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"Neue" NATO: völkerrechtlich, verfassungsrechtlich und politisch unhaltbar

Stellungnahmen aus der Friedensbewegung zum NATO-Gipfel in Prag

Im Folgenden dokumentieren wir
  1. eine Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag zu den Ergebnisses des Prager NATO-Gipfels,
  2. eine Presseerklärung des "Gesellschaft Kutur des Friedens" zu demselben Thema und
  3. eine Presseerklärung der DFG-VK


Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • "Neue" NATO: völkerrechtlich, verfassungsrechtlich und politisch unhaltbar
  • NATO auflösen
  • Bundesregierung darf sich in keiner Form am Irak-Krieg beteiligen
  • Friedensbewegung wird ihre Aktionen verstärken
Die Ergebnisse des NATO-Gipfels in Prag geben nach Auffassung des Bundesausschusses Friedensratschlag zu äußerster Besorgnis Anlass. Was dort über die neuen Aufgaben der NATO beschlossen wurde, sprengt vollkommen den Rahmen der bisherigen Allianz und verstößt gegen Art. 5 des Nordatlantikvertrags von 1949. Darin war die NATO eindeutig und ausschließlich als Verteidigungsbündnis konzipiert (vgl. Präambel und Art. 5 des NATO-Vertrags). Jetzt soll mit dem Aufbau der NATO Response Force der Charakter der NATO geändert werden. Diese schnelle Eingreiftruppe mit 21.000 Elitesoldaten soll schnell verfügbar, verlegbar und einsatzbereit sein, "überall wo sie gebraucht wird" (Ziffer 4 der Prager Gipfel-Erlärung).

Diese "Transformation der NATO" wirft politische, völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Fragen auf:
  • Politisch folgt sie der neuen "Nationalen Sicherheitsstrategie", die vor zwei Monaten von US-Präsident Bush verkündet wurde. Darin wird das Recht auf "präventive" Angriffskriege gegen jeden Staat der Welt reklamiert, der im dringenden Verdacht steht, den interntionalen Terrorismus zu unterstützen oder Massenvernichtungswaffen herzustellen bzw. weiterzugeben. Sollte diese Strategie, die als "Bush-Doktrin" in die Geschichte eingehen wird, Schule machen, kann sie die Welt in einen chaotischen Zustand politischer Willkür und Instabilität stürzen.
  • Völkerrechtlich bedeutet diese Strategie, würde sie zum allgemeinen Prinzip erhoben, einen Rückfall in die Zeit vor dem Völkerbund, vor dem Kellogg-Pakt 1928 (Ächtung des Krieges) und vor der Charta der Vereinten Nationen (1945), in der den Staaten ein striktes Gewaltverbot auferlegt wurde (einzige Ausnahme: Selbstverteidigung nach Art. 51). Ein ganzes Jahrhundert der Entwicklung eines modernen zivilisierten Völkerrechts wäre umsonst gewesen.
  • Verfassungsrechtlich ist eine solche Entwicklung ebenfalls nicht hinnehmbar. Die Bundesrepublik hat den Nordatlantikvertrag 1955 ratifiziert und ist damit dem Geist und Buchstaben nach einem reinen Verteidigungsbündnis beigetreten. Ändert die NATO ihre Zielbestimmung so fundamental wie jetzt in Prag, müsste sich dies auch in einer Änderung des NATO-Vertrags niederschlagen. Eine solche Änderung müsste vom Deutschen Bundestag ratifiziert werden. Doch davon abgesehen verbietet Art. 26 des Grundgesetzes jegliche Handlung, die geeignet ist, einen Angriffskrieg vorzubereiten, die Art. 87a und 115a GG beschränken die Bundeswehr darüber hinaus auf die Territorialverteidigung einschließlich der Bündnisverteidigung.
Der Bundesausschuss Friedensratschlag fordert Bundesregierung und Bundestag auf, eine gesellschaftliche Diskussion über Ziel, Aufgabe, Umfang und Struktur der Bundeswehr und der NATO zu initiieren. Eine zum Interventionsbündnis mutierte NATO ist nicht mehr tolerierbar. Eine NATO zu reinen Verteidigungszwecken wird angesichts der seit dem Ende des Warschauer Pakts veränderten militärischen Sicherheitslage nicht mehr gebraucht. Somit sollte die NATO ersatzlos aufgelöst werden.

