungshotel.
AP-Meldung, 6. Februar, 18.04 Uhr

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Die Herren Minister und sonstigen Militärexperten kommen aber nicht nach München, um mit Pistolenkugeln den Marmorboden des Hotels zu malträtieren. Sie haben auch wichtiges zu bereden. Vor der eigentlichen Konferenz (sie beginnt offiziell ja erst am 7. Februar) gab es ein Treffen der NATO-Verteidigungsminister. AP wusste folgendes darüber zu berichten:

Die Europäer verstärken ihr Engagement in Afghanistan. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld begrüßte am 6. Februar bei einer NATO-Tagung in München die deutsch-französische Initiative, dem Eurocorps ab August die Führung der internationalen ISAF-Schutztruppe zu übertragen. Einen NATO-Einsatz in Irak schlossen die Tagungsteilnehmer derzeit aus.
(...) Das in Straßburg stationierte Eurocorps besteht aus deutschen, französischen, spanischen, belgischen und luxemburgischen Soldaten. Die Bundeswehr stellt einen Großteil der 5.500 ISAF-Soldaten in Kabul und ist mit einem regionalen Aufbauteam mit 200 Soldaten im nordafghanischen Stadt Kundus präsent. Verteidigungsminister Peter Struck will die Zahl der deutschen Soldaten in Kundus in Kürze erhöhen.
AP-Meldung, 6. Februar, 18.04 Uhr

dpa ergänzt diese Meldung um folgende Information:

Nach Deutschland wollen fünf weitere NATO-Länder regionale Wiederaufbauteams in Afghanistan stellen. Die Teams sollen unter der Führung der internationalen Schutztruppe ISAF stehen. Das hat der neue NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer nach einem informellen Treffen mit den NATO-Verteidigungsministern angekündigt. Die Namen der teilnehmenden Länder könne er noch nicht nennen. Es gebe aber eine große Bereitschaft, den Wiederaufbau des Landes zu stärken. Entscheidungen sollen auf dem NATO-Gipfel im Juni fallen.
dpa-Meldung, 6. Februar, 17.51 Uhr

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Medienschelte von einem Mann, der aufgrund seiner Unbescholtenheit und Wahrheitsliebe prädestiniert dafür ist, Richtiges von Falschem zu unterscheiden:

US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat die deutsche Fernsehberichterstattung über Irak als "voreingenommener als bei El Dschasira" kritisiert. Rumsfeld nannte Deutschland am Freitag (6. Februar) vor Journalisten in München zwar nicht beim Namen. Ein hochrangiger US-Regierungsvertreter sagte aber später, er habe bei dem Vergleich mit dem arabischen Fernsehsender die deutschen Medien gemeint. Rumsfeld berief sich auf das Ergebnis einer Analyse der Irak-Berichterstattung. Wenn diese stimme, "dann überraschte es niemanden, dass wer dauernd mit Ungenauigkeiten bombardiert wird, nach einer Zeit auch anfängt diese Ungenauigkeiten zu glauben."
AFP-Meldung, 6. Februar, 16.23 Uhr

Nun ist hinlänglich bekannt, dass Rumsfeld sich nicht damit abgibt, die Welt mit "Ungenauigkeiten" oder gar Genauigkeiten zu bombardieren. Er ist für Bombardierungen ganz anderer Art zuständig.

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Die Konferenzgegner und Friedensdemonstranten fordern schon seit geraumer Zeit, dass die "Sicherheitskonferenz" nicht mehr in München stattfinden solle. Dieser Forderung schloss sich nun auch die Gewerkschaft der Polizei an:

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat angesichts des Großeinsatzes von Beamten zum Schutz der Sicherheitskonferenz eine Verlegung aus der Münchner Innenstadt gefordert. Die Veranstaltung "könnte auch an einem Ort stattfinden, der leichter abzuschirmen ist", sagte Gewerkschaftschef Konrad Freiberg am Freitag in München. Am jetzigen Standort koste die Konferenz den Steuerzahler eine sechsstellige Summe. Bis zu 4.000 Polizisten aus ganz Deutschland sind bis Sonntag im Einsatz. Rund 6.700 Demonstranten werden erwartet.
Freiberg kritisierte weiter, dass die Aufgaben der Polizei ausgeweitet würden, die personelle Ausstattung aber immer schlechter werde. "Vor fünf Jahren hatten wir noch 266.000 Beamte, jetzt sind es nur noch 237.000", sagte Freiberg.
AP-Meldung, 6. Februar, 12.28 Uhr

Möglicherweise geht der Gewerkschaftsvorsitzende da noch nicht weit genug. Die Friedensdemonstranten wollen die Konferenz ja nicht an einem anderen Ort haben, sondern am besten gar nicht mehr. Das spart Geld und schont die Fußböden.

