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Es droht NATO-Krach im "Bayerischen Hof"

Beim Streit um Afghanistan geht es auch um die Zukunft der Allianz

Von Olaf Standke *

Rund 350 Teilnehmer, darunter der türkische Premier Erdogan, die Staatschefs von Serbien, Georgien, Mazedonien und Moldova sowie über 40 Außen- und Verteidigungsminister werden an diesem Wochenende in München zur 44. Internationalen Sicherheitskonferenz (Siko) erwartet.

Als Pentagon-Chef Robert Gates vor ein paar Tagen seinen Afghanistan-Brandbrief verschickte, war die Tagungsordnung der Sicherheitskonferenz im »Bayerischen Hof« von München endgültig vorgegeben. Und die ersten Diskussionsbeiträge wurden praktisch schon am Donnerstag beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Litauen gehalten. Gates hat inzwischen nachgelegt und warnt vor der drohenden Spaltung im Bündnis, sollten nicht alle Paktstaaten dem Ruf nach Entsendung zusätzlicher Einheiten an den Hindukusch folgen. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer und Verteidigungsminister Franz Josef Jung widersprachen dem gestern in Vilnius zwar, doch hat etwa Kanada, mit rund 2500 Soldaten im umkämpften Landessüden vertreten, angekündigt, man wolle sich ganz zurückziehen, wenn die Allianz nicht weitere 1000 Soldaten schicke und die eigenen Truppen mit Kampfhubschraubern und Aufklärungsdrohnen ausgerüstet würden.

Der scheidende Siko-Chef Horst Teltschik befürchtet, dass es über das heikle Thema am Wochenende bei »seiner« Konferenz zum heftigen Krach kommen könnte. Es sei völlig klar, dass das militärische Engagement in Afghanistan nicht ausreichend sei, also auch das deutsche nicht. Und wenn davon das Schicksal der Afghanistan-Mission der NATO abhänge, dann müsse die Bundeswehr in den Landessüden ziehen. Für Teltschik scheint ein übers Militärische hinausreichender Sicherheitsansatz kein diskussionswürdiges Thema zu sein, deshalb wohl hat er auch nur eine Nichtregierungsorganisation zur Tagung eingeladen. Kritiker der »Kriegskonferenz« wie der linke Europaabgeordnete Tobias Pflüger müssen seit Jahren vor der Tür bleiben und werden im Fall der Fälle gleich noch kriminalisiert. Der Arbeitskreis Darmstädter Signal aus ehemaligen und noch aktiven Bundeswehrsoldaten hat jetzt einen sofortigen Strategiewechsel »mit wesentlich mehr Beteiligung der afghanischen Bevölkerung« gefordert. Weniger Geld für Militär und drei Mal so viel wie bisher für den zivilen Wiederaufbau, für Krankenhäuser, Bildung, Wohnungsbau und Infrastruktur, zur Verringerung des Opiumanbaus und für den beschleunigten Aufbau von Justiz und Polizei seien notwendig.

Wie viel Raum angesichts des Streitpotenzials in Sachen Afghanistan bleibt, um – wie vom slowenischen Außenminister Dimitrij Rupel für die EU-Präsidentschaft und vom Moskauer Vizepremier Sergej Iwanow vorgesehen – über das Thema »Wohin geht Russland?« zu reden oder die Zukunft Kosovos zu debattieren, bleibt abzuwarten. Und gespannt darf man sein, wie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier seine Ankündigung umsetzt, in München größere Anstrengungen für Abrüstungsgespräche und einen Dialog nach dem Vorbild der KSZE zu fordern. In einem vor der Konferenz lancierten Strategiepapier von ehemaligen NATO-Generälen wird nicht nur auf die geostrategischen Aufgaben des Paktes zur Rohstoffsicherung seiner Mitgliedsländer abgehoben, sondern auch der atomaren Aufrüstung samt der Option nuklearer Präventivschläge das Wort geredet. Und US-Verteidigngsminister Gates hat in seinem Reisegepäck Pläne für einen neuen Pentagon-Rekordetat. Die Militärausgaben der Supermacht sollen im nächsten Finanzjahr um 7,5 Prozent auf 515 Milliarden Dollar steigen – nicht eingerechnet weitere 70 Milliarden Dollar für die Kriege in Irak und Afghanistan.


