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"Wir haben dieser Al Kaida einen lähmenden Schlag versetzt und alle unsere Länder sicherer gemacht"

Im Wortlaut: Rede von US-Vizepräsident Joe Biden bei der Münchner "Sicherheitskonferenz" (deutsch)


Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von US-Vizepräsident Joe Biden bei der Münchner "Sicherheitskonferenz" im Hotel Bayerischer Hof vom 2. Februar 2013. Die Übersetzung besorgte der Anmerika Dienst.

Joe Biden:

Lieber Wolfgang, zunächst möchte ich mich bedanken und sagen, dass auch unsere Erwartungen sehr hoch sind. Die gute Nachricht lautet: Wir gehen nirgends hin. Die schlechte Nachricht lautet: Wir gehen nirgends hin. Also musst du dir darüber keine Sorgen machen.

Es ist großartig, wieder hier zu sein, und besonders freue ich mich, dass ich den Tag mit der Würdigung eines alten Freundes beginnen darf. Eine der großen Privilegien meiner beruflichen Laufbahn ist, dass ich im gleichen Jahr wie Sam Nunn, nämlich 1972, in den US-Senat gewählt wurde. 1976 kam dann einer unserer engsten Freunde in den Senat. Er hieß Dick Lugar. Ich hatte das Privileg, über 30 Jahre gemeinsam mit Dick Lugar den Vorsitz des Auswärtigen Ausschusses innezuhaben. Sam, Dick und ich können etwas von uns behaupten, dass in der Politik, in der amerikanischen Politik, heute selten geworden ist: Ich erinnere mich nicht daran, dass in über 36 Jahren je ein harsches Wort unter uns dreien gefallen ist. Bei zahlreichen Themen habe ich mich immer an der Führungsstärke von Dick und Sam orientiert, und tue das auch immer noch.

In jedem unserer Länder gibt es herausragende Männer und Frauen, die während ihrer aktiven Zeit in der Politik maßgebliche Beiträge geleistet haben. Viele von ihnen ziehen sich nach ihrem politischen Leben allerdings ins Privatleben zurück, und ihr Beitrag endet. Meines Erachtens waren die Beiträge, die Dick Lugar* [*sic – Sam Nunn] nach seinem Abschied aus dem US-Senat und dem öffentlich gewählten Amt geleistet hat, ebenso tiefgründig wie die während seiner Zeit im Amt, und ich denke, das wird auch bei meinem engen Freund, Sam Nunn* [*sic - Dick Lugar] nicht anders sein. Wir können uns als Land glücklich schätzen, sie beide zu haben, und ich meine, jeder hier auf dieser Konferenz hat Glück, dass sie sich noch immer sehr für unser aller Sicherheitsinteressen einsetzen. Also, noch einmal, herzlichen Glückwunsch, Sam. Herzlichen Glückwunsch.

Es ist großartig, wieder unter Freunden zu sein. Ich meine damit nicht nur die hochverehrten Gäste aus aller Welt, die zu dieser Konferenz gekommen sind. Ich meine damit auch Deutschland und Europa. Seitdem ich Vizepräsident bin, bin ich über eine Million Kilometer gereist, und meistens schickt mich der Präsident dort hin, wo er selbst nicht hin will. Ich habe also viel Zeit mit McCain und anderen in Afghanistan und Irak verbracht, daher ist es schön, hier in Deutschland zu sein! Schön, dass Sie mich wieder eingeladen haben.

Sie sind und bleiben, um das Offensichtliche einmal auszusprechen, die ältesten und engsten Verbündeten der Vereinigten Staaten. Man kann sich nur schwer eine einzige Bedrohung oder Chance vorstellen, die wir gemeinsam nicht effektiver angehen könnten. Einfach ausgedrückt, sind Präsident Obama und ich der Meinung, dass Europa der Eckpfeiler unseres internationalen Engagements und der Motor für unsere globale Zusammenarbeit ist. So einfach ist das. Nichts hat sich verändert.

