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Antirassismus-Konferenz der Vereinten Nationen auf der Schneide

Die Suche nach Formelkompromissen kann das Unrecht nicht aus der Welt schaffen

Auf der UN-Weltkonferenz gegen Rassismus im südafrikanischen Durban haben sich die Gastgeber nach dem Rückzug der USA und Israels um eine Kompromissformel bemüht. Israel und die USA begründeten ihren Rückzug am Montag, den 3. September, mit einem Resolutionsentwurf arabischer Staaten, in dem das israelische Vorgehen gegen die Palästinenser als rassistisch gekennzeichnet wurde. Gemeinsam mit den Delegationen der EU und der Arabischen Liga wurde dann am Dienstag, den 4. September, an einem gänzlich neuen Entwurf der Abschlusserklärung gearbeitet. Vor der Presse erklärte die UNO-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson, die Konferenz scheine wieder auf den "rechten Weg" zurückzukommen. Alle Bezüge zum Nahostkonflikt seien vorerst aus dem Schlussdokument gestrichen worden. Südafrika arbeite nun an neuen Formulierungen.

Auch verschiedene EU-Staaten, darunter Belgien und die Bundesrepublik Deutschland, hatten erklärt, sie würden einem Text nicht zustimmen, in dem nur eine Partei des Nahostkonflikts unterstützt werde. "Wir wollen einen kurzen, ausgewogenen Text" sagte ein Sprecher des belgischen Außenministers Louis Michel. Ein Sprecher des Außenministeriums in Berlin erklärte, Deutschland setze sich dafür ein, Brücken zu schlagen und die Konferenz zu einem Erfolg werden zu lassen.

Nach vier Tagen Konferenzdauer ist also noch nicht sehr viel geschehen. Neben dem Israel-Thema widmeten sich die Konferenzteilnehmer noch der Forderung nach einer Entschuldigung und nach Reparationen für Sklaverei und Kolonialismus. Aus Sicht vieler Staaten der Dritten Welt ist es sicher bedauerlich, dass andere Themen wie die moderne Sklaverei, das Kastenwesen in Indien oder die Rechte von Ureinwohnern bei der Konferenz völlig an den Rand gedrängt wurden.

Im Folgenden dokumentieren wir jene Teile der Rede des deutschen Außenministers Fischer auf der UN-Konferenz, in denen er sich mit dem Nahostkonflikt befasst, sodann Teile eines FR-Interviews mit einem Palästinenser jüdischen Glaubens, in dem es um den Vorwurf des Apartheid-Systems geht, und schließlich einen Auszug aus einem Beitrag der Neuen Zürcher Zeitung zum gleichen Thema.



Außenminister Fischer am 1. September 2001 in Durban

Die schockierende Zunahme von Gewalt und Haß im Nahen Osten erfüllt uns mit allergrößter Sorge. Die vielen Opfer und ihre Familien auf beiden Seiten haben unser ganzes Mitgefühl. Der Teufelskreis der Gewalt muß endlich mit allen verfügbaren Mitteln durchbrochen werden. Das israelische wie das palästinesische Volk haben ein Recht auf kollektive und individuelle Sicherheit, auf ein Leben ohne Angst, in Würde und mit einer Perspektive für Kinder und Kindeskinder. Dazu gehört das Existenzrecht Israels, das für uns unantastbar ist, genauso aber auch das dauerhafte und uneingeschränkte Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung einschließlich der Option für einen Staat, wie es in der Berliner Erklärung der EU heißt.

Der Mitchell-Plan ist die von beiden Seiten akzeptierte "road map", die Gewalt zu beenden, neues Vertrauen zu schaffen und die ausgesetzten Verhandlungen wiederaufzunehmen. Hierzu gibt es keine sinnvolle Alternative. Eine breite internationale Koalition, die es in dieser Geschlossenheit noch nie gegeben hat, steht hinter diesem Ansatz. Wir rufen beide Seiten, Israelis wie Palästinenser, dazu auf, die vorgesehenen direkten Gespräche rasch aufzunehmen. Diese Gespräche müssen zum Erfolg führen. Zu viel hängt für die Menschen in der Region von ihrem Gelingen ab. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten.

