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"Das nehme ich mal als Anregung auf"

Die Solidarität der Linkspartei mit den Antifaschisten in der Ukraine scheint verhalten zu sein. Gespräch mit Bernd Riexinger *


Bernd Riexinger ist gemeinsam mit Katja Kipping Vorsitzender der Partei Die Linke.


Gysis Truppe eiert« titelte die junge Welt am Donnerstag in einem Bericht über die Bundestagsabstimmung zum Militäreinsatz im Mittelmeer. Immerhin haben zum ersten Mal Linke-Abgeordnete einem Auslandseinsatz der Bundeswehr zugestimmt – wie finden Sie das als Parteivorsitzender?

Dafür habe ich Verständnis, dieser Einsatz ist völlig anderer Natur als es frühere Einsätze waren. Dieses Mal geht es darum, die Vernichtung von Giftgas abzusichern, was ein Beitrag zur Abrüstung ist. Andererseits haben weit mehr unserer Abgeordneten mit »Nein« gestimmt – ich finde, wir sollten unterschiedliche Meinungen respektieren und sie nicht als Aufweichung in der Friedensfrage interpretieren. Insofern finde ich die Überschrift ein wenig merkwürdig.

Aus angeblich humanitären Gründen hatte die Bundeswehr 1993 ein Feldlazarett in Kambodscha eingerichtet – damit hat die damalige Bundesregierung in der öffentlichen Meinung den Weg für spätere Kampfeinsätze geebnet. Ist das nicht jetzt derselbe Trick wie damals?

In meiner Partei gibt es nicht die geringste Gefahr, daß sich ihre Antikriegshaltung aufweicht. Ich selbst bin zwar nicht im Bundestag, hätte aber ebenfalls mit »Nein« gestimmt. Meine Kovorsitzende Katja Kipping und ich hatten unsere Ablehnung zuvor der Fraktion auch mitgeteilt.

Eine Gruppe russischer Abgeordneter will den früheren Staatschef Michail Gorbatschow vor Gericht bringen, weil er Gesetze gebrochen habe und damit für den Untergang der Sowjetunion verantwortlich sei. Könnte das Beispiel nicht Schule machen? Exbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat kürzlich zugegeben, daß er im Fall des Krieges gegen Serbien das Völkerrecht gebrochen hat.

Ich weiß nicht ob das die richtige Antwort darauf wäre, aber es ist doch beachtlich, daß Schröder es zugibt. Damit bestätigt er nachträglich die klare Position der Linken, daß sowohl der Serbien- als auch der Afghanistan-Einsatz völkerrechtswidrig waren. Und damit bescheinigt er uns auch, daß wir mit unserem klaren Antikriegskurs richtig liegen.

Artikel 26 des Grundgesetzes stellt die Vorbereitung von Angriffskriegen unter Strafe, das Strafgesetzbuch schreibt in Paragraph 80 dafür als Mindeststrafe zehn Jahre Haft vor. Warum stellt Die Linke nicht Strafanzeige?

Ich nehme das als Anregung mit.

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew sind Faschisten an der Macht, ihre Banden terrorisieren die russischsprachige Bevölkerung. Gregor Gysi hat dazu im Bundestag deutliche Worte gefunden, Antifaschisten, mit denen ich in Donezk kürzlich sprach, waren davon begeistert, fragten aber, wie es denn mit der praktischen Solidarität aussehe. Von der Linkspartei habe sich niemand sehen lassen.

Das werden wir mit Sicherheit machen; ich weiß nicht, warum bisher noch keiner unserer Parlamentarier dort war. Abgesehen davon haben wir durchaus unsere Kontakte zu linken Politikern in der Ukraine.

Es war 1999 ein publizistischer Erfolg für die Linkspartei, als Gregor Gysi zu Kriegsbeginn mit dem vom Westen verfemten serbischen Staatspräsidenten Slobodan Milosevic gesprochen hatte. Warum treffen sich nicht Vertreter der Linkspartei mit Repräsentanten der russischen Bevölkerung?

Das nehme ich auch mal als Anregung auf. Allerdings glaube ich nicht, daß meine Partei gut beraten wäre, wenn sie sich in Auseinandersetzungen zwischen den Bevölkerungsgruppen einmischte. Linke Politik heißt für uns doch, daß wir die Konflikte erst einmal zwischen »unten« und »oben« sehen, daß wir also von der Klassenfrage ausgehen.

Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung kritisiert die Ukraine-Politik des Westens. In wenigen Wochen ist Europawahl – warum macht sich Ihre Partei nicht zum Wortführer dieses Unmuts?

Das sind wir doch schon. Die Bevölkerung will, daß Rußland in die Friedensbemühungen einbezogen wird, sie solidarisiert sich aber nicht mit Präsident Wladimir Putin, dessen Politik alles andere als »links« ist. Die Ukraine-Frage wird uns jedenfalls in den nächsten Monaten und Wochen weiter beschäftigen. Wir lehnen es grundsätzlich ab, daß aufgerüstet und mit dem Militär gedroht wird. Wir sind übrigens mit Vertretern der deutschen Friedensbewegung im Gespräch, um zu prüfen, was möglich ist.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge welt, Freitag, 11. April 2014


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