Wir wissen sehr gut, dass dieses europäische Bündnis von entscheidender Bedeutung für unsere Interessen ist. Als ich vor vier Jahren in dieser Woche nach München kam, habe ich mich auf die Herausforderungen unserer Zeit konzentriert und darauf, wie diese neue Regierung in ihrer ersten Amtszeit mit diesen Herausforderungen umgehen kann. Zu diesen Herausforderungen zählten Irak und Afghanistan, Iran, der seinen internationalen Verpflichtungen gegenüber seinem Atomprogramm nicht nachkam, die Krise der Weltwirtschaft, die sich damals in einer schwierigen Lage befand, die Bekämpfung des Terrorismus sowie die Verbesserung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland.

Heute freue ich mich, über die unbestreitbaren Fortschritte berichten zu können, die wir gemeinsam in diesen Bereichen gemacht haben. Vor vier Jahren beherrschten die Kriege in Irak und Afghanistan die amerikanische Politik und die meisten unserer Gespräche mit unseren Freunden und Partnern. Heute, nach zehn Jahren des Konflikts, die auf den 11. September 2001 folgten, haben wir den Krieg in Irak verantwortungsvoll beendet. Heute ziehen wir uns verantwortungsvoll aus Afghanistan zurück, und bis Ende nächsten Jahres wird der Übergang abgeschlossen sein.

Vor vier Jahren konnte Iran die internationale Gemeinschaft erfolgreich spalten, die sich nicht einig war, wie gegen das illegale und destabilisierende Atomprogramm des Landes vorzugehen ist. Diese Dynamik mussten wir ändern, indem wir Iran die Möglichkeit gaben, der Welt seine Absichten zu verdeutlichen. Ich sagte der Konferenz damals: „Wir werden bereit sein, mit dem Iran zu reden und eine klare Wahlmöglichkeit anzubieten: Bleibe auf diesem Kurs, und es wird weiter Druck und Isolation geben, gib das Atomwaffenprogramm und die Unterstützung von Terrorismus auf, und es wird bedeutende Anreize geben.“

Damals wurden wir für diese Art der Einbeziehung Irans kritisiert. Nun, wir wissen alle, welchen Weg Iran gewählt hat. Die internationale Gemeinschaft kam also zusammen, und die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und die Vereinten Nationen beschlossen die – nach Ansicht Irans und der iranischen Führung – striktesten Sanktionen der Geschichte. Präsident Obama hat der iranischen Führung klar gesagt, dass unsere Politik nicht auf Eindämmung abzielt. Ihr Ziel ist, Iran davon abzuhalten, eine Atomwaffe zu erlangen. Wir haben aber auch deutlich gesagt, dass die iranische Führung ihre Bürger nicht wirtschaftlichen Entbehrungen und internationaler Isolation aussetzen muss.

Es ist noch Zeit, es gibt noch Raum für Diplomatie, die von Druck unterstützt wird, damit sie erfolgreich ist. Jetzt sind die Iraner am Zug; und die Zeit ist mehr als reif für Teheran, ernsthaft und guten Willens an die P5+1-Verhandlungen heranzugehen.

Vor vier Jahren befand sich die Welt im tiefsten wirtschaftlichen Abschwung seit der Weltwirtschaftskrise. Auch heute machen viele amerikanische und europäische Familien noch schwere Zeiten durch, aber die Bedingungen verbessern sich. Die Vereinigten Staaten unternehmen schwierige, aber entscheidende Schritte, um sich auf solidere wirtschaftliche Beine zu stellen. Ich möchte noch hinzufügen, dass es nie gut ist, gegen die Vereinigten Staaten von Amerika zu wetten. Wir werden unsere Wirtschafts“krise“ und die Klippen, die vor uns liegen, überwinden.

Wir sind entschlossen, unsere Schulden in den kommenden Jahren auf ausgewogene Weise abzubauen und haben bedeutende Schritte auf dieses Ziel zugemacht. Voriges Jahr haben wir mit der Hilfe meiner Kollegen im US-Kongress die schwierige Entscheidung getroffen, unsere Ausgaben in den nächsten zehn Jahren um fast eine Billion US-Dollar zu senken. Ende des Jahres haben wir erhebliche Kompromisse gemacht und gemeinsam eine schwierige Entscheidung zu unserem Steuerrecht getroffen, die zu Einnahmen von weiteren 600 Milliarden US-Dollar führt.