Die auf dem NATO-Gipfel verabschiedete Irak-Resolution gemahnt die NATO-Staaten zur Einhaltung der Vorgaben des UN-Sicherheitsrats. Damit ist jeder eigenmächtigen Militäraktion der USA gegen den Irak eine klare Absage erteilt worden. Gleichzeitig sind an die NATO-Staaten und an mehr als dreißig weitere Regierungen Anfragen der USA gestellt worden, in welcher Weise sie einen evtl. Krieg gegen Irak unterstützen könnten. Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer haben sich zur Beantwortung dieser Frage Bedenkzeit erbeten. Dies ist nicht zu verstehen, weil es nur eine Antwort geben kann: Die Bundesregierung hält diesen Krieg für falsch und wird sich nicht daran beteiligen (wiederholte Äußerungen vor und nach der Bundestagswahl). Wenn das heute noch richtig ist, dann darf es auch keine indirekte Unterstützung für den Krieg geben. Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Krieg ist auch ein Verbrechen! Obendrein hat der Bundeskanzler in der gestrigen "Heute"-Sendung (21.11.) signalisiert, dass er gegen die Nutzung deutschen Luftraums für US-Militärmaschinen im Falle eines Krieges keine Einwände erheben könne. Zu befürchten ist, dass die Bundesregierung Schritt für Schritt von ihrem Wahlversprechen abrückt und am Ende den US-Krieg gegen Irak zumindest logistisch und durch Entlastungsmaßnahmen auf anderen Konfliktschauplätzen (Afghanistan, Balkan) tatkräftig unterstützt.

Die Friedensbewegung wird daher ihre Aktivitäten gegen den drohenden Krieg verstärken. Noch klarer als zuvor wird dabei die Forderung an die Bundesregierung gestellt, den US-Krieg weder direkt noch indirekt zu unterstützen. Dies bedeutet vor allem:
  • Sofortiger Abzug der Spürpanzer aus Kuwait.
  • Rückzug der deutschen Marineverbände aus den Gewässern der Golfregion.
  • Keine Überflugsrechte für US-Militärmaschinen.
  • Keine Nutzungsrechte der US-Stützpunkte in Deutschland für den Krieg.
Der Bundesausschuss Friedensratschlag ruft heute schon dazu auf, im ganzen Land vielfältige Aktionen gegen den Krieg und gegen eine deutsche Beteiligung daran vorzubereiten. Sie sollen alle in eine Großkundgebung am 15. Februar in Berlin münden. An diesem Tag, so hat das Europäische Sozialforum in Florenz beschlossen, sollen in allen europäischen Hauptstädten Millionen von Menschen gegen den Krieg demonstrieren.

Am 7. und 8. Dezember werden sich viele Friedensinitiativen und -organisationen anlässlich des "Friedenspolitischen Ratschlags" in Kassel treffen und gemeinsame Schritte verabreden.

Kassel, den 22. November 2002
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Dr. Peter Strutynski



Pressemeldung
22. November 2002


Offener Brief an Bundeskanzler Gerhard Schröder:
Gesellschaft Kultur des Friedens fordert von der Bundesregierung eine aktive Friedenspolitik anstatt passiver Kriegsbeteiligung


Tübingen. Die Gesellschaft Kultur des Friedens (GKF) fordert in einem offenen Brief an Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joseph Fischer in der Irak-Krise eine aktive Friedenspolitik zu entwickeln anstatt sich "passiv an einem Krieg zu beteiligen". Sie reagiert damit auf Äußerungen des deutschen Außenministers, der auf dem Nato-Gipfel in Prag Überflugrechte und die Nutzung deutscher Luftwaffenstützpunkte im Falle eines Irak-Krieges zugesagt hat. Damit sei zu befürchten, daß der Bundeskanzler sein zentrales Wahlversprechen breche, daß sich Deutschland nicht an einem Krieg gegen den Irak beteiligen werde, so der GKF-Vorsitzende Henning Zierock.

