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Festakt mit Gänsehauterlebnis

Die VVN-BdA feierte in Frankfurt am Main ihr 65-jähriges Jubiläum

Von Hans-Gerd Öfinger, Frankfurt am Main *

Auch nach 65 Jahren denkt die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) nicht an Ruhestand. Vor knapp 200 Gästen unter dem Motto »Fortsetzung folgt« präsentierte sich die VVN-BdA am Sonntag als Organisation, die noch heute dringend gebraucht wird.

Ältester im Saal war der 104-jährige Hans Schwert, der als Widerstandskämpfer und Häftling des NS-Regimes nach wie vor einer jungen Generation seine Erfahrungen vermittelt. »Du bist mein Vorbild«, würdigte ihn die Ehrenvorsitzende und Auschwitz-Überlebende Esther Bejerano, deren Eltern im KZ ermordet wurden. Die 87-jährige reist durch die Republik und klärt über den Faschismus auf. Sie hatte erst Jahrzehnte nach dem Holocaust ihr Schweigen gebrochen und war durch Erlebnisse mit Neonazis in den 1970er Jahren zur VVN-Aktivistin geworden: »Die Polizei schützte Nazis und zerrte Antifaschisten in die Grüne Minna«.

Als sich die VVN in jenen Jahren das Kürzel BdA zulegte, stieß auch Ulrich Schneider zum Verband. In seinem Rückblick auf die letzten 65 Jahre erinnerte Schneider an die Ausgrenzung der VVN in der Adenauer-Zeit und Stigmatisierung als »kommunistische Tarnorganisation«. Verbotsverfahren blieben indes erfolglos.

»Gibt es eine soziale Vererbung des Antifaschismus?« lautete die Fragestellung in einer Talkrunde mit Aktivisten der mittleren und jüngeren Generation. Den Antifaschismus »mit der Muttermilch aufgesogen« hat der in der DDR aufgewachsene und heute in Hessen lebende Manuel Mergen. Seine Großväter kämpften im Spanischen Bürgerkrieg gegen den von Hitler unterstützten Militärdiktator Franco, die Großmutter engagierte sich in der französischen Resistance gegen die Nazi-Besatzer. Der bei der Verteidigung Madrids geprägte Schlachtruf »No pasarán« (Sie kommen nicht durch) sei angesichts von Neonazi-Aufmärschen bis heute aktuell geblieben, so Mergen, der ein »Gänsehauterlebnis« bei der Reise zu einer Gedenkveranstaltung in Spanien schilderte: Als der Taxifahrer erfuhr, dass Mergens Großväter vor Ort gegen Franco gekämpft hatten, wollte er von seinem Fahrgast keinen Cent annehmen. »Ihre Großväter haben schon bezahlt«, so die Begründung.

»Ich komme aus einem diskussionsfreudigen Elternhaus und habe schon als Kind einen unbändigen Hass auf Faschisten entwickelt«, bekannte die Frankfurterin Doris Fisch. Sie hatte als Zehnjährige ihren Vater Hans Schwert erstmals zu einer VVN-Versammlung begleitet. Dass Staatsorgane bei einer Hausdurchsuchung in der elterlichen Wohnung sogar Bücher von Goethe und Heine konfiszierten, hat sie nicht vergessen.

Biografien und Lebenserinnerungen von Antifaschisten müssten gut aufbewahrt und weitergegeben werden, »damit die Jüngeren wissen, wie Widerstand geht«, gab Fisch zu bedenken. Schließlich könne ein krisengeschüttelter Kapitalismus irgendwann »unter Umständen auch wieder zu anderen Strukturen und Mitteln greifen«, so ihre Mahnung. »Wir haben noch sehr viel zu tun«, betonte auch der Präsident der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer, der Ungar Vilmos Hanti. Die VVN-BdA werde auch nach dem Tode der letzten Zeitzeugen konsequent deren Vermächtnis in breite antifaschistische Bündnisse einbringen, unterstrich die Bundesvorsitzende Cornelia Kerth: »Wir können und werden dazu beitragen, dass nachfolgenden Generationen die Wiederholung ihrer leidvollen Erfahrungen erspart bleibt.«

* Aus: neues deutschland, 19. März 2012

Dokumentiert: Grußadresse des Friedensratschlags

Liebe Kameradinnen und Kameraden,
liebe Friedensfreundinnen und –freunde,


65 Jahre VVN-BdA bedeuten 65 Jahre Kampf um gesellschaftliche und politische Anerkennung des antifaschistischen Widerstands, gegen die Naziideologie in den Köpfen vieler Menschen Nachkriegsdeutschlands, gegen Revanchismus und Remilitarisierung, gegen Antikommunismus und gegen die Totalitarismustheorie, und immer wieder gegen den periodisch anwachsenden, staatlich gehätschelten oder zumindest geduldeten Rassismus und Rechtsradikalismus. In diesem Kampf gab es zahlreiche Niederlagen, aber es gab ebenso viele Erfolge. Einer der größten Erfolge, so scheint mir, ist der sichtbare, von vielen jungen Menschen mitgetragene Widerstand gegen die neonazistischen Umtriebe und deren Beschützer aus Politik und Justiz. Dresden ist das jüngste Fanal für diesen erfolgreichen Kampf. Die Friedensbewegung hat sich an eurer Seite an diesem Kampf beteiligt.

Mit Sorge erfüllt uns allerdings auch die ideologische Positionierung der herrschenden Klasse, die mit der endgültigen Entsorgung der Geschichte des Sozialismus künftigen Generationen jeglichen Weg zu einem alternativen Gesellschaftsentwurf versperren möchte. Eine ähnliche Wendung versucht sie in der Weltpolitik. Sie soll sich künftig nicht mehr an den Prinzipien des Völkerrechts und der UN-Charta, nicht mehr am Schwur von Buchenwald orientieren, sondern den Krieg wieder als Mittel der Politik legitimieren und den weltweiten Kampf um Ressourcen und Absatzmärkte zur wichtigsten Aufgabe der Außen- und Sicherheitspolitik machen.

Aus eurer 65-jährigen Geschichte wissen wir, dass sich die Friedensbewegung auf die VVN-BdA verlassen kann, wenn wir gemeinsam gegen Aufrüstung, Waffenexporte, Militärinterventionen und gegen die Remilitarisierung der Gesellschaft kämpfen. Oder wenn wir uns einsetzen gegen Hunger und Armut in dieser Welt und für die Anerkennung der universellen Menschenrechte – wo und von wem auch immer sie verletzt werden. Ich halte es hier mit dem Lebensmotto des ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Heinz Galinski, der es so formulierte: "Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen."

Den Überlebenden des Holocaust und der Konzentrationslager, den Gründern eurer Organisation in Ost und West und den vielen Mitgliedern der nächsten Generation sei gesagt: Ihr habt die richtigen Lehren aus zwei Weltkriegen gezogen. Es sind auch die Lehren der Friedensbewegung.

Chapeau – und: weiter so!

Peter Strutynski
Bundesausschuss Friedensratschlag





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