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Unser Vermächtnis verteidigen

Gespräch mit Heinrich Fink über die Aufgaben und Perspektiven antifaschistischer Politik


Geschichte vergegenwärtigen: Die experimeND-Seiten widmen sich dieses Mal deutscher Gedenk- und Geschichtspolitik anlässlich des an diesem Wochenende (2./3. April) stattfindenden 4. Bundeskongresses der VVN-BdA und der in Weimar und Buchenwald ab 11. April anstehenden Gedenkveranstaltungen zum 66. Jahrestag der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald.

Heinrich Fink ist Professor für Theologie und gemeinsam mit Cornelia Kerth Bundesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Von 1990 bis zu seiner »Abwicklung« 1992 war er Rektor der Humboldt-Universität zu Berlin, von 1998 bis 2002 Mitglied des Bundestages für die damalige PDS. Mit ihm sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Markus Bernhardt.


ND: An diesem Wochenende findet der Bundeskongress der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) in Berlin statt. Vor welchen Aufgaben steht die VVN?

Fink: Als größte antifaschistische Organisation in der Bundesrepublik stehen wir vor der Aufgabe, uns tagtäglich mit dem erstarkenden Neofaschismus auseinanderzusetzen und unsere Stimme gegen Rassismus und Krieg zu erheben. Ein Thema auf unserer Konferenz, die unter dem Motto »Das Vermächtnis des Widerstandes verteidigen!« steht, wird aber auch sein, die vorherrschende Geschichtspolitik kritisch zu beleuchten.

Inwiefern?

Die etablierte Politik setzt seit geraumer Zeit auf eine Gleichsetzung von Neofaschisten mit ihren Gegnern und spricht bezüglich des deutschen Faschismus und der DDR von zwei ähnlich strukturierten Diktaturen. Dies ist nicht nur vollkommen ahistorisch, sondern auch ein Schlag ins Gesicht der antifaschistischen Widerstandskämpfer und Holocaustüberlebenden.

So wurden beispielsweise Mahn- und Gedenkstätten, die vormals an die Millionen Opfer des Naziregimes erinnerten, zu Orten des Gedenkens an »totalitäre« Systeme in Deutschland umgebaut. Oder Politiker verhindern, dass Straßen nach Antifaschisten und Kommunisten benannt werden – übrigens oft von genau denen, die nicht in der Lage sind und waren, ihre eigene Geschichte auch nur ansatzweise aufzuarbeiten.

Während wir als politische Linke die Fehler, die wir gemacht haben, seit dem Ende der DDR unentwegt diskutieren, vermisse ich bis heute eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den hochrangigen Nazifunktionären, besonders in den sogenannten Vertriebenenverbänden. Hingegen warnten im Rahmen der diesjährigen Mobilisierung gegen den neofaschistischen Großaufmarsch im Februar in Dresden, Lokalpolitiker und Teile der Medien immer wieder vor anreisenden »Extremisten« und setzten damit de facto faschistische Gewalttäter mit Nazigegnern aus linken Organisationen, Parteien und Gewerkschaftern gleich. Das ist das praktische Ergebnis der unsäglichen Gleichsetzung von Nazis und ihren Gegnern.

Wir aber wollen auf unserer Konferenz dem vorherrschenden Zeitgeist die Erfahrungen der antifaschistischen Widerstandskämpfer und Opfer des faschistischen Terrors entgegensetzen und versuchen, den antifaschistischen Widerstand vor weiteren Schmutzkampagnen der so genannten Extremismustheoretiker zu bewahren.

Welche Rolle werden auf ihrem Kongress antifaschistische Massenmobilisierungen wie die nach Dresden spielen?

Natürlich werden wir über die Proteste in Dresden sprechen, da wir aus der breiten Mobilisierung und der Entschlossenheit der Nazigegner lernen, die den Aufmarsch der Nazis im Februar bereits zum zweiten Mal in Folge erfolgreich verhindert haben.

Es hat sich gezeigt, dass es möglich ist, im breiten Bündnis und mancher politischer Meinungsverschiedenheiten zum Trotz, den Neonazis eine empfindliche Niederlage zu bereiten. Man darf ja nicht vergessen, dass den Nazis nun nur noch eine Veranstaltung mit überregionalem Charakter geblieben ist: Der von ihnen ausgerufene »Nationale Antikriegstag« in Dortmund, den militante »Autonome Nationalisten« dort jedes Jahr am ersten Septemberwochenende zelebrieren. Alles andere sind regionale Kleinaufmärsche, die ich aber keineswegs herunterreden will.

