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"Wir müssen uns erneut zu unserer gemeinsamen Sicherheit bekennen und die NATO erneuern"

Rede von Joseph R. Biden, Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika, auf der 45. Münchner Sicherheitskonferenz

Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von US-Vizepräsident Joe Biden anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz im Hotel Bayerischer Hof vom 7. Februar 2009. Die Rede im englischen Original finden Sie hier: Remarks by Vice President Biden. Die deutsche Übersetzung besorgte der Amerika Dienst.



Rede des US-Vizepräsidenten

07.02.2009

Vielen Dank, Herr Botschafter. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist eine Ehre, wieder in München zu sein. Als US-Senator habe ich viele Male an dieser Konferenz teilgenommen, und drei meiner Kollegen aus dem Kongress haben mich heute begleitet. Aber ich fühle mich auch geehrt, als Vizepräsident der Vereinigten Staaten hier zu sein und eine neue Regierung sowie hoffentlich ein neues Zeitalter vertreten zu dürfen.

Heute ist es mir eine besondere Ehre, diese Regierung zu vertreten. Wir haben die älteste unserer Traditionen erlebt: die friedliche Übergabe von Macht. Jetzt muss ich zwei Freunde entschuldigen, die normalerweise hier gewesen wären. Weil wir aber noch mit der Gesetzgebung für unser Konjunkturpaket zu tun haben, müssen sich die Senatoren John McCain und John Kerry, die gerne mit meinen drei Kollegen aus dem Repräsentantenhaus angereist wären und sonst auch immer teilgenommen haben, entschuldigen lassen.

Ich bin im Auftrag der neuen Regierung nach Europa gekommen, einer Regierung, die entschlossen ist, nicht nur in Washington einen neuen Ton anzuschlagen, sondern auch in den Beziehungen der Vereinigten Staaten auf der ganzen Welt. Dieser neue Ton gründet auf starke überparteiliche Zusammenarbeit zur Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen. Wir sind uns bewusst, dass die Bewältigung dieser Herausforderungen keine Chance, kein Luxus ist, sondern eine absolute Notwendigkeit. Obwohl jedem Neuanfang Hoffnung innewohnt – für die Vereinigten Staaten und die in diesem Saal vertretenen Länder – ist er auch belastet mit beträchtlicher Sorge und Gefahr.

Zu diesem Zeitpunkt ist es unseres Erachtens unsere Pflicht gegenüber unseren Mitbürgern, kleinliche politische Vorstellungen beiseite zu lassen, die Nullsummenmentalitäten und starren Ideologien zurückzuweisen und einander zuzuhören, voneinander zu lernen und zusammenzuarbeiten, um Wohlstand und Sicherheit für alle hier in diesem Raum zu erreichen. Das ist es unserer Meinung nach, was dieser Zeitpunkt erfordert. Und genau dazu ist diese neue Regierung auch entschlossen.

Seit 45 Jahren kommen auf dieser Konferenz Amerikaner und Europäer zusammen – in den letzten Jahren auch führende Politiker von außerhalb der transatlantischen Gemeinschaft – um über ihre physische Sicherheit zu sprechen. Aber uns ist in diesem Jahr mehr als je zuvor bewusst, dass unsere physische und unsere wirtschaftliche Sicherheit untrennbar miteinander verbunden sind. Wir alle sehen uns einer ernsten Bedrohung unserer wirtschaftlichen Sicherheit gegenüber, die Instabilität weiterverbreiten und die Fortschritte untergraben könnte, die wir zur Verbesserung des Lebensstandards aller unserer Bürger gemacht haben.

In den Vereinigten Staaten ergreifen wir – wie viele von Ihnen auch – energische Maßnahmen zur Stabilisierung unseres Finanzsystems, zur Ankurbelung der Wirtschaft und, hoffentlich, zur Schaffung einer neuen Wachstumsgrundlage für das 21. Jahrhundert. In Zusammenarbeit mit dem Kongress tätigen wir strategische Investitionen zur Schaffung und Sicherung von – so meinen wir – drei bis vier Millionen Arbeitsplätzen und zur gleichzeitigen Förderung unserer langfristigen Wettbewerbsfähigkeit.