Eine Polarisierung in der Debatte um den Nahostkonflikt oder gar eine Singularisierung Israels - direkt oder indirekt - hier in Durban ist dagegen in der gegenwärtigen Lage nicht geeignet, Vertrauen zu schaffen und den Friedensprozess wieder in Gang zu setzen. Einseitige Verurteilungen werden zugleich auch diese Konferenz bis hin zu ihrem Scheitern gefährden.

Ich möchte deshalb an alle Teilnehmer und besonders an unsere arabischen und palästinensischen Freunde den dringenden Appell richten, diese Gefahr für den Erfolg der Konferenz abzuwenden. Zweimal schon ist eine Weltrassismuskonferenz gescheitert. Geschieht dies noch einmal, dann wären die Verlierer erneut diejenigen, um deren besseren Schutz wir gemeinsam ringen wollen: die Unterdrückten und Entwürdigten in aller Welt.

Quelle: Homepage der Bundesregierung


Uri Davis* im Interview mit der Frankfurter Rundschau (Auszüge)

Frankfurter Rundschau: Die Anti-Rassismus-Konferenz wird von der Diskussion um den Nahen Osten beherrscht. War es nicht unfair von der arabischen Welt, dieses Podium für ihre Zwecke zu benutzen?

Uri Davis: Dass dieses Thema so in den Vordergrund trat, ist ja nicht Schuld der arabischen Welt. Israel ist wohl das einzige Land der Welt, in dem der Rassismus Aufnahme in das Rechtssystem gefunden hat. Israel ist ein Apartheidsstaat. Und deswegen muss diese Frage im Mittelpunkt dieser Konferenz stehen.

Inwiefern ist der Rassismus in Israel geschriebenes Recht?

Nehmen Sie etwa die Landgesetze. Die sind schlimmer, als die Rechtslage in Südafrika unter der Apartheidsherrschaft war. In Israel sind 93 Prozent des Landes für Juden reserviert. Nichtjüdischen und arabischen Einwohnern, die immerhin 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, stehen weniger als sieben Prozent der Fläche zur Verfügung. Oder die Klassifizierung der Wohngebiete: Eine Million palästinensische Araber, 20 Prozent der Bevölkerung, sind per Gesetz auf 2,5 Prozent der Siedlungsgebiete ghettoisiert.

Es war von vorneherein klar, dass sich die USA gegen eine Verurteilung Israels sträuben würden. Indem die arabische Welt darauf bestand, hat sie einen Erfolg der Konferenz bewusst aufs Spiel gesetzt.

Ich weiß, warum die USA sich so gegen die Klassifizierung Israels als Apartheidsstaat wenden. Das hätte rechtliche Konsequenzen: Fast zwangsläufig müssten die Vereinten Nationen Sanktionen gegen Israel verhängen. Ein Wirtschaftsboykott müsste natürlich noch vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet werden, wo die USA wieder ihr Veto einlegen würden. Aber immer, wenn sie das tun, zahlen sie einen politischen Preis dafür. Und eines Tages wird der Preis zu hoch sein.

Das klingt nach langem Atem.

Ich bin alt genug, um langfristig zu denken. Es wird wohl noch ein paar Jahre dauern, bis es solche Sanktionen gibt. Aber ich bin hundertprozentig sicher, dass die Amerikaner eines Tages kein Veto mehr einlegen werden. Und dann wird Palästina befreit werden wie einst Südafrika. ...

Das Forum der Nichtregierungsorganisationen hat zwar Israel als "Apartheidsstaat" verurteilt, aber einen Passus, in dem der Antisemitismus gegeißelt wird, aus ihrer Abschlusserklärung gestrichen. Ist das nicht ein Skandal?

In dem Passus wurde die Opposition zum Zionismus als Antisemitismus bezeichnet. Es war richtig, diesen Absatz herauszunehmen, weil diese Gleichsetzung unsinnig ist.

