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Rechte Parolen und laute Musik

Streit um Berliner Flüchtlingsheim: Was Anwohner schlimm finden

Von Claudia Wangerin *

Trotz massiver Stimmungsmache im Internet: Viele Teilnehmer hatten die Kundgebungen gegen die Notunterkunft für Asylbewerber im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf nicht. Am Mittwoch morgen standen sieben Anhänger der rechtspopulistischen »Bürgerbewegung Pro Deutschland« rund 100 Demonstranten gegenüber, die sich mit den Bewohnern des Flüchtlingsheims solidarisierten. »Pro Deutschland« hatte ursprünglich direkt vor der Notunterkunft in der Carola-Neher-Straße protestieren wollen. Die Kundgebung wurde aber an die Kreuzung Cecilienstraße, Ecke Hellersdorfer Straße verlegt.

Am Dienstag abend hatten ab 18 Uhr rund 45 Anhänger der neofaschistischen NPD am Alice-Salomon-Platz unter dem Motto »Nein zum Heim« protestiert. Die Polizei mußte sie gegen 400 bis 800 Gegendemonstranten abschirmen, die ihre Redebeiträge mit Sprechchören übertönten. Unterdessen hingen NPD-Plakate mit dem Schriftzug »Gute Heimreise« und der rassistischen Karikatur von drei Personen auf einem fliegenden Teppich direkt vor dem Flüchtlingsheim in der Carola-Neher-Straße, wo die NPD ursprünglich demonstrieren wollte. In Absprache mit der Polizei war ihre Kundgebung am Nachmittag verlegt worden. Mehrere Beamte behielten unterdessen vor dem Flüchtlingsheim die Teilnehmer einer Mahnwache des »Antirassistischen Infoportals Hellersdorf« im Auge. Einem gelang es am Dienstag abend dennoch, eines der NPD-Plakate mit grüner Farbe zu besprühen. Der Tatverdächtige wurde sofort zur Personalienfeststellung abgeführt. Eine Anzeige wegen Volksverhetzung bezüglich der NPD-Plakate wollte die Polizei an Ort und Stelle aber nicht aufnehmen. Der Anmelder der Mahnwache, Dirk Stegemann, sagte gegenüber jW, das Plakatmotiv sei schon einmal erfolglos zur Anzeige gebracht worden.

Anwohner beklagten sich nach 20 Uhr vor Medienvertretern vor allem über die laute Reggae-Musik aus dem Pavillon des Antirassistischen Infoportals. Das sei das Hauptproblem. Gegen das Flüchtlingsheim selbst hätten sie nichts, versicherte eine Frau aus der Nachbarschaft. Auch Teilnehmer der Mahnwache hatten bereits die Lautstärke kritisiert und angeregt, mehr Rücksicht auf Anwohner und Flüchtlinge mit Kleinkindern zu nehmen.

Am Alice-Salomon-Platz wurde die NPD-Kundgebung gegen 20 Uhr für beendet erklärt. Laut Polizeibericht wurden Flaschen und Steine in Richtung der Straßenbahn geworfen, als die Neonazis einstiegen. Ein Polizist sei von einer Flasche im Gesicht getroffen worden und habe einen Jochbeinbruch erlitten. Im Rahmen des Einsatzes von 250 Beamten seien 25 Personen vorübergehend festgenommen worden.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) erklärte am Mittwoch, die Bundesregierung nehme die Sorgen von Bürgern und Anwohnern im Zusammenhang mit Asylheimen sehr ernst. Die Notwendigkeit für einen »Krisengipfel«, wie ihn der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach gefordert hatte, sehe er aber nicht.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. August 2013


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