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Zivil ist nicht zivil

Das neue Strategische Konzept der NATO beinhaltet auch die Fortführung der Militarisierung der Außenpolitik der Europäischen Union

Von Sabine Lösing *

Am kommenden Wochenende wird die NATO auf ihrem Gipfeltreffen in Lissabon ein neues Strategisches Konzept verabschieden. Ungeachtet vollmundiger Versprechungen, den Prozeß »transparent« gestalten zu wollen, legte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen einen Entwurf vor, den bislang so gut wie kein Parlamentarier zu Gesicht bekam. Selbst Karl-Heinz Kamp von der NATO-Verteidigungsakademie kritisierte deshalb, die propagierte Transparenz »paßt so gar nicht zu dem Prozedere jetzt, das Ganze sehr geheimzuhalten«.

Einiges ist jedoch dennoch bereits durchgesickert, insbesondere die Rolle der Europäischen Union und ihre Verzahnung und Zusammenarbeit mit der NATO soll massiv aufgewertet werden – im Entwurf ist die Rede von einer »strategischen Partnerschaft« beider Organisationen. Offensichtlich hat man sich bereits im Vorfeld des NATO-Gipfels an die Feinausplanung gemacht.

Auf der letzten EU-Ratssitzung vom 16. September wurde die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton im Abschlußdokument »ersucht, Vorstellungen darüber zu entwickeln, wie die Zusammenarbeit zwischen der EU und der NATO bei der Krisenbewältigung […] weiter verstärkt werden könnte«. Interessanterweise wird dort zudem erwähnt, diese Vorschläge sollten »erfolgen gemäß den Empfehlungen zu konkreten Maßnahmen, die der NATO im Februar 2010 von der EU übermittelt wurden«. Beim Interparlamentarischen Treffen des Europäischen Parlaments zog es Anders Fogh Rasmussen vor, die Frage nach den konkreten Inhalten dieser Empfehlungen zu ignorieren.

Dennoch ist klar, daß vor allem der zivil-militärischen Zusammenarbeit (im NATO-Jargon: Comprehensive Approach) im neuen Strategischen Konzept eine prominente Rolle eingeräumt werden wird. Hierfür will die NATO vor allem auf eine verstärkte Nutzung der »zivilen« EU-Kapazitäten setzen. Schon heute findet eine solche zivil-militärische NATO-EU-Kooperation statt. So arbeiten die »zivile« EU-Mission EULEX und die NATO-Truppe KFOR Hand in Hand bei der Aufstandsbekämpfung im Kosovo zusammen. Auch in Afghanistan baut die EU mit ihrer EUPOL-Mission sowie der paramilitärischen European Gendarmerie Force in enger Zusammenarbeit mit der NATO die afghanische Armee und Polizei auf. Diese Instrumentalisierung »ziviler« Fähigkeiten zur Durchsetzung strategischer und ökonomischer Interessen droht nun, mit dem neuen Strategischen Konzept der NATO weiter forciert zu werden.

Schließlich soll im neuen Strategischen Konzept u. a. der militärischen Rohstoffsicherung noch mehr Bedeutung zugemessen werden. Auch hier ist man bereits einträchtig mit der Umsetzung beschäftigt, etwa mit den Kriegsschiffen, die im Rahmen der NATO (Operation Ocean Shield) und der Europäischen Union (Operation ATALANTA) verarmte Fischer (»Piraten«) vor der Küste Somalias bekämpfen. Auf die Nachfrage zur Bewertung des Erfolges der Einsätze, die entlang einer der wichtigsten (Öl-)Schiffahrtsrouten der Welt stattfinden, antwortete Ton van Osch, Chef des EU-Militärstabes, bei der Sitzung des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments Anfang der Woche: »Wenn wir nichts tun, dann werden die Handelsrouten nicht gesichert, dann werden die Preise steigen und die Industrie wird Schwierigkeiten haben.« Hieraus wird deutlich, die Europäische Union agiert nicht alternativ, sondern ergänzend zur NATO, wodurch eine – im Wortsinne – zivile EU-Außenpolitik in immer weitere Ferne rückt. Ebenso wird klar, welchen Interessen diese Einsätze dienen.

* Unsere Autorin ist Mitglied der Fraktion Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke des Europäischen Parlaments

Aus: junge Welt, 18. November 2010



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