* Uri Davis, geboren 1943, lebt in Galiläa, ist seit 1984 PLO-Mitglied und einziges jüdisches Mitglied des Palästinensischen Nationalrates. Er ist Delegierter der Nichtregierungsorganisation Union of Arab Country Based Associations

Aus: Frankfurter Rundschau, 4. September 2001


Die Diskriminierung Israels gegen die Araber

...
Der jüdische israelische Autor Israel Shahak, ein liberaler Wissenschafter und radikaler Kritiker Israels, schreibt Folgendes: «Der Staat Israel diskriminiert offiziell die Nichtjuden zum Vorteil der Juden in manchen Bereichen, insbesondere in den Rechten auf Niederlassung, auf Arbeit und auf Gleichheit vor dem Gesetz. Die Diskriminierung in der Niederlassung stützt sich auf den Umstand, dass 92 Prozent des israelischen Bodens dem Staat gehören; er wird durch die Israel Land Authority nach den Regeln des Jüdischen Nationalfonds (JNF) verwaltet, eines Zweigs der Zionistischen Weltorganisation. Gemäss diesen Regeln verweigert der JNF allen Nichtjuden das Recht auf Niederlassung, ein Geschäft zu eröffnen und oft auch auf Arbeit, aus dem einzigen Grund, weil sie nicht Juden sind. Juden hingegen werden an der Niederlassung oder Geschäftstätigkeit irgendwo in Israel nicht behindert. Wenn solches in einem anderen Staat gegen Juden durchgesetzt würde, so gälte das sofort und zu Recht als Antisemitismus» (Israel Shahak, «Jewish History, Jewish Religion», 1994, Seite 5).

Shahak macht geltend, dass die gleiche Regelung auch im besetzten Cisjordanien und im Gazastreifen für Staatsland verfolgt wird; auf diesem Land befindet sich ein Teil der jüdischen Siedlungen. Als weitere diskriminatorische Bestimmung nennt Shahak das Recht auf Einwanderung, welches jedem offiziell als solchem anerkannten Juden das sofortige und automatische Recht auf Einreise und Niederlassung in Israel gewährt. Aus diesem ergibt sich das sofortige Stimm- und Wahlrecht sowie das Anrecht auf finanzielle Unterstützung für die Niederlassung. Ungleichheit vor dem Gesetz vermuten Journalisten auch immer wieder in der Praxis des Strafrechts, weil Palästinenser vor israelischen Gerichten für vergleichbare Verbrechen ungleich härter bestraft werden als Juden.

Viele Staaten legen für ihre eigenen Bürger andere Maßstäbe an als für Ausländer, besonders was das Recht auf Bodenerwerb und andere Anliegen der nationalen Stabilität angeht. Doch Israel unterscheidet hier in erster Linie zwischen Juden und Nichtjuden, erst dann zwischen Bürgern und Fremden. Wo dies die Grundrechte berührt, steht es im Widerspruch zur Allgemeinen Menschenrechtsdeklaration der UNO. Deshalb ist, trotz aller Demokratie unter Israels jüdischen und arabischen Bürgern, Kritik kaum zu vermeiden. Das Ausmass der Diskriminierung liest sich etwa daran ab, dass im israelischen Kernland etwas unter einer Million Palästinenser israelischer Nationalität leben. Weiter bestimmt Israel als Besetzungsmacht seit 1967 - allerdings nach einem nicht von Israel verschuldeten Krieg - über das Schicksal von 2,7 Millionen Palästinensern in Cisjordanien und im Gazastreifen, ohne ihnen jemals mehr als eine beschränkte Autonomie gemäss den Osloer Verträgen zu gewähren.

All das geht auf die Grundidee des zionistischen Projekts zurück, nämlich in Palästina eine Heimstatt für die Juden zu schaffen - und eben nicht für andere. Der Westen hat dieses Projekt adoptiert und jahrzehntelang gefördert, ohne sich jemals ernstlich um die Frage zu kümmern, was aus der nichtjüdischen Bevölkerung Palästinas werden sollte, die ja nicht einfach zum Verschwinden zu bringen war. ...

Aus: NZZ, 4. September 2001

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