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"Es geht um die Verfaßtheit dieser Gesellschaft"

Gespräch mit Heinrich Fink. Über den antifaschistischen Erfolg von Dresden, den Rücktritt des deutschen Kriegsministers und die von den Herrschenden propagierte "Extremismustheorie" *


Heinrich Fink ist Professor für Theologie und Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes–Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Von 1990 bis zu seiner Abwicklung 1992 war er Rektor der Humboldt-Universität zu Berlin, von 1998 bis 2002 Mitglied des Bundestages für die damalige PDS.

Über 20000 Antifaschisten aus dem gesamten Bundesgebebiet ist es am 19.Februar erneut gelungen, den europaweit größten Neonaziaufmarsch in Dresden mittels Massenblockaden zu stoppen. Macht Ihnen dies in Ihrer Funktion als Bundesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) Mut für die Zukunft? Ja, klar! Daß der Aufmarsch der Neonazis durch die Entschlossenheit und den Mut der vielen Blockierer verhindert wurde, erfüllt mich mit großer Freude. Das gute Zusammenwirken von alten und jungen Nazigegnern hat mich nachhaltig beeindruckt. Vor allem vor dem Hintergrund, daß ja untereinander nicht selten unterschiedliche Einschätzungen über die wirkungsvollste Form der politischen Auseinandersetzungen bestehen.

Wie bewerten Sie das Vorgehen der Polizei an diesem Tag?

Mich hat das martialische und vielerorts sehr brutale Vorgehen der Beamten erschreckt. Zwar war es das Dresdner Verwaltungsgericht, das Polizei und Politik durch seine unverständliche Entscheidungen im Vorfeld des Aufmarsches der Nazis beauftragt hat, massiv gegen Nazigegner vorzugehen, dies ändert jedoch nichts daran, daß einzelne Beamte offenbar mit Freude und Genugtuung auf Antifaschisten eingeprügelt haben.

Fernab der massiven Prügelorgien, die in Dresden und zuvor in Stuttgart bei den Protesten gegen den dortigen Bahnhofs­umbau beobachtet werden konnten, erschreckt mich jedoch, mit welchen Mitteln in diesem Land mittlerweile gegen demokratische Proteste vorgegangen wird.

Wenn ein Staat mit Überwachungsdrohnen, Wasserwerfern und Räumpanzern und einer bis zu den Zähnen bewaffneten Armee aus Tausenden Polizisten gegen ein breites Bündnis aus Gewerkschaftern, Nazigegnern und Bürgerrechtlern vorgeht, erinnert mich das an bürgerkriegsähnliche Zustände und nicht an eine Demokratie.

Es ist nun notwendig, das vorliegende Material, das die Übergriffe der Polizei dokumentiert, genau auszuwerten und politisch zu thematisieren. Die Linksfraktion hat dies im Bundestag bereits getan und eine Anfrage zum Komplex Dresden eingereicht. Dies soll meines Wissens auch in anderen Bundesländern geschehen, aus denen Polizeibeamte in Dresden im Einsatz waren.

Welche Forderungen sollten sich aus der Sichtung des Materials ergeben?

Ich will hier nichts vorwegnehmen. Bereits jetzt ist aber klar, daß wir auf ein Verbot von sogenannten Überwachungsdrohnen drängen müssen. Außerdem spreche ich mich für ein Verbot von Pfefferspray aus. Es kann nicht sein, daß trotz der erwiesenen schweren Gesundheitsschäden, die bei Betroffenen eintreten können, Hunderte Demonstranten in Dresden mit Pfefferspray eingenebelt werden. In den vergangenen Jahren kam es schließlich sogar zu mehreren Todesfällen im Anschluß an Pfeffersprayeinsätze durch Polizeibeamte. Ich bin außerdem grundsätzlich für ein Verbot von Wasserwerfern. Das ist für mich vorsätzliche Körperverletzung. Zumal bei diesen Temperaturen.

Es wird auch auszuwerten sein, warum ein vermummtes Sondereinsatzkommando am 19. Februar das Pressebüro des bundesweiten antifaschistischen Bündnisses »Dresden stellt sich quer!« gestürmt hat, während Neonazis unter den Augen der Polizei ein alternatives Wohnprojekt angreifen konnten.

Besonders erschrocken hat mich ein Bild, welches zeigt, daß ein betagter Kamerad der VVN von einem Polizeihund angefallen wurde.