Es muss noch mehr getan werden, weil das sowohl für das Wohlergehen unserer Bürger als auch für das notwendig ist, was Wolfgang am Anfang erwähnt hat: unsere strategischen Verpflichtungen gegenüber der Welt. Denn die Stärke unserer Wirtschaft im Inland ist die grundlegendste Quelle unserer Macht und unseres Einflusses auf der Welt.

Ich muss allerdings sagen, dass das Gleiche für Europa gesagt werden kann und muss. Der Beitrag Europas zu globaler Stabilität und globalem Wohlstand ist entscheidend; er hängt jedoch auch von der Stärke Ihrer Wirtschaft und Ihrem wirtschaftlichem und finanziellen Engagement für Sicherheit ab. Glauben Sie mir, ich weiß, wie schwierig das ist, wenn die Wirtschaft vor einem Jahr in die Rezession geglitten und die Versuchung groß ist, Verpflichtungen bei den Verteidigungsausgaben nicht nachzukommen. Ich weiß allerdings auch, dass wir unsere Fähigkeiten bewahren müssen, wenn wir unsere globale Agenda voranbringen wollen. Das ist nur ein Grund, aus dem ein starkes und fähiges Europa zutiefst im amerikanischen und – wie ich noch hinzufügen möchte – in weltweitem Interesse ist.

Wir haben kürzlich positive Schritte zur Bewältigung der Eurokrise gesehen, wobei sich die Europäische Zentralbank hinter reformwillige Länder gestellt hat. Griechenland, Irland, Polen* [*sic – Portugal], Spanien und Italien haben alle wichtige Schritte unternommen, um ihre Wirtschaft wieder auf einen soliden Weg zu bringen. Die Regierungen in der Eurozone müssen sich also weiter auf Wachstum und Arbeitsplätze konzentrieren. Das mögen zwar grundlegend europäische Probleme sein, für die europäische Lösungen erforderlich sind, aber ihre Lösung hat enorme Auswirkungen auf die Vereinigten Staaten und die Weltwirtschaft.

Stellen Sie sich nur vor, was wir schaffen können, wenn wir unsere jeweiligen Haushalte in Ordnung bringen. Europa ist bereits jetzt der größte Wirtschaftspartner der Vereinigten Staaten. Die Zahlen sind schwindelerregend: über 600 Milliarden US-Dollar an jährlichem Handel, der Millionen von Arbeitsplätzen in Europa und den Vereinigten Staaten sichert, sowie allgemeine Handelsbeziehungen in Höhe von fünf Billionen US-Dollar.

Aber das Potenzial ist noch viel größer. Seit einiger Zeit gibt es ein großes Interesse an einem umfassenden transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen. Es ist nicht so, dass nie jemand auf die Idee gekommen wäre, vielmehr gab es immer wieder Probleme wie Verordnungen und Standards, die uns trennten. Die Frage lautet jetzt, ob der politische Wille vorhanden ist, diese langjährigen Meinungsverschiedenheiten auszuräumen. Und wenn ja, dann sollten wir eine transatlantische Partnerschaft anstreben. Wenn wir diesen Weg einschlagen, sollten wir auch versuchen, mit einer Tankfüllung auszukommen, und nicht langwierige Verhandlungsrunden zu fahren. Das können wir schaffen.

Es wäre gut für Wachstum und Arbeitsplatzschaffung und für beide Seiten des Altantiks; es würde unser globales Handelssystem stärken und es wäre ein strategisches Schlüsselelement für unser transatlantisches Bündnis. Ich glaube, wir können diese Meinungsverschiedenheiten überwinden und es schaffen, weil der Lohn für den Erfolg fast grenzenlos wäre.