Vor allem wir älteren Antifaschisten nehmen zufrieden wahr, dass junge Menschen unseren Kampf fortsetzen. Wir freuen uns sehr, dass sich mittlerweile vielerorts in der Bundesrepublik antifaschistische Bündnisse gegründet haben, die die Nazis mittels Massenblockaden stoppen wollen. Wir werden diese Proteste auch zukünftig unterstützen und so lange in Dresden auf die Straße gehen, bis der Naziaufmarsch dort Geschichte ist.

Ihr Verband hat sich stets dem Schwur von Buchenwald verpflichtet.

Ja, wir haben immer gesagt, dass Faschismus und Krieg zwei Seiten derselben Medaille sind. Von daher werden wir uns immer auch dort zu Wort melden, wo Politiker und Medien Krieg als Mittel der Politik verkaufen wollen. Die Erfahrungen aus dem Faschismus sind schließlich eindeutig. Will dieses Land eine Zukunft haben, muss es friedlich sein und darf sich nicht an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen wie etwa in Afghanistan beteiligen.

Als antifaschistischer Verband werden wir uns die Frage von Krieg und Frieden auch nicht streitig machen lassen, sondern gemeinsam mit unseren Freunden und Partnern in der Friedensbewegung über Faschismus und Krieg aufklären. Es ist doch unerträglich, dass sich – wie beim bereits erwähnten »Nationalen Antikriegtstag« – ausgerechnet die als Friedensfreunde inszenieren, die sich in Tradition derjenigen sehen, die politische Verantwortung für Massenmord und brutale Kriegsverbrechen tragen. Mir persönlich, aber auch dem VVN-BdA, geht es schließlich darum, für eine Gesellschaftsform einzutreten, in der Antifaschismus, Frieden und soziale Gerechtigkeit die Fundamente bilden.

Sie sprechen also für den Sozialismus als alternatives Gesellschaftsmodell?

Ich trete für den Sozialismus ein, ja. Die VVN ist jedoch eine strömungsübergreifende Organisation von Antifaschisten, in der sich auch Sozialdemokraten, Kommunisten, Christen, Grüne und andere finden, die ihr Engagement gegen Nazis und für eine friedliche und gerechte Welt eint.

Vor diesem Hintergrund fürchte ich vor allem den mit der zunehmenden Militarisierung der bundesdeutschen Politik verbundenen Abbau von Grund- und Freiheitsrechten in Deutschland, der unter dem Vorwand der so genannten Terrorismusbekämpfung in letzten Jahren so vehement vorangetrieben wurde.

Mit großer Sorge nehme ich außerdem die Zunahme von antimuslimischem Rassismus wahr, der zum Beispiel von der selbsternannten Bürgerbewegung »pro Deutschland« geschürt wird, die im September zu den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin antreten will. Es ist stets das gleiche Muster: Den Opfern des zunehmenden Sozialabbaus und der Umverteilung von unten nach oben soll wieder einmal ein Sündenbock präsentiert werden.

Wer laut über gesellschaftliche Alternativen nachdenkt, riskiert oftmals, Ziel von Hetzkampagnen seitens der etablierten Medien und Politik zu werden ...

Das haben wir im Fall der so genannten Kommunismusdebatte zu Beginn dieses Jahres erlebt. Es muss doch in diesem Land noch möglich sein, Debatten über positive Veränderungen der Gesellschaft zu führen, ohne gleich zum Abschuss freigegeben zu werden. Schließlich ist es doch ein ureigenes Interesse aller Menschen, sozial abgesichert zu sein, am kulturellen Leben teilnehmen zu können und in Frieden zu leben.

Ich finde jedenfalls, dass wir alle viel mutiger werden und offensiv und frei von Denkverboten eine Debatte führen sollten, wie wir zukünftig leben wollen, wozu uns Stéphane Hessel, der 93-jährige Buchenwald-Überlebende, in seinem Buch »Empört euch!« aufgefordert hat.

Dies setzt jedoch voraus, der Verharmlosung neofaschistischer Gewalt und der Stimmungsmache gegen die antifaschistische Bewegung durch die etablierte Politik entschlossen entgegenzutreten. Und ebenso den politischen Kräften, die versuchen, die Geschichtspolitik in diesem Land umzuschreiben – beispielsweise wenn es um die Profiteure von Faschismus und Krieg geht, die die faschistische Ideologie und Politik erst salonfähig gemacht haben. Im Gegensatz dazu müssen wir unsere systematische Aufklärungsarbeit weiter fortsetzen, und auf die wachsende Zahl junger Leute bauen, die uns dabei unterstützen.

* Aus: Neues Deutschland, 2. April 2011

»Einspruch! Antifaschistische Positionen zur Geschichtspolitik« lautet der Titel des von Heinrich Fink und Cornelia Kerth herausgegebenen Buches, das sich gegen aktuelle Erscheinungsformen des Geschichtsrevisionismus wendet. Papyrossa-Verlag, 126 Seiten, 12 Euro.


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