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Ukraine-Krise – Wendepunkt für die NATO?

Ein Beitrag von Andreas Flocken in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *

Die Staats- und Regierungschef demonstrierten zum Abschluss Geschlossenheit in der Ukraine-Krise. In Wales hat das Bündnis zugleich erste Konsequenzen aus dem Konflikt gezogen. Russland ist kein Partner mehr. Nach der Annexion der Krim und angesichts der Unterstützung der Separatisten in der Ost-Ukraine wird Moskau jetzt wieder als Gegner betrachtet – wie im Kalten Krieg. Denn insbesondere die osteuropäischen Bündnismitglieder, vor allem die Balten, fühlen sich bedroht.

Mit einem gebilligten Aktionsplan will die Allianz nun in Osteuropa militärisch stärker Flagge zeigen, u.a. mit mehr Manövern in der Region, Stützpunkte sollen für Verstärkungen errichtet werden, kleinere Kampfeinheiten werden auf rotierender Basis in osteuropäische Länder geschickt. Außerdem ist eine 4.000 Soldaten-starke Eingreiftruppe geplant, die innerhalb von 48 Stunden z.B. in die baltischen Staaten verlegt werden kann. Zwar sollen die Gesprächskanäle zu Moskau weiter offenbleiben – von einer Doppelstrategie ist die Rede. Für Hans-Georg Ehrhart vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik könnte die Ukraine-Krise nach dem NATO-Gipfel allerdings noch weiter angeheizt werden. Denn die Maßnahmen würden von Moskau als militärische Drohung angesehen, da ist sich der Konfliktforscher sicher:

O-Ton Erhart
„In der russischen Militärstrategie von 2010 ist explizit ausgedrückt, dass ein Heranrücken von NATO-Strukturen an Russland als solche [militärische Bedrohung] betrachtet wird. Und das geschieht jetzt gerade. Also wird sich Russland formal auch stärker bedroht fühlen und seinerseits möglicherweise mit entsprechenden Aktivitäten antworten."

Eine offene Intervention Russlands in der Ukraine ist eher unwahrscheinlich - selbst wenn die jetzt vereinbarte Waffenruhe zwischen der Regierung in Kiew und den Separatisten keinen Bestand haben sollte. Das strategische Ziel Moskaus ist, eine Westbindung und insbesondere eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zu verhindern. Denn Putin denkt in geopolitischen Kategorien, möchte verhindern, dass das Nachbarland in den Westen abdriftet. Dadurch könnte auch seine eigene Herrschaft gefährdet werden, so die Befürchtung.

Ein NATO-Grundsatz ist, keine Länder in das Bündnis aufzunehmen, die Territorialkonflikte mit ihren Nachbarn haben. Dieses Prinzip macht sich der russische Präsident zunutze. Putin hat ein Interesse am Fortbestehen der gegenwärtigen Lage. Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik:

O-Ton Kaim
„Eine permanente Destabilisierung der Ost-Ukraine - damit kann er den sich abzeichnenden Westkurs des Landes hin zu Europäischen Union, hin zur NATO sehr wirksam unterminieren. Und in dem Sinn ist der Status quo für Präsident Putin am attraktivsten.“

Russland schürt daher eher den Konflikt als ihn zu beenden. Experten sprechen von der sogenannten Hybrid-Kriegsführung. Der Konfliktforscher Ehrhart:

O-Ton Erhart
„Diese sieht eben vor, dass man unterhalb der Schwelle des direkten militärischen Eingreifens über sogenannte Proxis, also Stellvertreter, wie ethnische Gruppen, z.B. die Russen in der Ukraine, versucht, seine Interessen durchzusetzen und diese auch durch Ausbildung und Waffen unterstützt."

Ein militärisches Eingreifen der NATO zugunsten Kiews wird es nicht geben. Die Bundesregierung schließt selbst Waffenlieferungen aus. Der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses Klaus Naumann:

O-Ton Naumann
„Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis. Und der Grundsatz der NATO-Strategie ist, dass ein Angriff auf einen, ein Angriff auf uns alle ist. Das gilt für die Ukraine nicht. Dass Putin durch Vertragsbruch den Frieden in Europa gefährdet, ist eine andere Sache.“

Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, hält Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien für überfällig. Notwendig sei aber noch ein anderer Punkt: Der ehemalige Vier-Sterne-General im Bayerischen Rundfunk:

O-Ton Kujat
„Und da muss eindeutig klargestellt werden, dass die Ukraine nicht NATO-Mitglied werden kann und nicht NATO-Mitglied wird."

Eine klare Botschaft, die in Kiew allerdings noch nicht angekommen ist. Dort setzt die Regierung wie bereits vor sechs Jahren auf dem Bündnis-Gipfel in Bukarest auf eine NATO-Mitgliedschaft. Eine Aufnahme ist allerdings eine Illusion. Und die Chancen für eine friedliche Beilegung der Ukraine-Krise werden dadurch nicht besser, sondern im Gegenteil weiter verschlechtert.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 7. September 2014; www.ndr.de/info




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