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Ein reizendes Bild wird am 6. Februar (Fernsehen) und am 7. Februar (Presse) die Runde machen: Donald Rumsfeld und Peter Struck geben sich innig die Hand und strahlen dabei um die Wette. Letzteres ist beim für seine Missmutigkeit bekannten Struck schon ein sensationeller Gefühlsausbruch. Die beiden Verteidigungsminister kommen sich aber auch inhaltlich immer näher - auch wenn Struck nicht alles ausgeplaudert hat, worüber gesprochen wurde:

Deutschland und die USA wollen sich bei den Standortschließungen der Bundeswehr und dem geplanten Abzug von US-Soldaten eng abstimmen. Die Entscheidungen sollen in diesem Jahr bekannt gegeben und bis zum Jahr 2010 "gemeinsam durchgeführt werden", sagte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) nach einem Gespräch mit US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in München, wo ein Treffen der NATO-Verteidigungsminister begonnen hat.
Laut Struck bestehen "keine Zweifel", dass die USA aus Deutschland Soldaten abziehen werden. Die amerikanischen Überlegungen sollen mit den deutschen Standortschließungen abgestimmt werden, um die Auswirkungen für die betroffenen Regionen abzumildern.
Struck wollte keine Angaben dazu machen, ob Irak Thema des Gesprächs war. Neben den Standortschließungen habe er mit Rumsfeld über das deutsche Engagement in Afghanistan und die geplante europäische Mission in Bosnien-Herzegowina gesprochen. In Bosnien sollen laut Struck auch weiterhin US-Soldaten stationiert bleiben. AFP-Meldung, 6. Februar, 15.20 Uhr

Auch diese Meldung findet noch eine Ergänzung um - ein Arbeitsessen. Das mag im Edelhotel Bayerischer Hof teuer genug sein (wer zahlt eigentlich die Spesen?), doch die Folgekosten werden die Steuerzahler erst recht zu spüren bekommen:

Der neue NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer eröffnete das Arbeitssessen mit der Forderung an die 19 Minister, die Einsätze auf dem Balkan und in Afghanistan weiter zu unterstützen. Diese müssten mit modernster militärischer Ausstattung unterstützt werden.
AFP-Meldung, 6. Februar, 15.20 Uhr

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Stunden später wurde das Ausmaß der polizeilichen Maßnahmen gegen Demonstranten deutlicher:

Mehrere hundert Kriegsgegner haben am Freitag in München gegen die 40. Sicherheitskonferenz demonstriert. Die Polizei nahm bis zum Abend 28 Demonstranten fest, unter anderem wegen Waffenbesitz, Verdacht auf gefährliche Körperverletzung, Beleidigung oder Widerstand gegen Beamte. Weitere 147 weitere Demonstranten wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen. Sie hätten versucht, die Straße zu blockieren, andere hätten Widerstand geleistet oder sich vermummt, sagte ein Sprecher, der die Atmosphäre "sehr aggressiv" nannte.
Verletzte gab es jedoch keine, lediglich zwei Beamte wurden mit Pfefferspray besprüht. Die Polizisten drängten die Demonstranten an mehreren Stellen von den Fahrbahnen; dabei setzten sie auch Pfefferspray ein. Die Konferenzgegner hatten am Nachmittag zum Protest eine Menschenkette rund um das Tagungshotel in der Innenstadt gebildet, die jedoch mangels Teilnehmer lückenhaft blieb. Nach Angaben der Veranstalter beteiligten sich daran mehr als 1.000 Menschen, laut Polizei waren es 500.
AP-Meldung, 6. Februar, 23.02 Uhr