Zu unserem Plan gehört die Verdoppelung der Erzeugung alternativer Energie in den nächsten drei Jahren, die kostensparende Umstellung der medizinischen Akten unserer Bürger auf den Computer, die Ausstattung Zehntausender unserer Schulen und Colleges mit Klassenzimmern, Laboren und Bibliotheken des 21. Jahrhunderts, die Einführung der Breitbandtechnologie in ganz Amerika sowie erneute Investitionen in Wissenschaft, Forschung und Technologie – all die Dinge, die Innovationen fördern. Wir versuchen auch, unsere Finanzinstitutionen zu stabilisieren, indem wir beträchtliche Kapitalsummen zuführen, einige Vermögenswerte kaufen und Garantien für andere geben. Diese Maßnahmen werden, wie Sie alle wissen, Auswirkungen weit über unsere Grenzen hinaus haben, ebenso wie die Maßnahmen, die Sie ergreifen, auch über ihre Grenzen hinaus Wirkung zeigen werden.

Wir werden also soweit wie möglich zusammenarbeiten müssen um zu gewährleisten, dass sich unsere Maßnahmen ergänzen, und wir müssen unser Äußerstes tun, um diese globale Krise zu bekämpfen. Die Vereinigten Staaten versuchen, ihren Teil dazu beizutragen. Präsident Obama freut sich bereits darauf, unsere Botschaft beim Treffen der G20 im April in London zu vermitteln.

Während wir uns mit dieser Wirtschaftskrise befassen, müssen wir uns auch in einem Krieg in Afghanistan behaupten, der nun ins achte Jahr geht, und in einem Krieg im Irak, der seit sechs Jahren andauert. Und wir müssen erkennen, wie sowohl die Bundeskanzlerin als auch Präsident Sarkozy heute bereits erwähnten, dass es andere Kräfte gibt, die dieses neue Jahrhundert prägen. Die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und gefährlichen Krankheiten, Epidemien, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, ethnische Differenzen in gescheiterten Staaten sowie die Erderwärmung und eine unsichere Versorgung mit Energie, Nahrungsmitteln und Wasser. Auch die von radikalem Fundamentalismus ausgehenden Herausforderungen für Freiheit und Sicherheit müssen auf diese Liste gesetzt werden.

Bei der Bewältigung dieser Herausforderungen werden sich die Vereinigten Staaten von diesem Grundsatz leiten lassen, der da lautet: Es gibt keinen Konflikt zwischen unserer Sicherheit und unseren Idealen. Unseres Erachtens stärken sie sich gegenseitig.

Kraft der Waffen haben wir unsere Unabhängigkeit gewonnen, und im gesamten Verlauf unserer Geschichte haben Waffen unsere Freiheit geschützt. Das wird sich nicht ändern. Aber in dem Augenblick, in dem wir unseren Unabhängigkeitskrieg begannen, legten wir der Welt die Werte hinter unserer Revolution sowie die Überzeugung dar, dass unsere Politik - wie wir zu der Zeit sagten - von "Anstand und Achtung für die Meinungen des menschlichen Geschlechts" getragen wird.

Unseren Gründungsvätern war damal bewusst, und die Vereinigten Staaten sind heute davon überzeugt, dass wir, wenn wir kraft unserer Macht handeln, auch kraft unseres Vorbilds handeln müssen. Deshalb verweigert unsere Regierung die falsche Wahl zwischen Sicherheit und Idealen. Die Vereinigten Staaten werden ihre Sicherheit und Werte rigoros verteidigen und unserer Meinung nach werden wir alle sicherer sein, wenn wir dies tun.

So sehr wir uns auch bemühen, weiß ich doch, dass wir wahrscheinlich in der Zukunft – wie es auch in der Vergangenheit war - unseren Idealen nicht immer gerecht werden können. Aber ich verspreche Ihnen, diese Regierung wird jeden Tag – jeden Tag - danach streben, die Werte zu würdigen, die die amerikanische Demokratie mit Leben erfüllen, und die, wie ich hinzufügen möchte, uns mit Ihnen allen in diesem Raum verbinden.

