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"Zeit für Zeugen"

Begegnung mit unermüdlichen Kämpfern: Film über die Antifaschisten, Kommunisten und Friedensaktivisten Ettie und Peter Gingold in Frankfurt/Main uraufgeführt

Von P.C. Walther *

Zum Jahrestag der Befreiung vom Faschismus hatte in Frankfurt am Main der Film »Zeit für Zeugen« Uraufführung. Er ist eine Hommage an Ettie und Peter Gingold. Die beiden 2001 und 2006 verstorbenen jüdischen Antifaschisten, Kommunisten und Widerstandskämpfer gegen das Naziregime waren außergewöhnliche Menschen. Als jüdische Emigranten kämpften sie in den 40er Jahren in der französischen Widerstandsbewegung Résistance. Nach der Befreiung lebten sie in Frankfurt am Main und waren als Kommunisten aktiv in der KPD, in der Friedensbewegung, den Gewerkschaften und vor allem in der antifaschistischen Bewegung.

Für breiteste Bündnisse

Peter Gingold (1916–2006) gehörte in der Bundesrepublik zu den aktivsten Nazigegnern. Zeit seines Lebens kämpfte er gegen Neonazis, für Frieden, Freiheit und Demokratie, für sozialen Fortschritt und für eine bessere Gesellschaft. Seine Frau Ettie (1913–2001) war eine der engagiertesten Kriegs- und Rüstungsgegnerinnen. Sie allein sammelte Anfang der 1980er Jahre 12000 Unterschriften für den Krefelder Abrüstungsappell und war bei nahezu allen Aktionen der Friedensbewegung dabei.

Wenn Peter Gingold, der an vielen antifaschistischen Aktionen mitwirkte und bei kaum einer Antinazikundgebung oder -demo fehlte, vor Schülern, Jugendgruppen oder auf anderen Veranstaltungen von seinen Erlebnissen und Erfahrungen im Kampf gegen den Faschismus sprach, dann fesselte und beeindruckte er sein Publikum immer wieder durch seine unkonventionelle, lebhafte und offene Art der Schilderungen und des Gesprächs. Vor allem bei jungen Menschen fand er dadurch Anklang und Aufmerksamkeit. Er berichtete eindrucksvoll aus eigenem Erleben, argumentierte locker und lebensnah, verzichtete auf Stereotype – und war dadurch ungemein glaubwürdig und überzeugend.

Mit seinem antifaschistischen Engagement fand der Kommunist Peter Gingold Achtung und Anerkennung auch bei Menschen mit anderer Weltanschauung, ja selbst bei politischen Gegnern. Er selbst trat immer wieder für breitestmögliche Bündnisse im Kampf gegen Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus ein. Dabei verstand er es, Antifaschisten aller Couleur zu integrieren. Gingold war bei autonomen Antifaschisten ebenso angesehen wie bei »traditionellen« und »bürgerlichen« Nazigegnern.

Über eben dieses praktische Wirken und über Erfahrungen aus dem antifaschistischen Kampf berichtet die etwa 30minütige neue Dokumentation »Zeit für Zeugen« – mit Aufzeichnungen und Ausschnitten von Aufnahmen, Videos, Filmen und Fernsehberichten über die Gingolds oder der Wiedergabe von Interviews mit jüngeren und älteren Freunden und Bekannten des Paares. Sie geben ihre Erlebnisse und Eindrücke als Zeugen der Zeit wieder. Zu den Interviewten gehören neben vielen anderen der Schauspieler Rolf Becker, die Musikerin und Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano, die Linke-Politikerin Ulla Jelpke, der VVN-Bundesvorsitzende Heinrich Fink. Im überfüllten Großen Saal des Frankfurter Gewerkschaftshauses fand der Film bei der Uraufführung große Zustimmung und Anerkennung.

Auftrag: Aufklärung

Produziert wurde er im Auftrag der Ettie-und-Peter-Gingold-Erinnerungsinitiative von der Mainzer Filmwerkstatt Kontrastfilm. Die Autoren sind Mathias Meyers und Tidi von Tiedemann. Die Herstellung wurde durch die finanzielle Unterstützung des Frankfurter Vereins LAGG (Leben und Arbeiten in Gallus und Griesheim) ermöglicht, der die Erinnerung und Aufklärung über die Nazizeit in den beiden Frankfurter Stadtteilen und insbesondere über das KZ-Außenlager Katzbach in den Frankfurter Adlerwerken zum Ziel hat.

Ab Mitte Juli wird die Dokumentation – ergänzt durch weiteres Material wie Dokumente, Redentexte und Verweise auf weitere Quellen – als DVD erhältlich sein. Sie dürfte als Unterrichtsmaterial in Schulen und für Veranstaltungen mit Jugendlichen bestens geeignet sein.

Die DVD ist bei der Ettie-und-Peter-Gingold-Erinnerungsinitiative in Frankfurt am Main zu beziehen (info@gingold-initiative). Weitere Informationen: www.gingold-initiative.de

* Aus: junge Welt, 18. Mai 2011


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