Nachtrag 1:
"Falsch ist, daß es am Freitag keine Verletzten gegeben habe. Das behauptet zwar die Polizei, aber z.B. in einem Beitrag von Radio Z berichtet eine Augenzeugin, wie ein Demonstrant durch einen Schlagstock auf den Kopf bewußtlos geschlagen wurde. Mehrere junge Frauen, die nach internationalem Brauch bereits mit erhobenen Händen gekniet haben, um ihre Gewaltlosigkeit zu demonstrieren, wurden umgerannt, eine blieb mit Verdacht auf Milzriß auf der Strecke, da die Polizisten auf die am Boden Liegenden getreten haben.
Mitteilung der "Beobachtergruppe"
Nachtrag 2:
Die meisten festgenommenen Demonstranten wurden im Laufe der Nacht wieder auf freien Fuß gesetzt.
(Siehe auch: "Deeskalation durch Stärke"

München, 7. Februar 2004

Die eigentliche Konferenz begann am 7. Februar. Zu den ersten Rednern gehörte Bundesaußenminister Joschka Fischer. In Bezug auf den Irak wiederholte er den Standpunkt, dass sich Deutschland weiterhin nicht militärisch beteiligen wolle. Dafür sollten die Anstrengungen in Afghanistan verstärkt werden. Den größten Teil seiner Rede widmete er dem "Dschihad-Terrorismus" (dieser Begriff wird Schule machen) und der euro-amerikanischen "Modernisierung" des Nahen Ostens. Die Agenturen berichteten u.a.:

Bundesaußenminister hat eine europäisch-amerikanische Initiative zur Demokratisierung und Entwicklung der arabischen Staaten vorgeschlagen. Nur so könne der Terrorismus eingedämmt und ein Krieg der Kulturen verhindert werden, sagte Fischer am Samstag (7. Feb.) auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Bis zum Jahr 2010 sollte eine Freihandelszone für den gesamten Mittelmeerraum aufgebaut werden.
Der Westen könne den "Status quo im Nahen Osten nicht mehr hinnehmen". Die arabischen Staaten steckten in einer Modernisierungskrise und stünden ihren jungen Völkern heute mit fast leeren Händen gegenüber. Der "zerstörerische Dschihad-Terrorismus mit seiner totalitären Ideologie" wolle einen Krieg der Kulturen entfesseln. Ebenso umfassend müsse die gemeinsame Antwort des Westens sein, sagte Fischer.
Im Nahen und Mittleren Osten müssten Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, eine funktionierende Wirtschaft und "starke Zivilgesellschaften" aufgebaut werden. Deshalb sollten die EU den Staaten von Marokko über Israel und Palästina bis Syrien den Aufbau einer Freihandelszone anbieten, "die den gesamt Mittelmeerraum umfasst". Alle Teilnehmer dieser Initiative müssten sich zu Gewaltverzicht, wirtschaftlicher Zusammenarbeit, der Achtung der Menschenrechte und zum Kampf gegen den Terrorismus verpflichten. Das europäisch-amerikanische Angebot könnte auf dem NATO-Gipfel im Juni offiziell vorgelegt werden.
AP-Meldung, 7. Februar, 10.32 Uhr

Fischers Rede im Wortlaut: "Zerstörerischer Dschihad-Terrorismus bedroht die Welt"

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CDU-Vorsitzende Angela Merkel langte noch etwas kräftiger zu als der deutsche Außenminister (dessen Princeton-Rede sie im Übrigen zustimmend zitierte). Unverblümter als je zuvor sprach sie sich dafür aus, den Einsatz militärischer Gewalt zur Verteidigung deutscher Interessen weltweit in Erwägung zu ziehen. Wir zitieren eine zentrale Stelle:

