Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nazis erleben in Dresden ihr Waterloo - Antifaschisten feiern verdienten Sieg

Kaum noch Nazis gesichtet - Mehr als 10.000 Demonstranten gegen Rechts - Nazi-Lachnummern auch in Worms, Gera und Fürth


Der 18. Februar 2012 dürfte den Nazis in Dresden endgültig das Genick gebrochen haben: Nachdem sie schon 2010 und 2011 von massenhaften Demonstrationen und gewaltlosen Blockaden daran gehindert wurden, ihre Nazi-Aufmärsche durchzuführen, erlebten sie 2012 ihr Waterloo. Schon am Montag (13. Feb.) wurden etwa 1.000 Neonazis von Tausenden Demonstranten in die Schranken gewiesen und derart demoralisiert, dass sie ein paar Tage später, am Samstag, gar nicht mehr versuchten, ihren Fuß auf Dresdener Boden zu setzen. Vereinzelte Ausweichmärsche (Gera, Fürth, Worms) gerieten ebenfalls zu deprimierenden Lachnummern. Und in Dresden feierten über 10.000 Menschen bei der Demo und Kundgebung des Bündnisses "Dresden nazifrei" und bei einer parallel stattfindenden und deutlich kleineren Kundgebung, die von der Stadt veranstaltet wurde, den Sieg über den braunen Spuk.

Im Folgenden lesen Sie noch einen längeren Bericht, der am 18. Februar, also noch vor der Kundgebung, erschien; und im Anschluss die Meldungen über die erfolgreichen Aktionen der Antifaschisten (liveticker). Den Abschluss bildet ein Kommentar von Stefan Thiele, dem Pressesprecher von "Dresden nazifrei" - ebenfalls schon vor der Kundgebung geschrieben.


Dresden befreit

Wie der Nazigroßaufmarsch tatsächlich Geschichte werden könnte

Von Ines Wallrodt *


Drei Jahre entschlossener Widerstand haben den Nazis einen ihrer zentralen Aufmärsche zerschlagen. Ein Blick auf Bedingungen dieses Erfolgs.

Manchmal ist die Tatsache, dass etwas nicht passiert, die wichtigste Meldung. Heute wird aller Wahrscheinlichkeit nach so ein Tag. Einen großen Naziaufmarsch wird es an diesem Wochenende in Dresden wohl nicht geben. Das klingt lapidar. Tatsächlich macht aber erst das die Erfolgsbilanz der Dresden-Proteste komplett. Denn nicht der 13. Februar war das zentrale Datum für die Naziszene - die Großmobilisierung konzentrierte sich vielmehr seit ein paar Jahren auf das jeweils darauffolgende Wochenende. Alte und junge Nazis aus ganz Europa kamen dann in die Elbe-Stadt. Ihr Aufmarsch hatte im »Kampf um die Straße« eine wichtige Funktion für die Mobilisierung nach innen und ins Umfeld. Damit scheint es erstmal vorbei zu sein.

Erst drei Jahre ist es her, dass 7000 Nazis unbehelligt durch die extra für sie gesperrte Innenstadt Dresdens demonstrieren konnten. Und das nicht zum ersten Mal. Die Aufmärsche offenbarten, dass in Deutschland eine ideologisch gefestigte, gewaltbereite faschistische Bewegung existiert. Doch in Dresden versuchte das eine Mehrheit der Bürger zu ignorieren. Eine Unkultur des Wegschauens, gepaart mit einer autoritär-konservativen Regierungspolitik haben das Anwachsen der Versammlung von 30 Hanseln 1998 zu einem Großereignis mit mehreren Tausend Teilnehmenden begünstigt. Die Nazis konnten daran anknüpften, dass Dresden seit Jahrzehnten den Mythos der unschuldigen Stadt pflegte.

Doch dieses Jahr haben sie ihre Anmeldung zurückgezogen. Die Nazis fürchten die entschlossene Gegenwehr Tausender Bürger und haben keine Lust, sich die nächste Schlappe einzufangen. Selbst wenn Dresden auch heute nicht gänzlich nazifrei sein wird: Eine der europaweit größten Machtdemonstrationen der Naziszene ist geknackt. Ein Riesenerfolg.

