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NATO erwartet von Russland Kooperation in Afghanistan

Emsige Verhandlungen vor dem Gipfel in Lissabon

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Russland und die NATO wollen während des bevorstehenden Gipfels in Lissabon eine neue Vereinbarung über Zusammenarbeit in Afghanistan abschließen. Über Details wird offenbar bis zur letzten Minute verhandelt.

Russische Medien melden unter Berufung auf informierte Kreise, die NATO erwarte von Moskau eine Genehmigung für den Transport militärischer Güter über russisches Gebiet. Bisher dürfen Kampftechnik, Treibstoff und Truppen Russlands Grenze nicht passieren. Geplant sei auch eine Erweiterung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Drogenanbau und -schmuggel. Russland, klagt dessen NATO-Botschafter Dmitri Rogosin, leide am stärksten unter geschmuggeltem Rauschgift aus Afghanistan und sei an einer Kooperation mit dort stationierten Kräften der Allianz interessiert.

Die russische Drogenbehörde rechnet derzeit mit über zwei Millionen Abhängigen im Lande. Die Sucht habe »epidemische Ausmaße« angenommen und bedrohe die nationale Sicherheit, klagt Behördenchef Viktor Iwanow, der zugleich harte Kritik am Westen übt, dem in Afghanistan offenbar die Prioritäten verrutscht seien. Seit dem Einmarsch der NATO 2001 hätte sich die Mohnanbaufläche nicht verringert, sondern um ein Mehrfaches vergrößert.

Zu einer Vereinbarung über den Transport militärischer Güter über Russland äußerte sich Botschafter Rogosin indessen skeptisch. Es gehe derzeit vor allem um eine Ausweitung des Transits nichtmilitärischer Güter und um Rückführung. Die USA wollen die Operation am Hindukusch 2014 beenden, Afghanistan soll dann die volle Verantwortung für seine Sicherheit übernehmen. Russische Experten halten den Termin für illusorisch.

Moskau werde beim Transit von der NATO auch Garantien dafür verlangen, dass der Inhalt der Container mit den Begleitpapieren übereinstimmt, sagte Rogosin weiter. Zoll und Geheimdienste müssten Zugang zu den Transporten haben. Der Transit werde nach den Tarifen abgewickelt, die Russlands Staatsbahn für ausländische Kunden berechne. Dabei gebe es allerdings Verhandlungsspielraum. Möglicherweise hat Rogosin neben kommerziellen Aspekten auch politische Zugeständnisse im Sinn hat, drunter ergebnisorientierte Verhandlungen über den Entwurf des Europäischen Sicherheitsvertrags von Präsident Dmitri Medwedjew, der aus Sicht der USA und osteuropäischer NATO-Staaten die Allianz schwächen würde. Aber auch der Chef des außenpolitischen Ausschusses der Duma, Konstantin Kossatschow, hielt es für möglich, dass Moskau der NATO in Afghanistan unterschiedlichste Hilfe gewährt, deren Formate Verhandlungssache seien und verbindlich geregelt werden müssten.

Patrioten wie Leonid Iwaschow, bis zur NATO-Operation gegen Serbien 1999 im Verteidigungsministerium für militärisch-technische Zusammenarbeit zuständig und derzeit Präsident der Akademie für geopolitische Probleme, warnen dagegen: Zusammenarbeit mit der NATO habe Russland nie Nutzen gebracht, sondern die Beziehungen zu Iran und mehreren arabischen Staaten belastet. Weiterer Ärger mit der islamischen Welt drohe, wenn Moskau sich in Afghanistan auf Kooperation mit dem Westen einlässt. Zumal die NATO das Angebot nur machte, um ihre Präsenz an Russlands Grenzen auszudehnen. »Was unsere Staatsführung derzeit tut, hat antirussischen Charakter und schafft neue Bedrohungen für uns«, sagte der General a.D. bei Radio »Echo Moskwy«.

* Aus: Neues Deutschland, 18. November 2010


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