Angela Merkel:
Dabei lohnt meines Erachtens ein Blick in die im letzten Jahr erschienene Autobiographie der früheren amerikanischen Außenministerin der Clinton-Administration, Madeleine Albright. Zu Beginn des Kapitels "Im Duell mit Diktatoren" schreibt Frau Albright in ihrem Buch - ich zitiere: "Die zentrale außenpolitische Zielsetzung lautet, Politik und Handeln anderer Nationen so zu beeinflussen, dass damit den Interessen und Werten der eigenen Nation gedient ist. Die zur Verfügung stehenden Mittel reichen von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern." - Ende des Zitats. Noch einmal, das ist kein Zitat z. B. von Minister Rumsfeld, sondern von Frau Albright, das aber nur am Rande bemerkt.
Im Grunde ist es eine verblüffend einfache Definition - den Interessen und den Werten der eigenen Nation dienen und dabei alle Mittel in Betracht ziehen. Aber es ist auch eine Definition, die aus meiner Sicht nicht nur für die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik Gültigkeit haben muss, sondern auch Maßstab einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik sein sollte, besser: sein muss.
Merkels Rede im Wortlaut: "Auslandseinsätze der Bundeswehr werden zunehmen"

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Dass der britische Verteidigungsminister - auch er sprach in der ersten Runde der Sicherheitskonferenz - den Irakkrieg verteidigte, war keine Überraschung. Mit welcher Chuzpe er das tat, war aber doch sehens- bzw. lesenswert. Auszug gefällig?

Geoffrey Hoon:
I know that the issue of intelligence on Weapons of Mass Destruction remains controversial - not least in the United Kingdom: but two points are clear from the factual record:
  • Firstly, Saddam Hussein used chemical weapons and admitted seeking nuclear weapons: theses risks are gone;
  • And secondly, since the intervention there has been more progress on counter proliferation than for a decade in North Korea, Iran and most dramatically in Libya.
Nach dieser Logik könnten die USA demnächst einmal Kuba angreifen. Vielleicht stürzt darüber der haitische Diktator Aristide.
Auch Hoons Rede haben wir im vollen Wortlaut (vorläufig nur auf Englisch) auf unseren Seiten: "Transatlantic Relations"


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Der deutsche Verteidigungsminister war bemüht, die vor dem Irakkrieg aufgebrochene transatlantische Lücke zu schließen. "Gute Freunde", so dozierte er, können schon mal unterschiedlicher Meinung sein. Ihre Freundschaft beweise sich aber darin, dass sie "immer wieder zusammenfinden". Wie sein Kollege Außenminister Fischer blickt Struck "nach vorne" und möchte die Transformation der europäischen Streitkräfte zu weltweit einsatzfähigen Truppen beschleunigen. Interessant auch, wie er die Nationale Sicherheitsstrategie der USA (September 2002) in Übereinstimmung mit der Europäischen Sicherehitsstrategie (ESS vom Dezember 2003) sieht. Schließlich wiederlegt er seine Nebelkerzen vom 13. Januar (damals hatte er von "Einsparungen" bei der Bundeswehr fabuliert), indem er klarstellt: "Wir beschaffen das, was die Bundeswehr braucht."
Strucks Rede im vollen Wortlaut: "Die 'Sinnkrise' der NATO ist Vergangenheit"

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Während drinnen im Bayerischen Hof geredet wird, demonstrieren draußen, in der Münchner Innenstadt, Tausende gegen die "Sicherheitskonferenz". AFP meldete am Nachmittag:

In München hat sich am Samstag (7. Februar) ein Protestzug mit 5.000 Demonstranten gegen die Konferenz für Sicherheitspolitik in Marsch gesetzt. Nach einer Kundgebung auf dem Marienplatz begannen die Demonstrierenden mit einem Marsch durch die Innenstadt. Dabei trugen sie Plakate mit Aufschriften wie "Stoppt die Kriegstreiber" oder "Ausreiseverbot für die Bundeswehr" mit sich. Laut Polizei verlief die Demonstration zunächst friedlich. Sechs Menschen seien vorübergehend festgenommen worden, vier von ihnen wegen des Mitführens verbotener Waffen.
AFP-Meldung, 7. Februar, 14.46 Uhr

Etwas mehr war wenig später von AP zu erfahren:

