Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters,
Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.
Alle wollen in die NATO - nun auch die Schweiz?
Schweizer Armee strebt "Interoperabilität" mit der NATO an
Die 51-jährige eiserne Lady namens NATO muss eine unwiderstehliche Ausstrahlungskraft besitzen. Erst liegen ihr reihenweise die mittel- und osteuropäischen Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts zu Füßen, dann möchte die einst vorwiegend zivile Europäische Union so werden wie die NATO, und nun will sogar die älteste und neutralste europäische Demokratie ihre Streitkräfte NATO-kompatibel machen, um an NATO-geleiteten Militäreinsätzen teilnehmen zu können. Ob das die Schweizer Bevölkerung schon gewusst hat, als sie sich vor zwei Wochen in einer Volksabstimmung gegen eine weitere Kürzung des Militärhaushalts aussprach?
Der folgende Bericht der "Weltwoche" erläutert, worum es geht.
Vorauseilend gehorsam / Erstmals publik: Das will die Nato von der
Schweiz
Von Martin Furrer
Die Schweizer Armee wird durchgehend Nato-kompatibel
strukturiert und ausgerüstet. Im Rahmen der Nato-Partnerschaft für
den Frieden (PfP) hat das Departement für Verteidigung,
Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) 33 Zielvereinbarungen
abgeschlossen. Damit will es ab 2003 bei Nato-geführten,
friedensunterstützenden Operationen optimal mitwirken können.
Der Entwurf dieser «Partnerschafts-Ziele», welcher der
«Weltwoche» vorliegt, belegt erstmals: Die Schweizer Armee
strebt eine vollumfängliche «mentale, strukturelle und materielle
Interoperabilität» mit dem nordatlantischen Verteidigungsbündnis
an.
Die Zielvereinbarungen umfassen nicht nur die Verbesserung der
Englischkenntnisse sowie die Angleichung der Verbands- und
Kommandostrukturen. Auch materiell wird die Anpassung an Nato-
Normen vollzogen. In Vorbereitung sind unter anderem: ein Nato-
kompatibles «Treibstoffkonzept» und entsprechende
«Betankungsvorrichtungen bei Landfahrzeugen». Ausserdem:
«Vorbereitung individueller Schutzmaterialien und -massnahmen»,
um in einem durch atomare, biologische und chemische Waffen
gefährdeten Umfeld agieren zu können; die «Einführung von
statischen und mobilen Überwachungssystemen»; die Anschaffung
von Brückenmaterial «zur Erhöhung der Kapazität, Hindernisse und
Flüsse zu überbrücken»; die «Entwicklung von Minensuch- und
Minenräumkapazitäten». Ferner: «Anpassung und Aufbau eines
modernen, teilweise digitalisierten Kommunikationssystems»
sowie die Errichtung eines «mobilen nationalen Kommunikations-
und Führungssystems für Flugplätze».
Die Zielvereinbarungen sind
völkerrechtlich unverbindlich. Die Nato wird auch keine
Inspektionen durchführen, um deren Umsetzung zu überprüfen.
Das Erreichen der Ziele liege aber «in unserem Interesse», hält das
VBS-Generalsekretariat fest. Denn wenn die Schweiz ihr Konzept
der «Sicherheit durch Kooperation» verwirklichen will, muss sie die
technischen Voraussetzungen dafür schaffen. Die Adaption der
Nato-Normen ist eine logische Konsequenz der politisch
legitimierten Neuausrichtung der Sicherheitspolitik. Umso mehr
erstaunt, dass das Verteidigungsdepartement informationspolitisch
in der Defensive bleibt und Geheimniskrämerei um den Katalog der
Zielvereinbarungen betrieben hat und weiterhin betreibt.
Das VBS will mit den Details zu den Nato-Zielvorgaben partout
nicht herausrücken. So schürt man Misstrauen: Was zum Beispiel
verbirgt sich hinter der geplanten «Einführung von statischen und
mobilen Überwachungssystemen»?
Die Fragen sind gestellt. Beantworten muss sie das VBS.
Aus: Weltwoche, Ausgabe Nr. 50/00, 14. Dezember 2000
Weitere Beiträge zur NATO
Zu anderen Themen
Zurück zur Homepage