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Auf der Anklagebank

Überprüfungskonferenz in New York: Länder der »dritten Welt« kritisieren Atomwaffenmächte. Israel soll Nichtweiterverbreitungsvertrag unterzeichnen

Von Knut Mellenthin *

US-Präsident Barack Obama hatte es sich so schön gedacht: Auf der Konferenz zur Überprüfung des Vertrags über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (NPT) sollte nicht über die mehr als 20000 Atomwaffen gesprochen werden, die sich hauptsächlich im Besitz der USA und Rußlands befinden, sondern über den Iran. Also über ein Land, das keine Atomwaffen besitzt und sie sogar aus ethischen und religiösen Gründen grundsätzlich ablehnt.

Es zeigte sich aber schon in der ersten Konferenzwoche, daß viele Staaten sich dieser Regie widersetzen. Herausragend war dabei die Rede des brasilianischen Außenministers, in der er den NPT als »unfaires« Abkommen angriff, das die Welt in Besitzende und Nicht-Besitzende teile. Die einzige Möglichkeit, garantiert und langfristig die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern, sei ihre Abschaffung, sagte Celso Amorim.

Der kubanische Delegationsleiter, UN-Botschafter Pedro Nunez Mosquera, beklagte, 40 Jahre nach Inkrafttreten des NPT existierten immer noch so viele Atomwaffen, daß damit die Welt mehrere Male vernichtet werden könnte. Er fuhr fort: »Wir können es nicht hinnehmen, daß derzeit die Militärausgaben beträchtlich höher sind als zur Zeit des sogenannten Kalten Krieges. Und es bereitet uns große Sorgen, daß eine einzige Atommacht für fast die Hälfte dieser Ausgaben verantwortlich ist. Wie kann man eine solche Situation hinnehmen, wenn im 21. Jahrhundert 2,5 Milliarden Menschen in Armut leben, 1,1 Milliarden keinen Zugang zu trinkbarem Wasser haben, 2,6 Milliarden ohne sanitäre Einrichtungen sind, wenn es mehr als 800 Millionen Analphabeten und 150 Millionen Kinder ohne Grundschulen gibt, um nur einige der alarmierendsten Zahlen unserer sogenannten Zivilisation zu nennen?« Mit Blick auf den Streit um Irans Atomprogramm sagte Mosquera: »Es ist unmoralisch, daß einige Atomstaaten Länder der dritten Welt wegen angeblicher Verstöße gegen ihre Verpflichtungen verurteilen, während sie gleichzeitig fortfahren, ihre Atomwaffen-Arsenale zu modernisieren.«

Wie viele andere Redner beklagte auch der ägyptische Außenminister Ahmed Abul-Gheit in seiner Ansprache an die Konferenz die Relativierung des Artikels IV des NPT durch einige mächtige Staaten. Der Artikel garantiert das Recht aller Unterzeichner zur friedlichen Nutzung der Atomenergie. Dieses Recht, so Abul-Gheit, sei »unveräußerlich« und dürfe nicht willkürlich beschnitten werden. Mit deutlicher Anspielung auf die Kampagne gegen Iran sagte der Minister, keinem Land dürfe vorgeschrieben werden, wo seine Urananreicherung stattzufinden hat.

Der Sprecher der Arabischen Liga, Botschafter Wael Al Assad, forderte im Namen aller 22 Mitgliedsstaaten der Liga von den Atommächten einen verbindlichen Zeitplan. An die Konferenz appellierte er, ein Verbot der Entwicklung und Produktion neuer Atomwaffen zu beschließen und die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen gegen Staaten, die solche nicht besitzen, zu ächten. Gegen Staaten, die sich weigern, dem NPT beizutreten – gemeint sind Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea – müßten politische und wirtschaftliche Strafmaßnahmen eingesetzt werden, um ihnen die Kosten ihrer Verweigerungshaltung deutlich zu machen.