Die Vereinigten Staaten werden nicht foltern. Wir werden die Rechte derjenigen wahren, die wir vor Gericht stellen. Und wir werden die Haftanstalt in Guantanamo Bay schließen.

Vor uns liegen schwierige Entscheidungen. Auf der Suche nach einem dauerhaften Rahmen für unseren gemeinsamen Kampf gegen Extremismus müssen wir mit Ländern auf der ganzen Welt zusammenarbeiten – und wir benötigen Ihre Hilfe. Wir werden Ihre Hilfe brauchen. Wir werden beispielsweise andere bitten, Verantwortung für einige der jetzt in Guantanamo Inhaftierten zu übernehmen, damit wir es schließen können. An unserer Sicherheit sind wir alle beteiligt. Und das gleiche gilt, möchte ich respektvoll anmerken, für unsere Verantwortung, sie zu verteidigen.

Auf dieser Basis möchten wir eine neue Herangehensweise an die Herausforderungen dieses Jahrhunderts finden. Die Vereinigten Staaten werden mehr tun – das sind die guten Neuigkeiten. Die schlechten Neuigkeiten sind, dass die Vereinigten Staaten auch mehr von ihren Partnern verlangen werden.

Folgendes wollen wir tun und hoffen, dass unsere Partner es in Betracht ziehen werden.

Erstens werden wir in Partnerschaft handeln, wo wir können, und im Alleingang nur, wenn wir müssen. Die Bedrohungen, mit denen wir konfrontiert sind, haben keinen Respekt vor Grenzen. Kein Land allein, unabhängig davon, wie stark es ist, kann diese Bedrohungen am besten alleine meistern. Wir glauben nicht, dass internationale Bündnisse und Organisationen die Macht der Vereinigten Staaten verringern – wir glauben, sie helfen unsere kollektive Sicherheit, unsere gemeinsamen Wirtschaftsinteressen und Werte zu stärken.

Wir werden uns also einbringen. Wir werden zuhören. Wir werden uns abstimmen. Die Vereinigten Staaten brauchen die Welt ebenso wie die Welt meines Erachtens die Vereinigten Staaten braucht. Aber wir sagen unseren Freunden, dass die Bündnisse, Verträge und internationalen Organisationen, die wir aufbauen, glaubwürdig und effektiv sein müssen. Das erfordert die gemeinsame Verpflichtung, nicht nur zuzuhören und sich an die Regeln zu halten, sondern auch, die Regeln durchzusetzen, wenn tatsächlich gegen sie verstoßen wird.

Eine solche Abmachung streben wir an. Eine solche Abmachung kann der Kern unserer gemeinsamen Bemühungen sein, beispielsweise den Iran zu überzeugen, auf die Entwicklung von Kernwaffen zu verzichten. Die Iraner sind ein großartiges Volk, die persische Kultur eine großartige Kultur. Aber das Verhalten Irans war dem Frieden in der Region oder dem Wohlstand der eigenen Bürger nicht förderlich. Sein illegales Atomwaffenprogramm ist nur ein Ausdruck hiervon.

Unsere Regierung überprüft ihre Strategie gegenüber dem Iran, aber soviel ist klar: Wir werden zum Dialog bereit sein. Wir werden bereit sein, mit dem Iran zu sprechen und eine klare Wahlmöglichkeit anzubieten: Bleibe auf dem aktuellen Kurs, und es wird weiter Druck und Isolation geben, gib das Atomwaffenprogramm und die Unterstützung von Terrorismus auf, und es wird bedeutende Anreize geben.

Zweitens werden wir versuchen, präventiv, nicht präemptiv vorzugehen, um wo oder wann auch immer möglich zu verhindern, die Wahl des letzten Mittels zwischen den Risiken eines Krieges und den Gefahren des Nichthandelns treffen zu müssen. Wir werden versuchen, alle Bestandteile unserer Macht einzusetzen - militärische und diplomatische, nachrichtendienstliche und strafverfolgungsrechtliche, wirtschaftliche und kulturelle – um das Enstehen von Krisen zu verhindern, bevor wir mit ihnen konfrontiert werden. Kurz gesagt, wir werden versuchen, die amerikanische Stärke voll und ganz wiederzuerlangen, angefangen mit der Diplomatie.