Als ich vor vier Jahren bei dieser Konferenz sprach, waren die Narben, die der internationale Terrorismus in der Erinnerung vieler unserer Länder hinterlassen hatte, noch frisch – der 11. September in den Vereinigten Staaten, der 7. Juli in Großbritannien, der 11. März in Spanien. Die Führungsriege von Al Kaida erstarkte. Osama bin Laden lebte, schmiedete Pläne gegen unsere Länder und inspirierte seine Anhänger. Vor vier Jahren sprach ich von einem gemeinsamen Kampf gegen eine „kleine Anzahl gewalttätiger Extremisten, die sich der Vernunft verschließen“ und dass „wir sie besiegen werden und müssen“.

Als Ergebnis der gemeinsamen Bemühungen aller unserer Länder und der erneuerten und unablässigen Konzentration auf die Bekämpfung des Terrorismus, der Zusammenarbeit unserer Strafverfolgungsbehörden und der unerschütterlichen Entschlossenheit von Präsident Obama, Osama bin Laden seiner gerechten Strafe zuzuführen, haben wir Fortschritte erzielt. Wir haben dieser Organisation, Al Kaida, einen lähmenden Schlag versetzt und alle unsere Länder sicherer gemacht.

Aber auch als wir den Kampf in die Kerngebiete von Al Kaida - die Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) - gebracht haben, wussten wir, dass von zugehörigen Organisationen wie AQAP in Jemen, al-Shabaab in Somalia, AQI in Irak und Syrien und AQIM in Nordafrika zunehmend eine Bedrohung ausgeht. Die meisten dieser Gruppen verfügen nicht über ähnliche Fähigkeiten und stellen keine Bedrohung für unsere Länder da, wie es Al Kaida einst tat. Manchmal stehen die Buchstaben nur für verschiedene Gruppen, die einen gemeinsamen Namen annehmen. Aber zunehmend haben sie es auf westliche Interessen im Ausland abgesehen. Deshalb waren wir bei ihrer Verfolgung ebenso unerbittlich.

Heute versuchen Extremisten in Nordafrika und in Teilen des Nahen Ostens Folgendes auszunutzen: zunehmend durchlässige Grenzen, einen breiten unregierten Raum, einfach verfügbare Waffen, neue Regierungen, die nicht die Fähigkeiten und manchmal auch nicht den Willen haben, gegen Extremismus vorzugehen, eine wachsende Zahl enttäuschter junger Menschen, deren Zukunft von stagnierenden Volkswirtschaften gebremst wird.

Dies ist kein Aufruf, Milliarden von Dollar auszugeben und Tausende von Soldaten zu entsenden, wie in der Vergangenheit. Dies erfordert eine integriertere, eine koordiniertere Strategie. Diese Bedrohung, die sich über viele Länder und Millionen von Quadratkilometern erstreckt, kann und wird nicht über Nacht verschwinden, und das wissen wir alle. Wenn wir diese Herausforderungen meistern wollen, müssen wir weiter zusammenarbeiten, in den Vereinten Nationen, der NATO, den G8 und anderen wichtigen internationalen Institutionen.


Und schließlich haben wir vor vier Jahren bei dieser Konferenz vorgeschlagen, dass die Vereinigten Staaten und Russland, sehr geehrter Herr Botschafter, den „Neustart-Knopf“ drücken, ein Ausdruck, der danach mehr benutzt wurde, als ich eigentlich beabsichtigt hatte. Der Gedanke dahinter war die Verfolgung einer gemeinsamen Vorgehensweise bei gemeinsamen Interessen.

Ich denke, Außenminister Lawrow wird mir zustimmen, dass wichtige Schritte dazu geführt haben, dass wir einige gute Dinge umsetzen konnten: Wir konnten den neuen START-Vertrag aushandeln, ratifizieren und umsetzen, beispiellose Sanktionen gegen den Iran verhängen und uns hinsichtlich Nordkorea einigen, das nördliche Verteilernetz ausbauen, das amerikanische und ISAF-Truppen in Afghanistan versorgt, die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen ausbauen – dazu zählen der Beitritt Russlands zur WTO und die Ausweitung der dauerhaften normalen Handelsbeziehungen (PNTR) zu Russland. Wir konnten zudem ein Abkommen zur Zusammenarbeit bei zivil genutzter Atomenergie verhandeln und eine bilaterale Präsidentenkommission aufbauen, durch die russische und amerikanische Regierungsvertreter und die Bürger dieser Länder an der am breitesten gefassten Agenda zusammenarbeiten, die es zwischen den Vereinigten Staaten und Russland je gegeben hat.