Wie war das möglich? Ein Blick auf die Bedingungen einer bemerkenswerten Entwicklung.

Das richtige Ziel finden

Am Anfang gab es noch nicht einmal einen gemeinsamen Protest der Linken. Es fehlte die Einigkeit, dass sich die Demonstration vorrangig gegen die Nazis richten sollte. Bei den Protestdemonstrationen an den Jahrestagen der Dresden-Bombardierung gaben Antideutsche den Ton an. Nationalflaggen der Alliierten und die Parole »Bomber Harris do it again« schreckten nicht nur die Dresdner ab, sondern waren schon in der antifaschistischen Linken nicht anschlussfähig. Die Kritik am Dresdner Opfermythos wird unter Linken zwar breit geteilt, ein Freudentanz auf den Gräbern Tausender Menschen verbot sich für viele aber auch. Bewirkt hat die Selbstdarstellung mit Stinkefinger nichts. Weder wurden die Nazis behindert, noch ein Umdenken in Dresden angestoßen.

Das änderte sich erst ab 2009: Mit »No Pasaran« gründete sich ein bundesweites Antifa-Bündnis des bewegungsorientierten, linksradikalen Spektrums. Sein Ziel: den braunen Aufmarsch zu verhindern. Aber auch weniger links hatten Menschen nach den Wahlerfolgen der NPD und den gespenstischen Massenaufzügen der vorigen Jahre genug: So formierte sich auf Initiative des DGB Sachsen das Bündnis »Gehdenken«, das von Parteien, kirchlichen Gruppe und zivilgesellschaftlichen Initiativen unterstützt wurde.

Dennoch blieben die Nazis in Dresden 2009 weitgehend ungestört. Während die Linken allein zu wenige waren, um sie effektiv zu blockieren, demonstrierte das Gehdenken-Bündnis mit 8000 Menschen fernab der Marschroute. Die einen wollten, konnten aber nicht, die anderen hätten gekonnt und wollten (noch) nicht. 7000 Nazis triumphierten.

Scheuklappen ablegen

Es klingt nach einer Binsenweisheit: Protest muss breit aufgestellt sein. Und doch ist es das Einfache, das schwer zu machen ist. Nach dem für Demokraten niederschmetternden Verlauf 2009 lud das Bündnis »No Pasaran« alle, die den Nazis effektiv etwas entgegensetzten wollten, an einen Tisch. Aus diesem Treffen entstand das breite gesellschaftliche Bündnis »Dresden nazifrei«, das es vermochte, Linke und »Bürgerliche«, Antifas und Geschäftsleute, Junge und Alte, Gewerkschafter, Jusos, Bildungsbürger, Fußballtrainer, Kirchenleute, Prominente zusammenzubinden. Der Schlüssel ist ein belastbarer Aktionskonsens, der das Ziel und die Mittel klar definiert. Dafür mussten Vorurteile fallen, Abgrenzungsbedürfnisse hintenangestellt, Kompromisse geschlossen werden. So haben die einen auf die explizite Formulierung von »friedlich« und »gewaltfrei« verzichtet, die anderen auf Signalwörter für Antikapitalisten oder auch schärfere Kritik am einseitigen Gedenkdiskurs. Den ersten Aufruf von »Dresden nazifrei« zur Blockade des Naziaufmarschs 2010 unterstützten über 2000 Einzelpersonen und fast 700 Gruppen und Organisationen, zunehmend auch wichtige Politiker und Künstler. Sie riefen zu entschiedenem Handeln auf und setzten Sachsens Politikbetrieb unter Druck, dessen Tatenlosigkeit im Vergleich zu einer aktiven Zivilgesellschaft als immer skandalöser empfunden wurde.

Die eigentümlich verzerrte Erinnerungkultur war zunächst weniger Thema des Bündnisses, was ihm zuweilen angekreidet wurde. Allerdings, so zeigt sich jetzt, hat die Fokussierung auf die Nazis letztlich doch dazu geführt, auch den Blick der Stadt auf seine Zerstörung zu verändern. Das offizielle Gedenken am 13. Februar bezog diesmal die Opfer des Nationalsozialismus mit ein.