Mehrere tausend Menschen haben am Samstag in der Münchner Innenstadt gegen die 40. Sicherheitskonferenz demonstriert. Laut Polizei wuchs der Demonstrationszug von anfänglich 1.500 auf 5.000 Teilnehmer an, die Veranstalter sprachen sogar von 10.000 Menschen. Auf Plakaten fordern die Demonstranten "Stoppt die Kriegstreiber", "Miteinander für Frieden und Gerechtigkeit" sowie "Nein zum globalen Krieg der NATO-Staaten".
In einer Rede bei der Auftaktkundgebung nannte Mitinitiator Klaus Schreer die Teilnehmer der Sicherheitskonferenz Völkerrechtsverbrecher. Während des Zuges gab es immer wieder Rangeleien, bei denen die Polizei Plakate beschlagnahmte. Der Fraktionschef der Münchner Grünen, Siegfried Benker, nannte das Auftreten der Polizei "unnötig provozierend". Vier Demonstranten wurden wegen Verstößen gegen das Waffengesetz festgenommen.
AP-Meldung, 7. Februar, 15.29 Uhr

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Zweifellos der Höhepunkt aus Sicht der Veranstalter der Sicherheitskonferenz war am 7. Februar die Rede des US-Verteidigungsminsters Donald Rumsfeld. Dabei hatte er wirklich nicht viel zu sagen: Der Irakkrieg wurde noch einmal damit gerechtfertigt, dass Saddam Hussein alle Angebote zu einer friedlichen Abrüstung ausgeschlagen hätte. Als Beispiel dafür, dass es auch anders, nämlich ohne Krieg geht, führt Rumsfeld Libyen an, das freiwillig dren Weg der Kooperation gegangen sei. Dabei bleibt sie Tatsache völlig außer Acht, dass Saddam Hussein die Waffen, die er hätte abrüsten sollen, gar nicht mehr hatte! Doch Rumsfeld kam kein einziges Wort zu den Geheimdienst- und Regierungslügen über die irakischen Massenvernichtungswaffen über die Lippen! Diese Gedächtnislücke wird wortreich umhüllt mit den angeblichen Fortschritten, die manche Staaten des Nahen Ostens in Sachen Demokratie mittlerweile erzielt hätten (Rumsfeld nennt u.a. Marokko, Kuwait, Bahrain, Katar und Jordanien).
Des Weiteren wurde die NATO gefeiert, die in den letzten Monaten zahlreiche Schritte unternommen habe, ihre Fähigkeiten zur Abwehr von Massenvernichtungswaffen zu verbessern, eine schnelle Eingreiftruppe (NATO Response Force) aufzubauen, sowohl in Afghanistan als auch in Irak (Spanien und Polen werden hervorgehoben) zur Stabilisierung der Lage beizutragen und in die Aufnahme sieben neuer Mitglieder vorzubereiten.
Schließlich nennt Rumsfeld drei strategische Aufgaben der USA und der NATO: 1) die Stärkung der "multilateralen" Kooperation gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, 2) die Stärkung der militärischen Fähigkeiten der NATO, 3) die Verbindung des Krieges gegen die Terrornetzwerke mit dem Kampf gegen die Ideologie des Hasses, welche die Terroristen säen. Die Welt, so endet Rumsfelds Rede, sei heute "sicherer", "weil die Koalition 50 Millionen Menschen befreit hat - 25 Millionen in Afghanistan und 25 Millionen in Irak."
Die Schlichtheit des Rumsfeld'schen Weltbildes zeigt sich auch noch in diesem Zitat:

"The last 12 months have proved the world's rogue regimes have provided two different models of behavior - a path of cooperation and the path of defiance. And the lessons of those experiences should be clear: the pursuit of weapons of mass murder can carry with it costs. By contrast, leaders who abandon the pursuit of those weapons, and the means to deliver them, will find an open path to better relations with the free nations of the world."
Rumsfelds Rede im vollen Wortlaut (englisch): "The world is a safer place today because the Coalition liberated 50 million people - 25 million in Afghanistan and 25 million in Iraq"
und in einer deutschen Übersetzung: "Die Welt ist heute sicherer, weil die Koalition 50 Millionen Menschen befreite - 25 Millionen in Afghanistan und 25 Millionen in Irak"