Aber vor vier Jahren habe ich auch deutlich gemacht, dass wir nicht naiv sind – weder Russland noch die Vereinigten Staaten. Ich habe gesagt, dass wir uns mit Russland nicht in allem einig sein werden. Die Vereinigten Staaten werden beispielsweise Abchasien und Südossetien nicht als unabhängige Staaten anerkennen. Wir werden keinem Land eine Einflusssphäre zugestehen. Es ist und bleibt unsere Ansicht, dass souveräne Staaten das Recht haben, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und ihre eigenen Bündnisse zu wählen. Dies ist die Position der Vereinigten Staaten und sie wird sich nicht ändern. Aber in der Zwischenzeit sind noch weitere deutliche Meinungsverschiedenheiten ans Tageslicht getreten. Es ist kein Geheimnis, dass wir ernsthafte Differenzen bei Themen wie Syrien, Raketenabwehr, NATO-Erweiterung, Menschenrechte etc. haben. Dies sind reale Differenzen. Aber wir sehen weitere Möglichkeiten zur Zusammenarbeit für die Vereinigten Staaten und Russland, um unsere gegenseitigen Sicherheitsinteressen und die Interessen der internationalen Gemeinschaft zu fördern – ob durch die Sicherung und Reduzierung von Atomarsenalen, die Förderung von Handel und Investitionen, um einander dabei zu unterstützen, das enorme innovative Potenzial unserer Gesellschaft auszuschöpfen, gemeinsam die Freiheit der Schifffahrt in der Arktis zu erweitern und gleichzeitig den Zugang zu natürlichen Ressourcen zu erhalten. Neue Herausforderungen – in den kommenden Jahren liegen neue Herausforderungen vor uns.

Während der kommenden vier Jahre, und auch darüber hinaus, werden Europa und die Vereinigten Staaten ihre Aufmerksamkeit einer Reihe neuer Herausforderungen widmen, die nicht weniger überwältigend sind als die, die vor vier Jahren vor uns lagen, als ich bei dieser Konferenz gesprochen habe. Aber ich möchte hinzufügen, dass sie nicht weniger lösbar sind als die Herausforderungen von damals.

Präsident Obama wird kommende Woche in seiner Rede zur Lage der Nation mehr über diese Agenda sagen. Als Vizepräsident habe ich gelernt, dass es nicht unbedingt klug ist, dem Präsidenten den Wind aus den Segeln zu nehmen, John. Das habe ich gelernt. Nach vier Jahren bin ich besser geworden.

Diese Rede wird aber unsere gemeinsamen Interessen in den folgenden Bereichen widerspiegeln: Die Förderung einer umfassenden nuklearen Agenda, um die Nichtverbreitung zu unterstützen, globale Arsenale abzubauen und Nuklearmaterial zu sichern. Ich freue mich auch auf die Bekämpfung des Klimawandels und darauf, dieses Thema oben auf die Agenda zu setzen – Sam hat mir von der Initiative erzählt, an der er und seine Kollegen arbeiten, und wir alle freuen uns darauf, mehr darüber zu erfahren. Wir freuen uns auch darauf, in naher Zukunft unsere Entwicklungsinitiativen zur Förderung der globalen Gesundheit und der Lebensmittelsicherheit und dem Abbau der extremen Armut zu erreichen. Außerdem stärken wir unsere wichtigsten Bündnisse, damit wir die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts meistern können. Des weiteren wollen wir Handelsbarrieren abbauen, auch mit Europa, damit wir auf beiden Seiten des Atlantiks Wachstum fördern können, unser Engagement für einen kaum greifbaren, aber wichtigen Frieden im Nahen Osten beibehalten und die Demokratien in Südostasien, Lateinamerika, Afrika südlich der Sahara und im Nahen Osten voranbringen können.