Das gewachsene Vertrauen der Bündnispartner wie auch ihre Konzentration auf das gemeinsame Ziel erwiesen sich nach den Demonstrationen im vergangenen Jahr. Trotz der hartnäckigen Strafverfolgung, Wasserwerfern und Pfefferspray und obwohl am 19. Februar 2011 nicht nur Menschen mit ihren Körpern blockiert, sondern auch Barrikaden gebrannt haben, ist der Kreis nicht auseinandergebrochen. Das ist wohl auch den sächsischen Behörden zu verdanken, die mit flächendeckender Überwachung, Ramboüberfällen auf linke Büros und vielen Rechtswidrigkeiten mehr den Bogen weit überspannten und deshalb zu Recht die Empörung auf sich gezogen haben. Die gesellschaftliche Breite des Bündnisses ist auch Grundlage dafür, dass Kriminalisierung und Repression nicht nur solidarisch beantwortet wurden, sondern sogar zur Mobilisierung beitragen konnten.

Mehr als Symbolik

Der Rückzug der Nazis hätte ohne die Massenblockaden nicht stattgefunden. Das Konzept hat bewiesen, dass es die Nazis tatsächlich beeinflusst, sie zum Abbiegen oder Stehenbleiben zwingt und internen Streit provoziert. Obwohl politisch umstritten, genießt diese Form des zivilen Ungehorsams inzwischen spektrenübergreifend Unterstützung. Die Blockaden greifen das Bedürfnis auf, der braunen Gefahr wirklich etwas entgegenzusetzen und nicht nur symbolisch seinen Unmut zu bezeugen. Der Erfolg dieser konfrontativen Aktionsform ist abhängig von Transparenz, intensiver Vorbereitung und Verlässlichkeit in der Umsetzung. Sie wird durch einen öffentliche Aufruf zum zivilen Ungehorsam, die Sammlung von Unterstützern, einen überzeugenden Aktionskonsens sowie Blockadetrainings kalkulierbar. Das alles schafft Vertrauen bei unerfahrenen Straßenkämpfern wie skeptischen Bürgern und bedeutet eine implizite Verpflichtung für alle, die sich üblicherweise leicht von Polizeihelmen ablenken lassen. Natürlich kam es auf den Beweis an. Der wurde 2010 erbracht, als erstmalig viele tausend Menschen unterschiedlicher Herkunft die Nazis am Bahnhof Neustadt stoppten.

Ich bin besser, bäh!

Naserümpfen über »Luschi-Menschenketten« genauso wie die Warnung vor Gewalttätern, wenn von offensiven Aktionen gesprochen wird - Abgrenzungen wie diese schwächen die Gegenwehr. Dieses Jahr wurde in Dresden wenn nicht Solidarität, so doch wenigstens stillschweigende Toleranz mit den verschiedenen Formen der Meinungskundgabe geübt. Neben den Sitzblockaden gab es in der sächsischen Landeshauptstadt viele symbolische Aktionen, je mehr deren Anhänger auf gegenseitige Attacken verzichten, desto stärker wird nach außen der Eindruck vermittelt, dass alle gemeinsam das gleiche Ziel verfolgen. Die Unterscheidung in gute und böse Aktionsformen ist freilich nicht überwunden, wie sich etwa daran zeigt, dass Sitzblockaden in Sachsen weiterhin als Straftat und nicht als Ordnungswidrigkeit gelten. Aber inzwischen geraten die Hardliner zunehmend in die Defensive. So konnte dieses Jahr der Stadtregierung immerhin abgetrotzt werden, dass sie zu Protesten in Hör- und Sichtweite der Nazis aufruft und zu Blockaden so oft wie möglich den Mund hält.

Ein Ausblick

Jede Verdrängung der Nazis von der Straße schränkt ihre öffentliche Wahrnehmbarkeit ein. Deshalb ist Gegenwehr wie in Dresden so wichtig. Und doch: Die Nazis werden versuchen, auf andere Orte auszuweichen und dort marschieren, wo man sie lässt. Auch diese Aufmärsche können mit Blockaden beantwortet werden. Aber all das ändert nichts daran: Die Nazis gibt es immer noch. Der Kampf gegen die Verbreitung ihrer Ideologie braucht daher weitere, früher und grundsätzlicher ansetzende Gegenstrategien. Ermutigende Erfolge an dieser Stelle stehen noch aus.