An seinem zweiten vollen Tag im Amt stattete Präsident Obama dem Außenministerium einen Besuch ab, wo er die zentrale Bedeutung der Diplomatie für unsere nationale Sicherheit hervorhob. Dieses Engagement sieht man an seinen Ernennungen, angefangen mit Außenministerin Hillary Clinton. Man sieht es an der Entscheidung des Präsidenten, zwei der hartnäckigsten Diplomaten der Vereinigten Staaten - Senator George Mitchell und Botschafter Richard Holbrooke - für die Bewältigung von zwei der dringlichsten, schwierigsten und vielschichtigsten Herausforderungen der Welt zu ernennen: die Notwendigkeit, einen sicheren, gerechten und dauerhaften Frieden zwischen Israel und Palästina zu schaffen, sowie das Gebot, die Berge zwischen Afghanistan und Pakistan als Zufluchtstätte für Terroristen zu sperren.

Bei beiden Bestrebungen ersuchen die Vereinigten Staaten um Ihre Partnerschaft.

Senator Mitchell hat gerade seine erste Reise in den Nahen Osten beendet. Er war vor allem zum Zuhören dort. Kurzfristig müssen wir die Waffenruhe im Gazastreifen festigen, indem wir mit Ägypten und anderen daran arbeiten, Schmuggel zu unterbinden, und internationale Hilfs- und Wiederaufbaubestrebungen entwickeln, die die Palästinensische Autonomiebehörde stärken und nicht die Hamas. Keines dieser Ziele kann ohne enge Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten, Europa und unseren arabischen Partnern erreicht werden.

Dann müssen wir die Grundlage für umfassendere Friedensbemühungen schaffen. In der Vergangenheit – nun, sehen wir es mal so, es ist höchste Zeit für uns, eine gerechte Zweistaatenlösung zu gewährleisten. Wir werden uns dafür einsetzen, dies zu erreichen. Und wir werden uns dafür einsetzen, Extremisten zu besiegen, die den Konflikt aufrechterhalten. Indem wir auf positiven Elementen der von Saudi-Arabien initiierten arabischen Friedensinitiative aufbauen, werden wir auf einen umfassenderen regionalen Frieden zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn hinarbeiten, und wir werden indessen unsere eigenen Truppen im Irak auf vernünftige Weise reduzieren.

Die Vereinigten Staaten werden weiter auf ein stabiles Afghanistan hinarbeiten, das kein Zufluchtsort für Terroristen ist. Wir freuen uns darauf, diese Verantwortung mit der Regierung und den Menschen in Afghanistan und Pakistan sowie allen unseren Verbündeten und Partnern zu teilen, denn eine sich verschlechternde Situation in der Region stellt nicht nur eine Sicherheitsbedrohung für die Vereinigten Staaten dar, sondern auch, wie ich mir etwas vermessen zu sagen erlaube, für jeden von Ihnen in diesem Saal.

Präsident Obama hat eine strategische Überprüfung unserer Politik in Afghanistan und Pakistan angeordnet um sicherzugehen, dass unsere Ziele klar und erreichbar sind. Bei dieser Überprüfung wünschen wir uns Beiträge von Ihnen und allen unseren Partnern. Wir wünschen uns diese Ideen wirklich aufrichtig. Ich hatte bereits einige bilaterale Treffen. Heute Nachmittag habe ich die Gelegenheit, den französischen Präsidenten und andere zu treffen. Heute Morgen hatte ich die Gelegenheit, mit der Bundeskanzlerin zu sprechen. Wir meinen es ernst damit, dass wir Ihren Rat suchen.