Heute Nachmittag werde ich mich hier in München mit den Führern der syrischen Oppositionskoalition treffen, wie viele von Ihnen es bereits getan haben. Präsident Obama und ich sowie fast alle unsere Partner und Verbündeten sind davon überzeugt, dass Präsident Assad, ein Tyrann, der wie besessen an der Macht festhält, nicht mehr geeignet ist, das syrische Volk zu führen.

Wir sind uns alle einig, dass die syrische Bevölkerung sich in einer unglaublichen Notlage befindet, und dass es in der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft liegt, diese Situation anzugehen – aber wir können uns nicht darauf einigen, was oder wie wir etwas tun wollen.

Die internationale Gemeinschaft hat diese Woche gemeinsam 1,5 Milliarden US-Dollar an humanitärer Unterstützung für die Menschen in Syrien und die der Gewalt entkommenen Flüchtlinge gesammelt.

Präsident Obama hat verkündet, dass wir als Teil dieser Bemühungen 155 Millionen US-Dollar bereitstellen werden. So erhöhen wir die Summe der humanitären Hilfe für Syrien auf 365 Millionen US-Dollar. Dies ist der höchste Beitrag, den ein einzelnes Land an humanitärer Unterstützung für die syrische Bevölkerung bereitstellt. Zudem haben wir mehr als 50 Millionen US-Dollar in nicht-tödliche Unterstützung für die syrische Opposition investiert und unterstützen sie gemeinsam mit unseren Partnern dabei, integrativer und kohäsiver zu werden.

Wie Präsident Obama vergangene Woche gesagt hat, geben wir uns keinen Illusionen hin. Die vor uns liegenden Tage werden sehr schwierig werden. Aber die Opposition wird immer stärker. Wenn die syrische Bevölkerung die Chance erhält, ihre Zukunft selbst zu gestalten, wird sie in den Vereinigten Staaten von Amerika einen Partner finden.

Europa bleibt, und das möchte ich hier hinzufügen, bei diesen Bemühungen von zentraler Bedeutung. Wie ich bereits zu Beginn gesagt habe, ist Europa der Grundstein unseres weltweiten Engagements. Europa ist ein Motor – ein Motor für globale Zusammenarbeit.

Ich hoffe, wir können uns auch auf einen anderen wichtigen Grundsatz einigen, der unverändert bleibt, auch wenn sich unsere gemeinsame Agenda im Lauf der vergangenen vier Jahre verändert hat: Wir müssen zusammenarbeiten, wir müssen zusammenhalten. Wir brauchen Sie genauso wie Sie uns brauchen. Weder die Vereinigten Staaten noch irgendein anderes Land kann die vor uns liegenden Herausforderungen allein angehen. Das wissen wir.

Europa bleibt als unverzichtbarer Partner die erste Wahl der Vereinigten Staaten. Und – wenn Sie mir diese Annahme erlauben – ich glaube, dass wir auch nach wie vor Ihr Partner erster Wahl sind. Ich stehe als der stolze Atlantiker vor Ihnen, der ich während meiner gesamten Laufbahn immer gewesen bin, und auch als jemand, der von den transatlantischen Beziehungen überzeugt ist, die meiner Ansicht nach niemals tiefer, stärker, breiter gefasst und wichtiger waren als seit 1972, als ich als junger Mann gewählt wurde.

Immer wieder, wenn es in dieser überaus komplexen Welt darum geht, Partner zu suchen, werden Europa und Amerika sich zuerst aneinander wenden, bevor sie sich anderswo umsehen. Unsere Truppen, Diplomaten, Sicherheitsbeamten und Bürger stehen nach wie vor Seite an Seite. In Afghanistan schauen die Vereinigten Staaten auf Europa, das etwa 30.000 Soldaten und Ausbilder sowie fast 15 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt hat. Unsere Zusammenarbeit bei der Raketenabwehr bietet auf beiden Seiten des Atlantiks Schutz – und unsere Abkommen mit Rumänien, Spanien und der Türkei sind greifbare Beweise für diese Zusammenarbeit. Durch unsere verstärkte Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung waren 800 Millionen Menschen sicherer als sie es in der jüngsten Vergangenheit waren.