München, 8. Februar

Mit Beratungen über die Lage im Nahen Osten ist die Münchner Konferenz für "Sicherheitspolitik" am Sonntag, den 8. Februar, fortgesetzt worden. Der jordanische König Abdullah II. durfte als erster eine Art Grundsatzrede halten - sicher auch eine Anerkennung für die proamerikanische Haltung seines Regimes. Rumsfeld hatte am Tag zuvor in seiner Rede Jordaniens Fortschritte auf dem Weg zur Demokratie herausgestrichen! Abdullah II. appellierte an die internationale Gemeinschaft, bei der Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes zu helfen: "Wir müssen gemeinsam diese Probleme angehen." Besonders wichtig sei dabei der Einfluss der USA. Jeder Tag der Verzögerung sei schädlich für die Region und die Welt.
Weitere Redner am zweiten Konferenztag waren
  • Richard LUGAR, US-Senator; Vorsitzender, US Senatsausschuss für Auswärtige Beziehungen;
  • Giora EILAND, Direktor, Nationaler Sicherheitsrat, Staat Israel;
  • Nabil SHAATH, Minister für Planung und Internationale Kooperation, Palästinensische Autonomiebehörde;
  • Mian Khurshid Mahmud KASURI, Minister für Auswärtige Angelegenheiten, Islamische Republik Pakistan;
  • Amir ZAMANI, Generaldirektor für Internationale Politische Angelegenheiten, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Islamische Republik Iran;
  • Brajesh MISHRA, Minister im Amt des Premierministers und Nationaler Sicherheitsberater, Republik Indien.
Bemerkenswert an der Rede des Direktors des Nationalen Sicherheitsrats Israels, Giora Eiland, waren die scharfen Angriff auf den Iran. Eiland sagte:

"Iran remains publicly committed to Israel's destruction - the only case of a UN member that openly calls for another's destruction. Iran's extreme enmity towards Israel is a product of its theology - there is no other basis for conflict: we share no common border and have no territorial or ethnic disputes; we do not compete for resources - indeed, in the past, we had close ties.
Nonetheless, Iran actively supports Hizballah, Hamas, PIJ and other terror organizations, in fact, remains THE state sponsor of terror. At the same time, Iran is developing military capabilities explicitly designed for use against Israel and with a view to its destruction."
Hinsichtlich der Lage im israelisch-palästinensischen Konflikt verteidigte Eiland den Bau der israelischen Mauer und kündigte an, dass die nächsten Monate darüber entscheiden würden, ob Israel gezwungen sei, einseitige Schritte zur Separation eines palästinensischen Reststaates zu unternehmen:
"In the coming months, however, should it prove impossible to implement the Road Map, Israel will simply have no alternative other than to initiate unilateral disengagement. This will reflect a decision on our part to begin a process of separation between our two peoples."

Auch die Rede Eilands dokumentieren wir in vollem Wortlaut: "The new security fence is a direct result of Palestinian terror"

Maßvoller fiel demgegenüber die Rede des palästinensischen Vertreters aus. Spiegel-Online berichtet darüber am 8. Februar:

Nabil Schaath, Außenminister der palästinensischen Autonomiebehörde, hat große Ziele. Nach einem Frieden mit Israel soll sein Land in die Europäische Union aufgenommen werden.
"Wenn Palästina nach einem Friedenschluss Mitglied der Europäischen Union werden könnte, wäre das ein wundervoller Anreiz", sagte Schaath. Damit reagierte der Politiker auf einen Vorschlag von Bundesaußenminister Joschka Fischer. Der Grünen-Politiker hatte eine Freihandelszone der EU mit dem "gesamten Mittelmeerraum" von Syrien über Israel und Palästina bis Marokko vorgeschlagen. (...)
Schaath sagte, wenn die USA wegen der Präsidentschaftswahl zu sehr beschäftigt seien, sollten die EU und Russland mehr tun. (...)
Spiegel-Online, 8. Februar

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Um 13 Uhr endete die Sicherheitskonferenz. Die Diskussionen über ihre Berechtigung werden nicht abnehmen. Ebensowenig wird der Protest gegen die Konferenz abnehmen. (Einige Pressemeldungen haben wir an anderer Stelle dokumentiert: "Friedensbewegung in den Medien": Chronik Januar/Februar 2004.)
Mancher Redner hat eine sicherere Welt in Folge des Irakkriegs beschworen. Für uns ist indessen nur eines sicher: Unser Dossier zur Münchner Sicherheitskonferenz wird im nächsten Jahr fortgesetzt.


Zusammenstellung und Kommentierung: Pst


Zu anderen Berichten von der Sicherheitskonferenz

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