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Washington zündelt

Nach den in der vergangenen Woche bekannt gewordenen Plänen der USA, in Rumänien Raketen zu stationieren, folgte am Sonntag die »bulgarische Überraschung«

Von Rainer Rupp **

Rußlands Außenminister Sergej Lawrow hat auf die am Sonntag (14. Feb.) bekannt gewordenen US-Pläne, Teile seines Anti-Raketenschildes nach Polen und Rumänien nun auch in Bulgarien zu stationieren, verärgert reagiert. Er verlangte eine detaillierte Erklärung von Washington: »Warum folgt auf die rumänische ›Überraschung‹ nun eine bulgarische?«. Auch in der vergangenen Woche war Moskau von Washington nicht vorab von der rumänischen Entscheidung unterrichtet worden, US-Abfangraketen im Land zu stationieren. Laut Vertretern des US-Außenministeriums soll das System bereits 2015 voll einsatzbereit sein. Zur Rechtfertigung wurde erneut das alte Märchen von der Bedrohungen durch interkontinentale, also gar nicht existierende iranische Raketen aufgetischt.

Die bulgarische Nachrichtenagentur Focus teilt unter Berufung auf Quellen im Verteidigungsministerium des Landes mit, Sofia könnte entweder das Raketenabwehrsystem MIM-104 »Patriot« oder die Abwehrraketen »Standard« (SM-3) zur Vernichtung von ballistischen Mittel- und Langstreckenraketen bei sich aufstellen lassen. »Jetzt auch Bulgarien«, schreibt der russische NATO-Botschafter Dmitri Rogosin auf Twitter. »Ich habe das Gefühl, daß das Europa nichts Gutes verspricht. ... Die Bulgaren sind unsere Brüder, jawohl, aber politisch mitunter nicht gerade wählerisch. In beiden Weltkriegen kämpften sie gegen uns... Schließlich geht es wirklich nicht, dreimal denselben Fehler zu begehen!«

Die neuen Pläne über die Stationierungen von Raketenabwehrraketen in Polen, Rumänien und nun auch Bulgarien verkehren die Verschrottung ähnlicher Pentagon-Vorhaben durch US-Präsident Barack Obama 2009 in ihr Gegenteil. Ursprünglich hatte es sich um ein Verbundsystem gehandelt, wobei in Polen stationierte Raketenabwehrraketen über ein in Tschechien stationiertes Radarsystem im Ernstfall in ihr Ziel gelenkt werden sollten. Rußland sah darin aber nicht – wie von Washington vorgegeben – einen Schutzschild gegen iranische Raketen, die es in dieser Form ohnehin noch gar nicht gibt, sondern als massive Bedrohung seiner nationalen Sicherheit in Form eines gefährlichen Anschlags auf die Untergrabung seiner nuklearen Abschreckungskapazität im Fall eines amerikanischen Angriffs.

Die Pentagon-Pläne trugen erheblich zur Vergiftung der Beziehungen bei, und Moskau drohte mit allerlei Gegenmaßnahmen. Als daher der neue Präsident Obama schon bald nach seinem Amtsantritt die Pentagon-Pläne aufhob, wurde allgemein aufgeatmet, weil die Ära der Entspannung und Abrüstung wieder zurückgekehrt schien. Nur Skeptiker verwiesen darauf, daß die Aufgabe der ursprünglichen Pentagon-Pläne weniger mit friedenspolitischer Vernunft als vielmehr mit den unüberwindbaren, technischen Problemen des ursprünglich vorgesehenen Systems zu tun hatte.

Moskau hat immer wieder versucht, die Frage des geplanten Aufbaus des US-Raketenabwehrsystems mit den andauernden Verhandlungen zur Fortführung des Vertrages über die Begrenzung der strategischen Offensivwaffen der USA und Rußlands zu verknüpfen. Der 1991 geschlossene START-Vertrag (Strategic Arms Reduction Treaty) ist am 5. Dezember letzten Jahres ausgelaufen. Seither heißt es von den Verhandlungen, daß man grundsätzliche Übereinstimmung erreicht habe, wegen andauernder Differenzen über »technische Details« jedoch noch nicht zum Abschluß gekommen sei. Die »technischen Details« bestehen darin, daß Washington die Aufstellung seines Raketenabwehrschilds in Europa als einen separaten Prozeß betrachtet, der mit der Notwendigkeit der Begrenzung der Offensivwaffen in keiner Weise verbunden ist.

Derweil zeigen erste Reaktionen, wie die amerikanischen Pläne die ganze Region zu destabilisieren drohen. So beklagt Wassili Chara von Präsident Janukowitschs Partei der Regionen in Kiew, daß die US-Raketen in Rumänien die Ukraine in eine Risikozone verwandeln würde. Zudem würden sie die Situation in dem von Janukowitsch unterstützten Transnistrien weiter verschärfen. Inzwischen hat die Regierung des von Moldawien abgespaltenen Transnistrien Moskau angeboten, auf ihrem Territorium alle Waffen zu stationieren, die nötig sind, um im Ernstfall das amerikanische Raketenabwehrsystem im benachbarten Rumänien zu neutralisieren. »Das, was Rußland braucht«, werde stationiert, betonte Transnistriens Republikchef Igor Smirnow am Montag (15. Feb.) in Moskau.

* Aus: junge Welt, 16. Februar 2010


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