In Libyen hat die NATO schnell, effektiv und entschieden gehandelt. Nun arbeiten wir zusammen, um Libyen beim Aufbau effektiver Regierungsinstitutionen zu unterstützen, die es vorher nicht gegeben hat. Die europäische Partnerschaft bleibt eine unverzichtbare Kraft für die Förderung von Demokratie und universellen Rechten.

Wir haben gemeinsam auf die vielversprechenden und beispiellosen Umwälzungen des arabischen Frühlings reagiert. Von Tunis bis Tripolis, von Kairo bis Sanaa hätte unsere Zusammenarbeit nicht enger sein können. Es wird notwendig sein, sie weiterzuführen.

Wir wissen auch, dass unser gemeinsames Projekt eines freien und geeinten Europas noch nicht abgeschlossen ist. Georgien und die Balkanstaaten haben noch unerfüllte Hoffnungen was die euroatlantische Integration angeht. Das Tempo dieser Integrationsbemühungen wird von den Ländern selbst bestimmt. Aber auch wir tragen die Verantwortung, ihnen dabei zu helfen, ihren rechtmäßigen Platz in Europa und im transatlantischen Bündnis einzunehmen. Wir müssen auch das Gesamtbild im Hinterkopf behalten.

Aber unsere Interessen gehen weit über die Grenzen unserer Länder hinaus. In einer sich verändernden Welt ist unsere Zusammenarbeit mit Europa einzigartig, weil die Themen, die wir angehen, wirklich global sind. Dies ist in einer sich wandelnden Welt umso bedeutender, in der aufstrebende Mächte und weit entfernt stattfindende Ereignisse große Auswirkungen auf alle unsere Länder haben können.

Es ist eine simple Tatsache, dass Nationen wie Brasilien, Indien, China, Südafrika und Indonesien eine noch zentralere Rolle in der globalen Wirtschafts- und Sicherheitspolitik spielen werden. Es ist in unser aller Interesse, dass sie als verantwortungsbewusste, vollständig integrierte Akteure auf die weltweite Bühne treten.

Aus diesem Grund spielt die Zusammenarbeit der Vereinigten Staaten mit diesen Ländern – besonders in Asien – eine immer bedeutendere Rolle bei der Umsetzung unserer Außenpolitik. Dieses Engagement geht aber nicht auf Kosten Europas. Viele von Ihnen sprechen mit uns und mit mir darüber, ob wir unseren Fokus von Europa wegbewegen, da wir nun deutlich gemacht haben, dass wir eine pazifische Macht sind – und wir sind eine pazifische Macht. Aber es geschieht das Gegenteil. Es liegt im Interesse Europas, dass die Vereinigten Staaten sich mehr auf der Welt engagieren, und wir sollten dies umfassender auch gemeinsam tun.

Wirtschaftlich gesehen bringen die Vereinigten Staaten den europäischen Verbrauchern und Unternehmen Vorteile durch Zugang zu mehr Märkten oder gerechtere Regeln im internationalen Handel. Europa zieht aber auch Vorteile aus dem Frieden und der Stabilität in der Region Asien-Pazifik und die Vereinigten Staaten haben – gemeinsam mit ihren Verbündeten in der Region – dazu beigetragen, dies sicherzustellen.

Vor zwei Jahren haben Präsident Obama und der chinesische Präsident Hu Vizepräsident Xi und mich dazu aufgefordert, mehr Zeit miteinander zu verbringen. Wir haben das Land des jeweils anderen besucht und viele Stunden miteinander verbracht. Es waren zehn Tage gemeinsam in unseren Ländern: fünf Tage in China, fünf in den Vereinigten Staaten. Ich glaube – Präsident Obama und ich glauben –, dass der Aufbau persönlicher Beziehungen zur aufstrebenden chinesischen Führung nicht nur für die Vereinigten Staaten von Bedeutung ist, sondern dafür, dass sie und wir wissen, wo wir stehen. Wir verstehen einander vollständig. Ich sage oft zu meinen Kollegen im Repräsentantenhaus und im Senat, was Tip O’Neill immer zu sagen pflegte: Politik ist eine gänzlich lokale Angelegenheit. Ich glaube, dass Politik, insbesondere internationale Politik, eine persönliche Angelegenheit ist. Ich glaube, persönliche Beziehungen sind wichtig.

