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Ausweg suchen

Iran will aus der Sackgasse westlicher Gesprächsverweigerung im Atomstreit. Unklarheit über Vorschlag Brasiliens

Von Knut Mellenthin *

Wohl eher voreilig berichteten am Mittwoch (5. Mai) einige Medien, daß Iran ein brasilianisches Vermittlungsangebot akzeptiert habe, um die festgefahrenen Verhandlungen über sein ziviles Atomprogramm wiederzubeleben.

Ausgangspunkt der Unklarheiten war eine knappe, aus nur vier Sätzen bestehende Meldung auf der offi­ziellen Website des iranischen Präsidenten. Sie hatte folgenden Wortlaut: »Der venezolanische Präsident Hugo Chávez rief Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der sich in New York befindet, an und tauschte mit ihm Standpunkte über Themen von beiderseitigem Interesse aus. Das Telefongespräch der beiden Präsidenten drehte sich hauptsächlich um Brasiliens Vorschlag zum Austausch von nuklearem Brennstoff. Präsident Ahmadinedschad teilte seine prinzipielle Zustimmung zum Vorschlag des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva mit und rief zur Forsetzung der Gespräche über technische Fragen in Teheran auf. Präsident Chávez sagte Ahmadinedschad, daß Venezuela seine Standpunkte zu internationalen Fragen unterstütze.«

Teheran vorsichtig

Das erste Problem mit dieser Meldung ist, daß unklar ist, von welchem brasilianischen Vorschlag die Rede ist. Offiziell und öffentlich liegt keiner vor. Es gibt lediglich Gerüchte und Vermutungen. Sicher ist nur, daß es um das seit Oktober vorigen Jahres diskutierte Projekt geht, schwach - das heißt auf 3,5 Prozent - angereichertes iranisches Uran gegen Brennplatten aus 20prozentigem Uran einzutauschen. Die höhere Anreicherung des Urans soll in Rußland vorgenommen werden, die anschließende Herstellung der Brennplatten in Frankreich. Benötigt werden diese für den Betrieb eines Reaktors in Teheran, wo Isotope für die Behandlung von Krebspatienten erzeugt werden. Der Brennstoff, den Iran Anfang der 1990er Jahre aus Argentinien erhalten hatte, geht voraussichtlich im Laufe dieses Jahres zu Ende.

Den Austausch-Vorschlag hatte die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) gemacht. Iran stimmte »im Prinzip« zu, forderte aber Verhandlungen über die technischen Details der Transaktion. So etwa über die Menge des von Iran zu liefernden Urans und über die Austauschmodalitäten. Jedes Gespräch darüber wurde jedoch von den USA und der EU abgelehnt. Rußland und China schlossen sich, ebenso erstaunlich wie unerklärt, dieser totalen Verweigerungshaltung an.

Dem Plan der IAEA zufolge müßte Iran mit der Ablieferung eines Großteils seiner Vorräte an schwach angereichertem Uran - die Rede ist von 1200 Kilogramm - zunächst in Vorleistung treten. Danach würde bis zur Lieferung der Brennplatten ungefähr ein Jahr vergehen. Iran macht sich jedoch aufgrund negativer Erfahrungen gerade mit der Vertragstreue französischer Unternehmen Sorgen, daß es am Ende betrogen und erpreßt werden könnte. Deshalb fordern iranische Politiker einen gleichzeitigen direkten Austausch von Uran gegen Brennplatten, der auf iranischem Boden stattfinden müsse.

Kompromiß finden

Bei dem brasilianischen Vorschlag soll es, unbestätigten Vermutungen zufolge, um die Einschaltung eines für Iran vertrauenswürdigen Staates als Treuhänder gehen. Das iranische Uran soll dort bis zum Austausch gegen die Brennplatten verwahrt werden. In Frage käme dafür in erster Linie die Türkei. Ob Brasilien sich für eine solche Rolle auch selbst ins Gespräch gebracht oder diese Möglichkeit vielmehr ausdrücklich ausgeschlossen hat, wird kontrovers dargestellt.

Ahmadinedschad hat in den Interviews, die er während seines Aufenthalts in New York am Rande der Konferenz gab, offen gelassen, ob Iran von seiner Forderung nach gleichzeitigem Austausch auf eigenem Boden abgehen könnte. Er sprach lediglich davon, daß sich ein Kompromiß finden lassen könnte und daß Iran dazu »gewisse Vorschläge« gegenüber »einigen beteiligten Parteien« gemacht habe. Hauptsächlich geht es Teheran offenbar darum, die westliche Gesprächsverweigerung aufzubrechen und die Aufnahme technischer Verhandlungen über den Austausch-Vorschlag durchzusetzen.

* Aus: junge Welt, 7. Mai 2010

Erhöhter Druck auf Iran

NPT-Konferenz fortgesetzt

Die fünf Vetomächte haben den Druck auf Teheran mit einer gemeinsamen Erklärung zum Atomwaffensperrvertrag erhöht. Darin fordern sie Teheran auf, »der Sorge der internationalen Gemeinschaft Rechnung zu tragen und allen betreffenden Resolutionen des Weltsicherheitsrates sowie den Auflagen der Atomenergiebehörde (IAEO) zu folgen«. Der Iran müsse seine Verpflichtungen »umgehend und ohne Einschränkung« erfüllen, heißt es in dem von den USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich unterzeichneten Aufruf. Das sechsseitige Dokument wurde am Mittwoch am Rande der UN-Konferenz für den Nichtverbreitungsvertrag von Atomwaffen in New York verbreitet.

Die IAEO in Wien solle Verstöße gegen ihre Kontrollvorschriften umgehend nach New York melden. Der Weltsicherheitsrat werde dann bestimmen, ob der Frieden und die Sicherheit der internationalen Gemeinschaft bedroht sind. »Wir betonen, dass es vorrangig die Verantwortung des Sicherheitsrates ist, auf solche Bedrohungen einzugehen«. Die fünf Vetomächte im Rat und Deutschland beraten derzeit über verschärfte Sanktionen gegen Iran.

Quelle: Neues Deutschland, 7. Mai 2010




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