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Piratenfangaktion als Propaganda-Gag

Marine braucht Erfolge und bereitet Probleme

Von René Heilig *

Die Deutsche Marine hat vor der Küste Somalias einen Piratenüberfall auf ein deutsches Handelsschiff vereitelt und neun Personen festgenommen. So heißt es. Endlich! Die Propaganda braucht Erfolge beim Einsatz vor Somalia. Die Wahrheit ist eine andere.

Das deutsche Verteidigungsministeriums verbreitet eine sehr seltsame Darstellung des Geschehens [siehe Kasten unten auf dieser Seite]. Piraten hätten am frühen Dienstagmorgen die »MV Courier« angegriffen. Das Containerschiff, gebaut 1995 von der Kvaerner-Warnow-Werft in Rostock, gehört der Reederei Gebrüder Winter aus Hamburg. Die hat jedoch den unter der Flagge von Antigua und Barbuda laufenden Kahn verchartert.

Nach Darstellung des Verteidigungsministeriums attackierten Piraten den Frachter mit Panzerfäusten und automatischen Waffen. Tatsache ist, dass die »MV Courier« um 7.12 Uhr einen Notruf absetzte. Daraufhin stiegen der auf der etwa 50 Seemeilen entfernten Fregatte »Rheinland-Pfalz« stationierte Bordhubschrauber und ein Hubschrauber der US-Marine von einem in der Nähe stationierten Kriegsschiff auf. Die Besatzungen der Hubschrauber vereitelten den Angriff. Kurze Zeit später wurden das Piratenboot von Soldaten der deutschen Fregatte gekapert und neun Personen festgenommen.

Manches an der Darstellung stimmt. In der Tat sichtete man auf der »Courier«, die im Konvoi lief, Boote, die sich dem Frachter bis auf eine halbe Seemeile näherten. Doch sie unternahmen keinerlei Anstalten, das Schiff anzugreifen. Wie auch? Schließlich war dessen Geschwindigkeit größer als die der angeblichen Piratenboote. Zugleich hat der »Courier«-Kapitän einen Ausweichkurs befohlen. Sollten in den Booten wirklich Piraten gewesen sein, so hätten sie als »Fachleute« sofort bemerken müssen, dass der Freibord des Frachters zu hoch war, um das Schiff zu entern. Kurzum, die vermeintlichen Piraten drehten ab. Erst dann erschien der US-Hubschrauber, nach ihm der von der deutschen Fregatte »Karlsruhe«. Da war die Gefahr längst vorüber - so sie überhaupt bestanden hat.

Wer will, kann das Geschehen dem Bericht des philippinischen Kapitäns, der eine philippinische Besatzung kommandiert, entnehmen, die zu keiner Zeit in wirklicher Gefahr war. Das eigentliche Problem ist ein anderes. Erstmals hat die Deutsche Marine vor der Küste Somalias Piraten festgesetzt. Die Festnahme verlief so, dass keine gerichtsfesten Tatsachen gesichert wurden. Im Gegenteil, man warf beim Entern sogar die Waffen der angeblichen Angreifer - also Beweismittel - über Bord.

Die Bundesregierung muss nun entscheiden, was mit den Festgenommenen geschieht. Dies gilt als kompliziert, da unter anderem geklärt werden muss, inwieweit deutsche Rechtsgüter betroffen sind, ob die Piraten an andere Staaten übergeben oder in Deutschland vor Gericht gestellt werden. Eine spezielle Kommission der Staatssekretäre der vier Ministerien für Inneres, Justiz, Verteidigung und Äußeres prüft den (Propaganda-)Fall.

* Aus: Neues Deutschland, 5. März 2009


Kein Rum kommt rum

Von René Heilig **

Ein wenig mehr Dankbarkeit sollte man schon erwarten! So wie man das an der Heimatfront hört, haben sich die Jungs (und Mädels) der Fregatte »Rheinland-Pfalz« wahrhaft heldenhaft zwischen die »Courier« und die Piraten geworfen. Ist das kein mit dem Dankbarkeits-Gebinde geschmücktes Fass Rum wert? Nö! Sagt der Reeder der vercharterten »Courier« und meint, dass es nicht einmal sicher sei, ob diese Typen in ihren wackligen, lahmen Booten wirklich so dämlich gewesen sind, das moderne und viel schnellere Containerschiff anzugreifen.

Was eigentlich ist da los vor der Küste Somalias? Da haben zahlreiche NATO-Staaten Schiffe zusammengezogen, um den freien Seehandel zu schützen, der ohnehin nicht mehr frei ist, weil die Haie unter den Reedern längst die kleinen Fische vor sich hertreiben. Um sie im Schwarm zu fressen. Und an dieser Treibjagd beteiligen sich nun Seestreitkräfte interessierter Staaten. Interessiert sind viele: Die NATO-Staaten - USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien (das derzeit klugerweise nur noch als schiffsloser Kommandostützpunkt funktioniert) - sind dabei, auch Russland, China, Indien. Komisch, das sind genau jene Länder, die bei der aktuellen Aufteilung der Welt ein gehöriges Wort mitsprechen wollen.

Die Erfindung der Piratengefahr, die bisweilen sogar real an Somalias Küstenabschnitten auftaucht, doch bedarfsweise auch in Asien dienstbereit wäre, dient in gewisser Weise der Neuordnung der Welthandelsströme. Dafür darf sich eine deutsche Regierung schon mal Gedanken machen über neue mehr oder weniger irrtümlich Gefangene.

** Aus: Neues Deutschland, 5. März 2009 (Kommentar)

Von der Homepage des Verteidigungsministeriums

Atalanta: Fregatte Rheinland-Pfalz vereitelt Piratenangriff (Aktualisierung)

In See/Berlin, 04.03.2009.

Am 3. März gegen 7.12 Uhr MEZ hat die Fregatte Rheinland-Pfalz im Golf von Aden einen Notruf des Frachters MV Courier der deutschen Reederei Gebrüder Winter (unter Flagge Antigua und Barbuda) aufgefangen. Dieser meldete, dass er von Piraten mit Panzerfaust und Schusswaffen unter Feuer genommen werde.

Daraufhin hat der Kommandant der deutschen Fregatte einen Bordhubschrauber vom Typ Sea Lynx zur Hilfeleistung entsandt. Die Fregatte war cirka 50 Seemeilen von dem angegriffen Handelsschiff entfernt. Ein Hubschrauber des amerikanischen Kriegsschiffes USS Monterey und der Rheinland-Pfalz haben den Angriff unter Abgabe von Warnschüssen abgewehrt und ein offenes Piratenboot gestellt. Der amerikanische Hubschrauber flog anschließend zu seinem Schiff zurück.

Um cirka 9.50 Uhr MEZ näherte sich die Rheinland-Pfalz dem Schiff auf wenige Meter und führte ein Boarding auf dem Piratenboot durch. Dabei wurden Beweismittel gesichert.

Neun mutmaßliche Piraten wurden anschließend an Bord der Fregatte Rheinland-Pfalz in Gewahrsam genommen. Sie werden gegenwärtig zur Person und zum Sachverhalt befragt. Die Entscheidung über das weitere Verfahren wird entsprechend hierfür vereinbarter Verfahren auf Ebene der Regierung getroffen werden.

Quelle: www.bundeswehr.de (Abgerufen am 5. März 2009)




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