* Aus: neues deutschland, 18. Februar 2012


Liveticker eines historischen Sieges:

Auf der Website des Bündnisses "Dresden nazifrei" konnte man die großartige antifaschistische Demonstration und Kundgebung am Samstagnachmittag verfolgen.
Wir liefern die wichtigsten Stationen nach:
  • 11:01 Uhr:
    Die Auftaktkundgebung hat mit über 5000 Menschen begonnen, viele sind noch unterwegs. Wir warten noch immer auf 1000 ThüringerInnen.
  • 11:16 Uhr:
    Nunmehr sind alle Konvois am Hauptbahnhof eingetroffen und die Personen auf dem Weg zum Wiener Platz. Die ersten Reden werden gehalten.
  • 11:27 Uhr:
    Nunmehr vollzählig werden die AntifaschistInnen von der Bühne am Wiener Platz begrüßt: "Wir haben sie blockiert!"
  • 11:29 Uhr:
    Nach wie vor sind keine Naziaktivitäten zu erkennen. Falls sich daran etwas ändert, werden wir euch selbstverständlich informieren.
  • 11:54 Uhr:
    Die Demo mit mehr als 6000 Menschen setzt sich langsam in Bewegung.
  • 12:28 Uhr:
    Schreibt's mit Edding an die Wände: "Blockaden sind ein legitimes Mittel, um Nazis zu stoppen - in Dresden und überall!"
  • 12:33 Uhr:
    Nach unseren Infos ist der Anfang des Demozugs bereits an der Schießgasse und das Ende gerade erst am Hauptbahnhof losgegangen.
  • 12:38 Uhr:
    Die Demonstration erreicht die Zwischenkundgebung an der Schießgasse und ist zwischenzeitlich auf bis zu 10.000 Menschen angewachsen.
  • 13:30 Uhr: Worms und Gera:
    Bisher wurden noch keine Nazis gesichtet - ebenso wie in Dresden! In Worms haben sich 250 GegendemonstrantInnen am Hbf versammelt.
  • 13:55 Uhr:
    Zwischenbilanz: 10.000+ AntifaschistInnen auf Demo von nazifrei! Dresden stellt sich quer, 1.000 auf Kundgebung Schloßplatz *, keine Nazis.
  • 14:39 Uhr: Gera:
    20 Nazis in Gera am Hbf, gut bewacht mit 100 Polizisten, gesichtet. Sie blamieren sich bundesweit!
  • 14:52 Uhr: Fürth:
    Ein "Großaufmarsch" findet mit 50 lokalen Nazis aus der Region Nürnberg in Fürth statt. Das örtliche "Bündnis gegen rechts" protestiert.
  • 15:36 Uhr: Worms:
    Nazi-Demo in Worms mit 80 Teilnehmern wurde aufgrund der Gegenproteste aufgelöst. Es gibt eine spontane Gegendemonstration zum Hbf.
  • 16:09 Uhr:
    Es sind immer noch überwältigend viele TeilnehmerInnen bei der Abschlusskundgebung beim "Roten Baum". Lasst euch nicht provozieren!
  • 16:56 Uhr:
    Bands spielen auf der Abschlusskundgebung. Viele Personen sind nach der kraftvollen, erfolgreichen Demo auf dem Weg zurück zu ihren Bussen.
* Auf einer weiteren, von der Stadt initiierten Kundgebung gegen rechts unter dem Motto "Mit Mut, Respekt und Toleranz – Dresden bekennt Farbe" versammelten sich am Schlossplatz rund 1.500 Menschen, meldeten die Agenturen am Nachmittag. Dort sprach als Hauptredner der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel. Vogel forderte laut DNN ein NPD-Verbot. „Für mich ist es unerträglich, dass die Rechtsextremisten in Gestalt der NPD eine legale Struktur benutzen können", so Vogel. Auch die teilweise Finanzierung der Partei durch Steuergelder sei im unerträglich, sagte der Altpolitiker. Sogar ein Lob für die Polizei hatte er übrig. Verhältnismäßigkeit und Deeskalation seien die Grundlagen des Rechtsstaates, die auch die Polizei beachten muss. „Das ist, wie ich gehört habe, am Montag das erste Mal gelungen." Dafür erntete er tosenden Applaus der Menge.


