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Wer kann mit wem?

Anmerkungen zu einer DIW-Studie zur Parteienbindung und dem Wahlverhalten nach Einkommens- und Vermögensgruppen

Von Herbert Schui *

Die Metapher von Merkel als der schwarzen Witwe, die ihre Koalitionspartner umbringt, hat ihren Sinn. 2009 verlor die SPD nach der großen Koalition mächtig, die FDP ist jetzt nicht mehr im Bundestag. In beiden Fällen spielte die Enttäuschung der Wähler angesichts ihrer Parteibindung eine wichtige Rolle.

Diese Bindung ist durch das Interesse der Wähler begründet. Es folgt wesentlich aus deren objektiver wirtschaftlicher Lage – so Einkommen und Vermögen – und daraus, welcher Partei sie zutrauen, ihr Interesse durchzusetzen. Das wiederum veranlaßt die Parteien, mit allerlei Tricks und nicht ohne Erfolg dieses Interesse umzudeuten oder entgegen der Wahrheit zu behaupten, sie seien deren wahre Vertreter.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat in seinem Wochenbericht 37/2013 den Zusammenhang zwischen Parteibindung, Einkommen und Vermögen der Haushalte untersucht. Das Ergebnis: Wohlhabende neigen zu CDU/CSU und FDP – und zu den Grünen (so der Titel der Studie). Dasjenige Fünftel der privaten Haushalte, das die niedrigsten Einkommen bezieht, neigt zu 3,4 Prozent der FDP zu. Das Fünftel mit den höchsten Einkommen fühlt sich zu 8,1 Prozent der FDP verbunden. Zur CDU/CSU neigen 31,4 Prozent des ärmeren Fünftels und 45 Prozent des reicheren, zu den Grünen 12,5 bzw. 17,2 Prozent.

Deswegen wundert es nicht, wenn die FDP von den 4,2 Millionen Stimmen, die sie verlor, die Hälfte an die CDU/CSU abgegeben hat. (Die andere Hälfte verteilt sich fast gleichmäßig auf SPD, AfD und Nichtwähler.) Entscheidend war hier nicht das Programm, sondern FDP-Führung. Sie erschien zunehmend flapsig und läppisch. Deswegen der Wechsel zur Union, die ja auch für Begüterte wählbar ist. Diese Stimmen werden dort den Wirtschaftsflügel stärken, denn die Unionsparteien können sich nun veranlaßt sehen, dem Interesse dieser neuen Wähler entgegenzukommen. Das macht eine Koalition mit der SPD schwierig. Denn diese würde ja eher den Sozialflügel stärken.

Quittung für Steuerpläne

Die Grünen verlieren 953000 Stimmen, davon 550000 an die SPD und 420000 an die Unionsparteien. Letzteres kann mit den Steuerplänen der Grünen erklärt werden, die Verluste an die SPD möglicherweise damit, daß die vormaligen Grünen-Wähler den Sozialdemokraten Steuererhöhungen für hohe Einkommen und Vermögen zutrauen. Das Dilemma für die Grünen ist: Wenn sie künftig von Steuererhöhungen absehen, können sie allenfalls die Überläufer zu den Unionsparteien wieder zurückgewinnen.

Folgt man weiter den Ergebnissen der DIW-Studie, so zeigt sich für SPD und Die Linke – im Gegensatz zu Unionsparteien, FDP und Grünen – ein ganz anderes Bild: Bei SPD und Linken sieht es mit der Parteibindung so aus: Das ärmere Fünftel der Einkommensbezieher neigt zu 33,7 Prozent der SPD zu. Beim oberen Fünftel sind es 25,4, Prozent. Die kann es nicht überraschen, wenn die SPD nach dem Ende der großen Koalition (dort hat sie der »Rente ab 67« zugestimmt) viele Stimmen verlor. Bei der Linken ist der Unterschied wesentlich ausgeprägter als bei der SPD: 12,9 Prozent des ärmeren Einkommensfünftels neigen der Linken zu, beim oberen Einkommensfünftel dagegen nur 1,5 Prozent.

»Einheitssoße«

Die DIW-Zahlen zeigen auch, daß CDU und CSU am ehesten als Volksparteien durchgehen können: Offenbar sind sie in der Lage, einen Ausgleich der Interessen von Armen und Reichen zu inszenieren, wenngleich mehr Reiche als Arme diesen Parteien zuneigen. Bei der Linken ist der Abstand mit 2,9 Prozent (Reichere) zu 12,9 Prozent (Ärmere) wesentlich stärker ausgeprägt. Damit ist sie die Sorge los, wie die Unionsparteien das Interesse beider vertreten zu wollen.

Wer könnte jetzt ein Zusammengehen mit den Unionsparteien wagen? Nach einer Forsa-Umfrage für den stern (26. September) sind 65 Prozent der SPD-Mitglieder gegen eine Koalition mit der CDU/CSU. Bei den Funktionären ist die Ablehnung mit 70 Prozent sogar noch höher. Eher kommen wohl die Grünen in Frage. Zu einem Großteil haben sie auf ihrem kleinen Parteitag ihr Wahlprogramm und die entsprechenden Leute beseitigt: Trittin hat das Wahlprogramm engagiert vertreten, wonach die öffentliche Verschuldung dramatisch gewachsen sei, während hohe Einkommen und Vermögen seit Jahren geringer besteuert würden. Die Wende der Grünen ist ein Lehrbeispiel für die ökonomische Theorie der Demokratie. Diese behauptet: Die Parteien bieten Politik an, die Wähler fragen sie nach. Bleibt die Nachfrage aus, wird das Angebot verändert. Aber dann gestalten die Parteien nicht (das sind wirklich nicht nur die Grünen), sondern lassen sich von der öffentlichen, der veröffentlichten Meinung formen – und von denjenigen, die sie machen. Sie rennen hinter der Bewußtseinsindustrie her, statt die öffentliche Meinung zu verändern. So wirken sie in fataler Weise mit bei der politischen Willensbildung des Volkes im Sinne des Artikels 21 des Grundgesetzes. Das Ergebnis ist dann »Einheitssoße« (Gregor Gysi).

* Professor Herbert Schui ist Volkswirt. Er lehrte u.a. an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik, war Mitbegründer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und von 2005 bis 2010 Abgeordneter des Deutschen Bundestages, Fraktion Die Linke.

Aus: junge Welt, Dienstag, 8. Oktober 2013



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