Im Namen der großen Gruppe der Blockfreien, der 118 Staaten angehören, sprach der indonesische Außenminister Marty Natalegawa. Er kritisierte den Versuch einiger Atommächte, das Recht aller Unterzeichner auf friedliche Nutzung der Atomenergie einzuschränken oder in Frage zu stellen. Der Artikel IV lasse nach Ansicht der nichtpaktgebundenen Staaten für eine solche »Neuinterpretation« keinen Spielraum. Er erinnerte daran, daß es den Atommächten nach den Artikeln I und II des NPT verboten ist, Nichtunterzeichner mit nuklearem Material oder Know-how zu beliefern, wie es die USA gegenüber Israel und Indien machen.

Die Forderung nach einem Beitritt Israels zum NPT, Abrüstung seiner Atomwaffen und Kontrolle seiner Nuklearanlagen durch die IAEA war in der ersten Konferenzwoche sehr viel häufiger zu hören als Angriffe gegen Iran. Ägypten und andere arabische Staaten setzen sich für einen Konferenzbeschluß ein, im nächsten Jahr mit Verhandlungen über die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten zu beginnen. Auf Initiative der arabischen Staaten stehen die israelischen Atomwaffen erstmals auf der Tagesordnung der Sitzung des IAEA-Vorstands, die am 7. Juni beginnt. In einem gemeinsamen Brief an IAEA-Chef Jukija Amano haben die arabischen Staaten ihn gebeten, dem Vorstand einen Bericht mit den verfügbaren Informationen über Israels nukleares Arsenal vorzulegen.

* Aus: junge Welt, 10. Mai 2010

Hintergrund: Der NPT-Vertrag

Der Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapon – NPT) wurde 1968 von den USA, der Sowjetunion und Großbritannien vereinbart. 1970 wurde er in Kraft gesetzt. Frankreich und China unterschrieben das Abkommen erst 1992. Israel, Indien und Pakistan sind dem NPT nicht beigetreten; Nordkorea verließ ihn 2003. Zur Zeit sind 189 Staaten Mitglieder des Vertrags. Der NPT unterscheidet zwischen Atomwaffen-Staaten und Nicht-Atomwaffen-Staaten mit jeweils unterschiedlichen Pflichten.

Artikel I untersagt es den Atomwaffen-Staaten, nukleare Waffen weiterzugeben oder andere Staaten an der Kontrolle über solche Waffen zu beteiligen.

Artikel II enthält die Verpflichtung der Nicht-Atomwaffen-Staaten, solche Waffen weder herzustellen noch zu erwerben. Artikel III regelt die Überwachung der Nicht-Atomwaffen-Staaten durch die IAEA.

Artikel IV garantiert allen Unterzeichnerstaaten das »unveräußerliche« Recht zur friedlichen Nutzung der Atomenergie und zur Forschung auf diesem Gebiet. Staaten mit einer fortgeschrittenen Nukleartechnologie sollen den übrigen dabei helfen. Artikel V führt dieses Thema weiter aus.

Artikel VI enthält in völlig unverbindlicher Form ein Bekenntnis zur atomaren Abrüstung. Er lautet: »Jede Vertragspartei strebt Verhandlungen in gutem Glauben über wirksame Maßnahmen zur Einstellung des nuklearen Wettrüstens zu einem frühen Zeitpunkt, über atomare Abrüstung und über den Abschluß eines Vertrages zur allgemeinen, vollständigen Abrüstung unter strikter und wirksamer internationaler Kontrolle an.«

Artikel VIII besagt, daß Änderungen am NPT von einer Mehrheit aller Unterzeichnerstaaten und von allen am Abkommen beteiligten Atommächten gebilligt werden müssen. Artikel VIII schreibt ferner vor, daß alle fünf Jahre Konferenzen zur Überprüfung der Durchführung des NPT stattfinden sollen.

Artikel X garantiert das Recht jedes Unterzeichnerstaates, »in Ausübung seiner nationalen Souveränität« aus dem NPT auszutreten, »wenn er entscheidet, daß außerordentliche Ereignisse, die mit diesem Vertrag in Zusammenhang stehen, die höchsten Interessen seines Landes gefährden«.

Hier geht es zum vollständigen Text des NTP-Vertrags (deutsch)




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