Das gleiche andere Dresden

Von Stefan Thiele **

Ist das wahr? Ist das die gleiche Stadt, die vor kurzem noch so hervorragend das offizielle Gedenken an die alliierte Bombardierung mit der Förderung der rechtsextremen Erinnerung an den »Bombenholocaust« zu verbinden wusste? Die gleiche Stadt, in der Polizei, Staatsanwaltschaft und konservative Politiker nur eine einzige Gefahr für die sächsische Demokratie kennen: die engagierte Zivilgesellschaft? Ist das noch das Dresden der Funkzellenabfragen, der Pepperballgeschosse, der Strafverfahren gegen BlockiererInnen? Ja - natürlich, aber etwas ist anders geworden: Die Überheblichkeit den Menschen gegenüber, die Nazis nicht für eine zu ignorierende biblische Plage halten und die Zerstörung Dresden im Kontext des deutschen Angriffs- und Vernichtungskrieges sehen, ist dahin. Die erfolgreichen, gegen Polizeiattacken, Staatsanwälte und Winterwetter durchgesetzten Blockaden haben dafür gesorgt, dass sich in Dresden etwas bewegt. Statt »Trennungsgebot« gibt es jetzt Proteste in Hör- und Sichtweite, statt Kranzniederlegungen mit NPD-Funktionären sind auf dem Heidefriedhof nun die Nazis vom städtischen Gedenken ausgeschlossen, statt auf Prügeleinsätze setzt die Polizei jetzt auf Deeskalation.

Diese Erfolge sind das sichtbare Ergebnis der Arbeit des Bündnisses »Nazifrei! Dresden stellt sich quer«, eines für die Geschichte der antifaschistischen Bewegung in der Bundesrepublik beispiellosen Zusammenschlusses. Antifa und Jusos, radikale Linke und kirchliche Arbeitskreise, Bürgerinitiativen und Gewerkschaften, Jugendverbände, Parteien, Kultureinrichtungen und Einzelpersonen haben sich in diesem Bündnis auf eine Aktionsform geeinigt, die niemanden ausschließt und sich doch nicht im allgemeinen Appell, im symbolischen Bekenntnis erschöpft: die Massenblockaden. Zusammengehalten von einem Aktionskonsens, der der Breite des Bündnisspektrums gerecht wird und gleichzeitig Grenzen definiert, hat es »Dresden nazifrei!« geschafft, dem massenhaften zivilen Ungehorsam eine breite gesellschaftliche Akzeptanz zu eröffnen. In Dresden äußerte sich dies am vergangenen Montag ganz konkret in dem spontanen Zug tausender TeilnehmerInnen der Menschenkette zum Blockadepunkt Sternplatz. Die Erfahrung, durch entschlossenes, kollektives und selbstbewusstes Handeln den Nazis die Straße tatsächlich streitig machen zu können, ist ihnen nicht mehr zu nehmen.

Für die Neonazis ist ihr Scheitern im dritten Jahr in Folge nur schwer zu verkraften: Streit, Vorwürfe, Ratlosigkeit und Verschwörungstheorien prägen die internen Diskussionen. Die auf den Endsieg eingestellten Kameraden kommen mit der Kette von Niederlagen nicht zurecht. So wird auch die eigentlich für den 18. Februar geplante Großveranstaltung, wenn überhaupt, wohl nur in Form einer klandestin organisierten Kommandoaktion stattfinden: Ein bisschen Adrenalin für den harten Kern statt Sportpalastfeeling fürs Fußvolk. Den Dresdener Blockaden ist damit etwas gelungen, was kein Verbotsverfahren, kein Verfassungsschutzspitzel und keine Menschenkette je erreichten: Sie haben als gemeinsame und mutige Aktion engagierter Bürgerinnen und Bürger die Nazis wirklich und nachhaltig geschwächt. Auch das ist heute Dresden.

** Stefan Thiele ist Pressesprecher des Bündnisses »Nazifrei! Dresden stellt sich quer«.

Aus: neues deutschland, 18. Februar 2012



Zurück zur Seite "Rassismus, Neonazismus, Antifaschismus"

Zur Seite "Soziale Bewegungen"

Zurück zur Homepage