Wurde in Dresden nicht einfach mit Leben erfüllt, was etablierte Politik und Medien seit Monaten an »Extremismustheorie« verbreiten, indem sie Neofaschisten und ihre Gegner gleichsetzen?

Ja! Die Gefahr, die von dieser geschichtslosen und vollkommen unwissenschaftlichen Gleichsetzung ausgeht, wurde in der politischen Linken zu lange unterschätzt. Ich habe aber den Eindruck, daß immer mehr Menschen besagten extremismustheoretischen Ansätzen eine klare Absage erteilen und sich davon nicht mehr aufs Glatteis führen lassen. So ist der Widerstand gegen die Bundesregierung, die alle Beratungsstellen für Opfer von rechter Gewalt nötigt, eine sogenannte Demokratieerklärung zu unterzeichnen, wenn sie staatliche Gelder in Anspruch nehmen wollen, ungebrochen.

Es ist nunmehr dringend geboten, eine Debatte über die Verfaßtheit dieser Gesellschaftsordnung anzustoßen und zu resümieren, wie schlecht es mittlerweile um die Grund- und Freiheitsrechte in diesem Land bestellt ist.

Mir scheint jedoch, daß es auch in manchen Gliederungen der VVN-BdA zu Abgrenzungen – beispielsweise in Richtung autonomer Antifaschisten – kommt ...

Ich kann das im Einzelfall nicht ausschließen, habe aber diesbezüglich innerverbandlich stets eine klare Position dazu vertreten und mich an die Seite der oftmals jungen autonomen Antifaschisten gestellt. Natürlich sind – das habe ich ja bereits erwähnt – die Kampfformen manchmal unterschiedlich. Dennoch ist der breiten Mehrheit der Mitglieder der VVN-BdA natürlich bewußt, daß es vor allem autonome Antifaschisten waren, die sich den Nazis in den Weg stellten, als andere politische Gruppen und Parteien das Problem noch nicht richtig erfaßt hatten.

Die Schlußfolgerungen aus den erfolgreichen Massenblockaden von Dresden müssen daher sein, daß Antifaschismus nur gemeinsam und im breiten Bündnis von Erfolg geprägt ist. Dies bedeutet übrigens keineswegs, dabei die eigenen politischen Inhalte bis zur Unkenntlichkeit zu verwässern.

Es gilt, diesbezüglich aber noch viel Aufklärungsarbeit auch in die eigenen Reihen hinein zu leisten.

Sind Massenblockaden das zukünftige antifaschistische Erfolgskonzept?

Das Konzept der Massenblockade läßt sich sicherlich nicht eins zu eins auf alle Städte übertragen. Lokale Gegebenheiten müssen schon beachtet werden.

Jedoch nehme ich auch mit Genugtuung zur Kenntnis, daß sich mittlerweile in immer mehr Städten breite Bündnisse nach dem Vorbild von »Dresden stellt sich quer!« gegründet haben, um das Erfolgskonzept der Massenblockaden auch in andere Regionen zu übertragen. Dies war zum Beispiel in Brandenburg und auch bei den letztjährigen Protesten gegen den »Nationalen Antikriegstag«, den die Nazis jährlich im September in Dortmund veranstalten, der Fall.

Am 2. April findet in Berlin der Bundeskongreß Ihres Verbandes statt. Was wird dort diskutiert werden?

Natürlich werden wir dort genauer über antifaschistische Strategien beraten und uns auch der zunehmenden medialen und politischen Stimmungsmache gegen die politische Linke widmen. Letztere Debatte haben wir bereits begonnen, indem wir 2010 eine geschichtspolitische Konferenz mit hochrangigen Wissenschaftlern wie Hannes Heer, Wolfgang Wippermann, Kurt Pätzold, Detlef Garbe und Moshe Zuckermann, sowie Vertretern des Zentralrates der Juden und Sinti Roma veranstaltet haben.

Die Themen, die uns bei der Konferenz beschäftigt haben, sind nach wie vor höchst aktuell. So geht die aktuelle Gleichsetzung von »links« und »rechts« ja einher mit der Gleichsetzung des deutschen Faschismus mit der DDR. Mittlerweile würde mich nicht einmal mehr wundern, wenn auch die Verantwortung für das Naziregime dessen entschiedensten Gegnern in die Schuhe geschoben würde.