Als ich also nach China gereist bin, habe ich ganz deutlich gemacht, dass die Vereinigten Staaten China nicht feindlich gegenüberstehen, und dass wir zur gleichen Zeit sowohl zusammenarbeiten als auch miteinander konkurrieren können. Ich habe bereits häufig gesagt, dass der Aufstieg eines friedlichen und verantwortungsvollen Chinas, das zu weltweiter Sicherheit und Wohlstand beiträgt, im Interesse aller Länder ist.

Wir müssen alle unseren Teil dazu beitragen, Peking zu ermuntern, seine Interessen mehr im Sinne gemeinsamer globaler Angelegenheiten zu definieren und nicht mit Schwerpunkt auf ausschließlich inländische Themen. Die Vereinigten Staaten sind eine pazifische Macht. Aber das größte Militärbündnis der Welt hilft uns dabei, auch eine atlantische Macht zu sein. Wie unsere neue Verteidigungsstrategie deutlich zeigt, werden wir sowohl eine pazifische als auch eine atlantische Macht bleiben. Und bei allem gebührenden Respekt möchte ich auch anmerken, dass dies auch stark im Interesse Europas ist.

Die Quintessenz ist doch, dass die Vereinigten Staaten und Europa ein großes und besonderes Interesse daran haben, dass die Region Asien-Pazifik friedlich ist und wächst – genauso wie Russland und Japan. Daher sollten wir unsere Zusammenarbeit zum Wohle dieser Interessen intensivieren und gemeinsam voranschreiten.

Heute habe ich nur einige dieser Herausforderungen erörtert, die wir während der kommenden vier und während der folgenden Jahre vor uns haben. Noch viele andere werden kommen, die ich nennen könnte, ebenso wie weitere, unvermeidbare Herausforderungen, die im Laufe der Zeit auftreten werden. In einer komplexen Welt bietet uns das Wissen Sicherheit, dass wir sie gemeinsam bewältigen können, da wir dies in der Vergangenheit bereits getan haben.

Gemeinsam können wir den Zweiflern, die niemals müde werden, unablässig die Frage zu stellen, die schon bei meinem ersten Treffen zur NATO 1976 gestellt wurde, als ich als junger Senator Vorsitzender des Unterausschusses für europäische Angelegenheiten des Auswärtigen Ausschusses war: Wohin, NATO? Ich habe keine Konferenz besucht, bei der dies nicht auch Thema war: Wohin, NATO? Werden wir es schaffen? Werden wir zusammenhalten?

Meine Damen und Herren, wir sollten für den Gedanken, dass wir es gemeinsam nicht schaffen, nur Spott übrig haben. Wir müssen es gemeinsam schaffen. Amerika, Nordamerika und Europa müssen die Herausforderungen für unsere Sicherheit in der modernen Welt gemeinsam meistern. Und das werden wir weiterhin tun.

Ich danke Ihnen daher für die Einladung nach München, und dafür, dass ich hier einige der Absichten unserer Regierung für die kommenden vier Jahre darlegen durfte. Es ist mir eine Ehre, heute mit Ihnen hier sein zu dürfen. Ich freue mich auf die privaten Treffen mit einigen von Ihnen und lade meine Freunde aus dem Senat und dem Repräsentantenhaus hiermit gerne vor ihrer Abreise zu einem Mittagessen oder ähnlichem ein.

Vielen Dank, dass ich heute hier sein durfte. Ich danke Ihnen für alles, was Sie getan haben.

Originaltext: Vice President Biden at Munich Security Conference; Herausgeber: US-Botschaft Berlin, Abteilung für öffentliche Angelegenheiten; http://blogs.usembassy.gov/amerikadienst/


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