Bei dieser Überprüfung steht viel auf dem Spiel. Das Ergebnis muss eine umfassende Strategie sein, für die wir alle Verantwortung übernehmen, die unsere zivilen und militärischen Ressourcen gemeinsam nutzt, die Terroristen einen sicheren Zufluchtsort verwehrt, die den Afghanen hilft, ihre Zukunft selbst zu sichern. Aber meiner bescheidenen Ansicht nach kann keine Strategie für Afghanistan ohne Pakistan funktionieren. Wir müssen alle unsere Zusammenarbeit mit den Bürgern und der Regierung Pakistans intensivieren, ihnen helfen, die Stammesgebiete zu stabilisieren, Wirtschaftsentwicklung und -chancen im ganzen Land fördern. Was meine Regierung angeht, so empfinden wir es als dringlich, von eher transaktionalen Beziehungen zu langfristigen Beziehungen überzugehen.

Drittens werden die Vereinigten Staaten denjenigen die Hand reichen, die, wie der Präsident sagte, ihre Faust öffnen. Die Vereinigten Staaten von Amerika glauben nicht, unsere Regierung glaubt nicht an einen Kampf der Kulturen; es gibt nichts Unausweichliches daran. Wir sehen durchaus einen gemeinsamen Kampf gegen Extremismus – und wir werden alle in unserer gemeinsamen Macht Stehende tun, um den Kräften der Toleranz zum Sieg zu verhelfen.

In der muslimischen Welt gibt es eine kleine Zahl – wie ich glaube, eine sehr kleine Zahl – gewalttätiger Extremisten, die sich der Vernunft verschließen. Wir werden und wir müssen sie besiegen. Hunderte Millionen Herzen und Köpfe in der muslimischen Welt teilen allerdings die Werte, die wir wertschätzen. Wir müssen sie erreichen. Präsident Obama hat deutlich gemacht, dass wir nach einem neuen Weg in die Zukunft suchen, der auf gemeinsamen Interessen und gegenseitigem Respekt aufbaut. Es war kein Zufall, dass er sein erstes Interview als Präsident der Vereinigten Staaten dem Sender Al Arabiya gab. Das war kein Zufall.

Zur Bewältigung der Herausforderungen dieses neuen Jahrhunderts sind Verteidigung und Diplomatie erforderlich. Aber offen gesagt, meine Damen und Herren, reicht das nicht aus. Wir müssen auch den Einfluss von Entwicklung und Demokratie geltend machen, den zwei mächtigsten Waffen in unserem gemeinsamen Arsenal. Arme Gesellschaften und Problemstaaten können, und das wissen Sie ebenso gut wie ich, zum Nährboden für Extremismus, Konflikte und Krankheiten werden. Nichtdemokratische Nationen ersticken die rechtmäßigen Wünsche ihrer Bürger und schüren Ressentiments.

Unsere Regierung hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Auslandshilfe aufzustocken, die extreme Armut bis 2015 zu halbieren, zur Beseitigung des globalen Bildungsdefizits beizutragen, die Schulden der ärmsten Länder der Welt zu erlassen, eine neue grüne Revolution zur Erzeugung nachhaltiger Versorgung mit Lebensmitteln ins Leben zu rufen, Demokratie nicht durch Gewalt von außen aufzuzwingen, sondern durch die Zusammenarbeit mit gemäßigten Kräften in der Regierung und Zivilgesellschaft beim Aufbau der Institutionen, die die Freiheit schützen – offen gesagt die einzige Art und Weise, diese Freiheit zu gewährleisten.

Wir sind auch entschlossen, eine nachhaltige Zukunft für unseren Planeten aufzubauen. Wieder einmal sind wir bereit, mit gutem Beispiel voranzugehen. Die Vereinigten Staaten werden sich gemeinsam mit gleichgesinnten Nationen energisch gegen den Klimawandel und für Energiesicherheit einsetzen.

Das Konjunkturpaket unserer Regierung beispielsweise sieht langfristige Investitionen in erneuerbare Energien vor. Und das ist unseres Erachtens nur eine Anzahlung. Der Präsident hat als Beweis seines Engagements unsere Umweltbehörde angewiesen zu überprüfen, wie wir Emissionen regulieren, ein Verfahren zur Verbesserung des Einsparpotenzials von Kraftstoff zu entwickeln, einen Klimabeauftragten zu ernennen – und das alles in seiner ersten Woche im Amt.