Wir werden uns als Verband deutlich und klar gegen diese Propaganda zur Wehr setzen müssen, die das Andenken an die vielen antifaschistischen Widerstandskämpfer und die Überlebenden des Holocausts in derart diffamierender Art und Weise beschmutzt.

Wir werden uns sicherlich auch damit befassen, daß maßgebliche Politiker aus CDU und FDP derzeit verstärkt versuchen, die VVN-BdA in eine »linksradikale« Schmuddelecke zu drängen. So beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft im thüringischen Suhl kürzlich auf Antrag der CDU Tafeln unserer Ausstellung, in deren Rahmen vor dem erstarkenden Neofaschismus gewarnt und belegt wird, daß Rassismus, Geschichtsverfälschung und Ausgrenzung aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Allen Versuchen der CDU zum Trotz, uns kriminalisieren zu lassen, findet die Ausstellung mittlerweile wieder mit allen Tafeln statt und stößt bei der Bevölkerung und bei Schulklassen auf großes Interesse.

Wir werden uns gegen den Kriminalisierungsversuch der CDU wehren.

Fürchten Sie nicht, daß – sollte sich die VVN zu deutlich politisch positionieren – auch die selbsternannten Verfassungsschutzbehörden ihren Verband wieder verstärkt ins Visier nehmen?

Das kann schon sein, hält uns jedoch nicht weiter von unserer Arbeit ab. Mir ist durchaus bewußt, daß in Deutschland manche Debatten mit Denkverboten belegt sind. Nehmen wir den Beitrag, den Gesine Lötzsch im Januar anläßlich der Rosa-Luxemburg-Konferenz für Ihre Zeitung verfaßt hat, und in dem sie sich einzig für einen »demokratischen Sozialismus« ausgesprochen hat. Über Wochen hinweg haben sich Medien und politische Gegner – übrigens auch aus den eigenen Reihen – auf die Linken-Vorsitzende eingeschossen, obwohl der Beitrag ja nicht einmal besonders revolutionär war. Ich glaube jedoch im Gegensatz zu anderen nicht, daß die öffentlichen Diskussionen der Linkspartei tatsächlich geschadet haben. Schädlich war meines Erachtens vielmehr die Angriffsserie gegen Gesine Lötzsch aus der eigenen Partei. Schließlich ist es dringend angebracht, mutiger zu agieren und sich nicht aus Furcht vor etwaig eintretendem Gegenwind zu verstecken.

Während viele hochrangige Nazifunktionäre im Westen der Bundesrepublik übrigens nach der Befreiung vom Faschismus weiter mit Ruhm und Ehre überhäuft wurden, vergibt man Kommunisten und all denen, die sich auch nur Gedanken über eine gerechte und friedliche Gesellschaftsordnung machen, Kritik am vorherrschenden System in Deutschland niemals.

Sie haben Antifaschismus stets auch mit der Frage von Krieg und Frieden verbunden ...

Das lehren uns die Erfahrungen aus dem antifaschistischen Widerstand und der Schwur unserer Kameraden in Buchenwald.

Erfüllt es Sie mit Genugtuung, daß der nunmehr ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) aufgrund der sogenannten Plagiatsaffäre zurücktreten mußte?

Ich bin zwar froh, daß uns zu Guttenberg nun erstmal in führender politischer Position erspart bleibt, bin aber mit den Umständen seines Rücktritts keineswegs zufrieden. Natürlich hat auch er sich an die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens zu halten – zum Beispiel an die Promotionsordnung. Für mich ist nicht zu glauben, daß er sich als Promovent nicht daran hält, wozu er sich verpflichtet hat. Am Ende der Dissertation steht die Verpflichtungserklärung: »Hiermit versichere ich, daß ich die vorliegende Arbeit allein angefertigt habe und keine anderen Hilfsmittel als die angegebenen benutzt habe.« Bei der Verleihung der Doktorurkunde hat er zu schwören, daß er sich allezeit eines Doktors – in seinem Fall der Jurisprudenz – würdig erweist. Hat er diesen Eid vergessen?