Zivile Alternativen

Keine Vermittlung nach Ende der Waffenruhe

Von Gisela Dürselen, München *


Ein Aktionsbündnis vorwiegend linker Gruppierungen hat für Freitag und Samstag Versammlungen, Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Sicherheitskonferenz organisiert. Die Polizei rechnet mit bis zu 6000 Teilnehmern.

»Krieg ist heutzutage nicht mehr Krieg, sondern Massaker, und es gibt keine gerechten Massaker. Zu behaupten, es gäbe keine Alternative, ist ein Zeichen von Fantasielosigkeit.« Dieser Satz stammt von Prof. Hans-Peter Dürr, Schirmherr der Münchner Friedenskonferenz vom 8. bis 9. Februar, Vorsitzender des Global Challenge Network, Mitglied im Club of Rome und Alternativer Nobelpreisträger von 1987.

Die Friedenskonferenz, veranstaltet von einem Bündnis Münchner Friedensorganisationen und dem Kulturreferat der Stadt, widmet sich zwei Schwerpunkten: Klima und Energiepolitik sowie Atomwaffen.

Der Trägerkreis Friedenskonferenz vertritt die Ansicht, die herkömmliche, militärgestützte Sicherheitspolitik habe versagt. Darum beschäftigt sich die Friedenskonferenz mit Konfliktursachen wie Klimawandel und Ressourcen-Verknappung.

Unter dem Titel »Friedenspolitik angesichts von Klimawandel und Energiekrise« diskutieren in einem internationalen Forum Prof. Dürr, Sabour Zamani, Leiter des Afghanischen Zentrums Berlin, Ursula Sladek, Geschäftsführerin der Elektrizitätswerke Schönau, und Hans-Christoph von Sponeck, ehemaliger UN-Koordinator für Irak. Vier weitere Themen stehen am Samstag von 10 bis 13 Uhr auf dem Programm: Im Forum »Wege zum Frieden in Afghanistan« befasst sich Sabour Zamani mit der Frage, wie Afghanistan mit zivilen Mitteln geholfen werden kann. »Friedensaufgaben der UNO – Welche Reformen?«, fragt Hans-Christoph Sponeck in einem weiteren Forum (ebenfalls Gewerkschaftshaus) und diskutiert den möglichen Beitrag von Politik und Gesellschaft zur UNO-Stärkung.

Die Elektrizitätswerke Schönau sind Thema eines dritten Forums mit Ursula Sladek zur Frage der globalen Wirkung lokaler Projekte: In dem 1500-Seelendorf im Schwarzwald hatte eine Bürgerinitiative 5,7 Millionen Mark gesammelt, das Leitungsnetz der Stadt gekauft und betreibt es seit 1997 selbst – ohne Atomstrom und klimafreundlich. Parallel zu den drei Diskussionsforen werden Aktionsbeispiele gegen Rüstung und Militär vorgestellt: die Friedensfahrradtour nach Brdy und das Projekt »Unsere Zukunft – atomwaffenfrei«.

Bevor die Konferenz in die Endphase geht, steht am Samstag die Demonstration gegen die Münchner Sicherheitskonferenz an. Da die Stadtverwaltung dem Aktionsbündnis die angemeldete Route rund um die Münchner Residenz verboten hat, wollen die Gegner auf einer wesentlich kürzeren Route in der Innenstadt vom Marienplatz bis zum Odeonsplatz ziehen, wie Organisator Claus Schreer mitteilte.

Am Samstag ab 19 Uhr beschäftigt sich eine aktuelle Runde im Gewerkschaftshaus mit Alternativen zur atomaren Aufrüstung: Die Konferenz endet mit einem Friedensgebet der Religionen am Sonntag ab 11.30 Uhr im Gemeindesaal der Pfarrei St. Ursula am Kaiserplatz.

* Beide Artikel aus: Neues Deutschland, 8. Februar 2008


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