Mit der erneuten Betonung von Diplomatie, Entwicklung und Demokratie sowie dem Schutz unserer Erde fordern die Vereinigten Staaten auch ihre Bündnispartner auf, einige ihrer eigenen Vorgehensweisen zu überdenken - einschließlich ihrer Bereitschaft, Gewalt einzusetzen, wenn alles andere versagt.

Was radikale Gruppen betrifft, die Terror als Werkzeug einsetzen, radikale Staaten, die Extremisten Zuflucht gewähren, den Frieden unterminieren oder Massenvernichtungswaffen verbreiten wollen und Regime, die systematisch die ethnische Säuberung oder Tötung ihres eigenen Volkes betreiben, müssen wir geeint stehen und jedes Mittel anwenden, das uns zur Verfügung steht, um die von ihnen ausgehende Bedrohung zu bekämpfen.

Keiner von uns kann die neuen Bedrohungen des 21. Jahrhunderts leugnen oder ihnen entkommen. Noch können wir der Verantwortung entkommen, sie zu bewältigen.

Wir sind uns in den Vereinigten Staaten auch durchaus bewusst, wie schwierig es ist, diese Gedanken einer Öffentlichkeit zu vermitteln, die nicht viel von dem hören möchte, was gesagt werden muss.

In zwei Monaten werden die Mitglieder der Organisation des Nordatlantikpakts zusammenkommen, um den 60. Jahrestag dieses Bündnisses zu begehen. Das Bündnis ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Eckpfeiler unserer gemeinsamen Sicherheit. Es hat die Vereinigten Staaten in Europa verankert und dazu beigetragen, ein geeintes und freies Europa zu schaffen. Gemeinsam haben wir einen Pakt geschlossen, einen Pakt zum Schutz der Freiheit unserer Bürger, basierend auf den Grundsätzen und Dokumenten, die sich auf Demokratie, persönliche Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit beziehen. Wir haben uns verpflichtet, zusammenzuarbeiten, uns abzustimmen und entschlossen zu handeln, wenn die Grundsätze, die wir verteidigt haben, angegriffen werden.

Es gibt viel zu feiern. Aber es muss noch weitaus mehr getan werden. Wir müssen uns erneut zu unserer gemeinsamen Sicherheit bekennen und die NATO erneuern, so dass ihr Erfolg im 21. Jahrhundert ihrem Erfolg im 20. Jahrhundert gleichkommt.

Die Hauptaufgabe der NATO bleibt die kollektive Verteidigung ihrer Mitglieder. Aber angesichts neuer Bedrohungen und neuer Realitäten benötigen wir neue Entschlossenheit, sie zu meistern und neue Fähigkeiten, um erfolgreich zu sein. Unser Bündnis muss besser ausgestattet werden, um der Verbreitung der gefährlichsten Waffen der Welt Einhalt zu gebieten, dem Terrorismus entgegenzutreten, Cyber-Sicherheit zu gewährleisten, die Energiesicherheit zu verbessern und innerhalb und außerhalb des Bündnisgebietes effektiver zu handeln. Wir werden die Raketenabwehr weiterentwickeln, um den zunehmenden Fähigkeiten Irans entgegenzuwirken, sofern die Technologie sich bewährt und kosteneffektiv ist. Wir werden dies in Abstimmung mit Ihnen, unseren NATO-Bündnispartnern, und Russland tun.

Beim Aufbrauch zu diesem Projekt der Erneuerung - wie wir es so gerne betrachen – würden es die Vereinigten Staaten, wie auch andere Bündnispartner, sehr begrüßen, und wir begrüßen es sehr, dass Frankreich sich zur vollständigen Zusammenarbeit innerhalb der Strukturen der NATO entschlossen hat. Das ist der Hauptgrund dafür, dass wir dem Präsidenten unsere Rede ausgehändigt haben. Sie sollten nettere Dinge über mich sagen, nachdem sie die Rede hatten, Herr Präsident. Das ist ein Witz.

Bei einem Gespräch mit Präsident Sarkozy vor kurzem unterstrich Präsident Obama seine starke Unterstützung für die vollständige Beteiligung Frankreichs an der NATO, sollte Frankreich dies wünschen. Frankreich ist Gründungsmitglied der NATO und Hauptbeitragsleistender bei ihren Einsätzen. Wir gehen davon aus, dass die neuen Aufgaben Frankreichs die Bedeutung seiner Beiträge im Verlauf der Geschichte der NATO widerspiegeln und die Rolle Europas innerhalb des Bündnisses stärken würde.