Ein anderer ernstzunehmender Rücktrittsgrund wäre jedoch seine Verantwortung am völkerrechtswidrigen Krieg, den die Bundeswehr gegen Afghanistan führt, und an den Verbrechen, die sie dort verübt, gewesen. Nach wie vor bin ich der Meinung, daß die Bundeswehr sofort aus Afghanistan abgezogen werden muß. Nicht nur aufgrund der verheerenden deutschen Geschichte darf die Bundeswehr sich nicht an Angriffskriegen beteiligen. Die Besatzung Afghanistans wird jedoch aufgrund des Rücktritts von zu Guttenberg noch immer kein Ende finden.

Es wäre vor diesem Hintergrund sicherlich nicht falsch, wenn sich manche, die ansonsten immer das schwere Schwert der Kritik gegen die DDR wetzen, sich erinnern würden, daß vom sozialistischen Teil Deutschlands niemals Krieg ausgegangen ist. Das ist ein Gut, das auch aktuell nicht hoch genug zu bewerten ist.

Mitglieder und Sympathisanten meines Verbandes werden auch zukünftig daran erinnern und gemeinsam mit den Freunden aus der Friedensbewegung gegen Krieg und Faschismus auf die Straße gehen.

Im Herbst findet in Berlin die Abgeordnetenhauswahl statt. Was sind derzeit die drängenden Themen in der Bundeshauptstadt?

Ich erwarte vor allem von meiner Partei, der Linken, daß sie sich den aktuellen Fragen endlich stellt und sich deutlich positioniert. Es müssen schnellstmöglich Antworten auf die Frage gefunden werden, wie wir zukünftig solidarisch zusammenleben wollen. Dazu bedarf es einer klaren Positionierung gegen Privatisierung gesellschaftlichen Eigentums und gegen die Verdrängung sozial Deklassierter aus den Innenstadtbezirken.

Ich habe nicht nur die Auseinandersetzungen bezüglich des Volksentscheides um die Offenlegung der Wasserverträge, sondern auch die um die Vertreibung der Bewohner des alternativen Kulturprojektes »Liebigstraße 14« in Friedrichshain genau verfolgt. In beiden Fällen bin ich enttäuscht. Es kann doch nicht sein, daß alternatives Leben und sozial Deklassierte in einer Stadt, die von einem »rot-roten« Senat regiert wird, an den Rand gedrängt werden.

Der Umgang des Senates mit den Initiatoren des Berliner Wassertisches hingegen war geprägt von Ignoranz und arroganten Besserwissereien. Will meine Partei bei den anstehenden Abgeordnetenhauswahlen erfolgreich sein, muß es zu grundlegenden Veränderungen ihrer Politik kommen. Regieren ist niemals ein Selbstzweck. Vielmehr geht es darum, im Sinne der Menschen Politik zu machen und sich auf allen Ebenen darum zu kümmern, ein solidarisches Zusammenleben zu befördern.

Fürchten Sie, daß die Rassisten, die unter dem Deckmäntelchen der Islamkritik zu den Abgeordneten­hauswahlen antreten wollen, Erfolg haben könnten?

Ich nehme die Gefahr, die von antimuslimischen Gruppierungen wie »Pro Berlin« und anderen Splittergrüppchen ausgeht, durchaus ernst. Jedoch glaube ich, daß die Berliner zu klug sind, diesen Ewiggestrigen eine Stimme zu geben.

Schaut man genauer hinter die Kulissen der sogenannten Pro-Bewegung, die ja in Köln ihren Anfang nahm, fällt einem sofort auf, daß einige der Funktionäre, die dort aktiv sind, eine politische Vergangenheit in der neofaschistischen NPD und ähnlich gelagerten Parteien haben. Es wird dieser selbsternannten »Bürgerbewegung« nicht gelingen, sich als politische Kraft mit bürgerlichem Antlitz zu inszenieren. Davon bin ich jedenfalls bisher überzeugt.

Ich weiß aber, daß die Mitglieder der VVN in Nordrhein-Westfalen die Umtriebe der sogenannten Rechtspopulisten genau im Auge haben. So plant »Pro NRW« im Mai einen »Marsch für die Freiheit« in Köln. An den Protesten dagegen werden auch wir uns beteiligen.

Interview: Markus Bernhardt

Im Internet: www.vvn-bda.de

Vor kurzem erschien der Band: Heinrich Fink/Cornelia Kerth (Hg.): Einspruch! – Antifaschistische Positionen zur Geschichtspolitik. PapyRossa-Verlag, Köln, Januar 2011, 126 Seiten, 12,40 Euro

* Aus: junge Welt, 5. März 2011


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