Jung spielt die Bundeswehr-Karte
Minister will erneut Verfassungsänderung - Soldaten als Geiselbefreier im In- und Ausland
Die Freilassung des gekaperten Containerschiffs »Hansa Stavanger« hat
den Streit über eine Grundgesetzänderung für mehr Befugnisse der
Bundeswehr neu entfacht.
Verteidigungsminister Franz Josef Jung holte sich
am Wochenende mit einem erneuten Vorstoß, der Bundeswehr per
Grundgesetzänderung auch die Geiselbefreiung im Ausland zu ermöglichen,
ein scharfe Abfuhr von der Opposition und auch vom Koalitionspartner
SPD. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) hob am Sonntag (9. Aug.) hervor, dass deutsche Soldaten auch jetzt schon Geiseln aus der Hand von Piraten
befreien könnten. Jung hatte der »Bild am Sonntag gesagt: »Wir sollten
über eine Verfassungsänderung nachdenken, die der Bundeswehr den Zugriff
dann ermöglicht, wenn die Polizei nicht handeln kann, da sie
beispielsweise gar nicht am Ort des Geschehens ist.« Spätestens nach der
Bundestagswahl wolle er dieses Thema wieder auf die Tagesordnung
setzten. »Und: Diese Diskussion ist nicht nur mit Blick auf das Ausland
zu führen, sondern auch mit Blick auf bestimmte Situationen im Innern.«
Nach Ansicht von Justizministerin Zypries ist eine raschere Befreiung
der gekaperten »Hansa Stavanger« »nicht am Grundgesetz gescheitert«.
Dass man sich bei einem Befreiungsversuch gegen einen Einsatz des KSK
der Bundeswehr und für die GSG 9 der Bundespolizei entschieden habe,
»hatte rein operative Gründe«. Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin
nannte Jung einen »unbelehrbaren Wiederholungstäter«. Die Union müssen
endlich begreifen, dass es »keine verfassungsändernde Mehrheit dafür
gibt, das Kriegsrecht im Innern einzuführen«. FDP-Fraktionsvize Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger hielt Jung vor, das Drama um die »Hansa
Stavanger« im Wahlkampf nutzen zu wollen. Ähnlich äußerte sich Petra Pau
von der LINKEN. Sie nannte den neuerlichen Vorstoß von Jung »perfide«.
Nach fast vier Monaten in der Gewalt von Piraten lief die »Hansa
Stavanger« am Sonnabend in den kenianischen Hafen Mombasa ein. Die
24-köpfige Crew verließ erschöpft, aber erleichtert das Schiff. Der
deutsche Frachter war am 4. April von somalischen Piraten gekapert
worden. Nach monatelangen Verhandlungen kam das Schiff am vergangenen
Montag nach einer Zahlung von offenbar knapp zwei Millionen Euro
Lösegeld frei.
* Aus: Neues Deutschland, 10. August 2009
Jung will mal wieder Grundgesetz ändern
Verteidigungsminister fordert Bundeswehreinsatz im Inneren. Vorwand:
Geiselbefreiungen durch Piraten
Von Rüdiger Göbel **
Kaum ist die Besatzung des deutschen Frachters »Hansa Stavanger« nach
monatelanger Gefangenschaft am Horn von Afrika freigekommen, da nimmt
sie Verteidigungsminister Franz Josef Jung in politische Geiselhaft. Der
CDU-Politiker macht sich seit Jahren für einen Einsatz der Bundeswehr im
Inland stark und will das Grundgesetz entsprechend ändern. Nach
G-8-Gipfelprotesten und gemutmaßten Terroranschlägen werden nun die
Geiselnahmen vor der Küste Somalias argumentativ für die Ausweitung des
militärischen Einsatzgebietes mißbraucht. »Nach unserer Verfassung ist
derzeit für eine Geiselbefreiung die Polizei zuständig. Wir sollten über
eine Verfassungsänderung nachdenken, die der Bundeswehr den Zugriff dann
ermöglicht, wenn die Polizei nicht handeln kann, da sie beispielsweise
gar nicht am Ort des Geschehens ist«, sagte Jung in der Bild am Sonntag (9. August). Spätestens nach der Bundestagswahl wolle er dieses Thema wieder auf die
Tagesordnung setzen. Der Minister kündigte an, die Diskussion über eine
Grundgesetzänderung nicht nur mit Blick auf Einsätze im Ausland führen
zu wollen, »sondern auch mit Blick auf bestimmte Situationen im Innern«.
Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier
kritisierte Jungs Vorschlag scharf. Es sei nicht gut, wenn jetzt
versucht werde, aus der Rückkehr der Geiseln politisches Kapital zu
schlagen, sagte er am Sonntag auf einer Wahlkampfveranstaltung in
Erfurt. Eine Änderung des Grundgesetzes halte er für den falschen Weg.
Der Krisenstab habe gut gearbeitet.
Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin erklärte, mit seinen wiederholten
Vorstößen, über eine Grundgesetzänderung Bundeswehreinsätze im Innern zu
ermöglichen, entpuppe sich Jung als »unbelehrbarer Wiederholungstäter«.
Petra Pau, Mitglied im Vorstand der Fraktion Die Linke und im
Innenausschuß, monierte, »das Schicksal der Seeleute eignet sich
wahrlich nicht zum Spielball innenpolitischer Zündeleien im Wahlkampf
des Ministers«.
** Aus: junge Welt, 10. August 2009
Riegel vor!
Von Christian Klemm ***
Die Bundeswehr ist laut Grundgesetz eine Verteidigungsarmee. Nicht
wenigen Abgeordneten im Hohen Haus ist das ein Dorn im Auge. Sie fordern
in regelmäßigen Abständen, das Grundgesetz so zu ändern, dass die
Bundeswehr über den Verteidigungsauftrag hinaus Kompetenzen erhält. Die
Entführung der »Hansa Stavanger« war für den »unbelehrbaren
Wiederholungstäter« Franz Josef Jung offenbar willkommener Anlass, die
Armee auch für Geiselbefreiungen in Stellung zu bringen - im Ausland wie
im Inland.
Unter allen Umständen muss dem Trend nach mehr Militär ein Riegel
vorgeschoben werden. Die Bundeswehr darf weder einen Kampfauftrag im
Ausland erhalten, noch für Polizeiaufgaben im Inland eingesetzt werden.
Für Gei- selnahmen - gleich ob in Deutschland oder anderswo - ist die
Polizei zuständig, sonst niemand. Kämen Jung und seine Kameraden mit
ihren Vorschlägen durch, ist eine weitere Militarisierung Deutschlands
die logische Folge.
Die Vehemenz, mit der konservative Politiker immer wieder versuchen, die
Änderung des Grundgesetzes auf die Tagesordnung zu setzen, braucht das
Handeln aller zivilgesellschaftlichen Akteure. Dieser Druck ist nötig,
nicht zuletzt auf der Straße, jene Mehrheiten im Bundestag zu erreichen,
die ein weiteres Mandat für Kampfeinsätze der Bundeswehr verhindern.
Nicht Ausbau und Kompetenzerweiterung der Armee gilt es durchzusetzen,
sondern Abrüstung - und zwar radikal.
*** Aus: Neues Deutschland, 10. August 2009 (Kommentar)
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