Wir unterstützen auch die weitere Stärkung der europäischen Verteidigung, eine gestärkte Rolle der Europäischen Union bei der Verteidigung von Frieden und Sicherheit, eine grundsätzlich stärkere Partnerschaft zwischen EU und NATO sowie eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Ländern außerhalb des Bündnisses, mit denen wir Ziele und Prinzipien teilen.

Die Vereinigten Staaten sind nicht der Ansicht, dass ein Gewinn für die NATO einen Verlust für Russland bedeuten muss, oder die Stärke Russlands die Schwäche der NATO ist. In den letzten Jahren gab es ein gefährliches Auseinanderdriften in den Beziehungen zwischen Russland und den Mitgliedern des Bündnisses. Um mit Präsident Obamas Worten zu sprechen – es ist an der Zeit, die Rücksetztaste zu drücken und die vielen Bereiche neu in Augenschein zu nehmen, in denen wir mit Russland zusammenarbeiten können und sollten.

Unsere russischen Kollegen haben schon vor langer Zeit vor der aufkommenden Bedrohung durch die Taliban und Al Kaida in Afghanistan gewarnt. Heute können und sollten die NATO und Russland zusammenarbeiten, um diesen gemeinsamen Feind zu besiegen. Wir können und sollten zusammenarbeiten, um verstreute Atomwaffen und –materialien zu sichern und ihre Verbreitung zu verhindern, die Überprüfungsverfahren des START-Vertrags zu erneuern und dann über die bestehenden Verträge hinaus über tiefere Einschnitte in unsere Waffenarsenale zu verhandeln. Die Vereinigten Staaten und Russland haben ein besondere Verpflichtung, die internationalen Bestrebungen zur Reduzierung der Anzahl von Kernwaffen auf der Welt anzuführen.

Wir werden uns mit Russland nicht in allem einig sein. Die Vereinigten Staaten werden beispielsweise Abchasien und Südossetien nicht als unabhängige Staaten anerkennen. Wir werden keinem Land eine Einflusssphäre zugestehen. Es ist und bleibt unsere Ansicht, dass souveräne Staaten das Recht haben, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und ihre eigenen Bündnisse zu wählen. Aber die Vereinigten Staaten und Russland können unterschiedlicher Meinung sein und trotzdem dort zusammenarbeiten, wo sich ihre Interessen überschneiden. Und sie überschneiden sich an vielen Stellen.

Diese Konferenz began im Schatten des Kalten Krieges. Jetzt findet sie in einem neuen Jahrhundert mit neuen Bedrohungen statt. Ein großer irischer Dichter drückte es einst unter anderen Umständen folgendermaßen aus: "Alles änderte sich vollständig. Furchtbare Schönheit entstand." Wir alle haben uns verändert, vollständig verändert. Und wir müssen uns auch verändern, aber gleichzeitig den Grundsätzen treu bleiben, auf denen dieses Bündnis gegründet wurde. Wir müssen den gemeinsam den Mut und die Entschlossenheit derjenigen aufbringen, die vor uns zusammengearbeitet, zusammen etwas aufgebaut, zusammen gestanden haben. Aufgund ihrer gemeinsame Ideale und auf der Suche nach Partnern in einer komplexeren Welt halten Amerikaner und Europäer sich immer noch zuerst aneinander, bevor sie sich an andere wenden. Unsere Partnerschaft kommt uns allen zugute. Es ist Zeit , sie zu erneuern. Präsident Obama und ich freuen uns darauf, genau das zu tun.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Originaltext: Remarks by Vice President Biden at the 45th Munich Security Conference; siehe: http://germany.usembassy.gov/events/2009/feb-biden-security/
oder auf unserer Seite: Remarks by Vice President Biden


Herausgeber: Amerika Dienst; US-Botschaft Berlin, Abteilung für öffentliche Angelegenheiten
http://amerikadienst.usembassy.de/


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