Anstatt Kriegspläne zu diskutieren, müsse die Bundesregierung eine Politik der Verständigung gegenüber der irakischen Bevölkerung einleiten, die seit mehr als 12 Jahren an den Folgen des letzten Golfkrieges, des Embargos und der Isolation leide. Die Menschen im Irak bräuchten kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Austausch. Als ersten Schritt fordert die GKF die Wiederöffnung der deutschen Botschaft in Bagdad. Dies könne durch eine "Diplomatie von unten" begleitet werden, z.B. durch Städteverbindungen zwischen deutschen und irakischen Kommunen, wie es die Stadt Heidelberg bereits mit Mossul praktiziere. Solche Kontakte unterhalb der Regierungsebene seien möglich und könnten die Machthaberpolitik im Irak überwinden helfen.

Die Tübinger GKF, die bereits vor dem letzten Golfkrieg 1991 an einem Friedenscamp in Bagdad teilgenommen hatte, kündigt für den Jahreswechsel eine Internationale Friedensdelegation mit verschiedenen Persönlichkeiten in den Irak an. Unter anderem habe bereits der Liedermacher Konstantin Wecker seine Teilnahme zugesagt. Bei einem Konzert Weckers in Heidelberg wurden bereits mehrere hundert Unterschriften für die Öffnung der Botschaften in Bagdad gesammelt.

Weitere öffentliche Veranstaltungen über die Städteverbindung Heidelberg-Mossul sowie mit dem ehem. UN-Koordinator für humanitäre Hilfe im Irak, Hans von Sponeck, werden in Tübingen und Stuttgart organisiert. Langfristig arbeite die GKF an einem "Solar for Peace" Programm, das zur Überwindung der Kriegsursache Öl beitragen solle.



-PRESSEINFORMATION Nr. 37/02-

Neue Angriffstruppe der Nato:
Kriegserklärung an den Rest der Welt


"Die Beschlüsse auf dem Nato-Gipfel zeigen, dass eine friedliche Welt mit der Nato nicht zu haben ist und von dieser offenbar gar nicht gewollt wird", bilanziert Erwin Eisenhardt, Bundessprecher der DFG-VK, das heute zu Ende gehende Gipfeltreffen der Nato-Staaten in Prag. Insbesondere der Beschluss zur Aufstellung einer Blitzkriegs-Truppe von 21.000 Mann, die stets abrufbar ist, verdeutliche den Anspruch der Nato-Staaten, sich als Herren der Welt zu gerieren. "Zwar ist in sämtlichen Beschlüssen stets von ´Sicherheit´ die Rede, doch die Sicherheit, die sie meinen, ist die Sicherheit, den Rest der Welt unter Androhung von Krieg beherrschen zu können", erklärt Eisenhardt.

Im Namen des Kampfes gegen den Terror mit nicht weniger terroristischen Methoden vorzugehen, und nichts anderes bedeute Krieg, sei absurd und sinnlos. "Die Kriege, welche nun unter Verletzung des Völkerrechts zahlreichen Entwicklungsländern angedroht werden, zementieren die bestehenden, ungerechten Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse und garantieren so die Reproduktion von Gewalt", erklärt der DFG-VK-Bundessprecher.

Scharfe Kritik äußert die DFG-VK auch am Auftreten von Bundeskanzler Gerhard Schröder in Prag: Die Ablehnung eines Krieges gegen den Irak, welche die Bundesregierung vor den Wahlen noch verkündete, schmelze zusehends dahin. Wenn es Schröder mit seinem Widerstand gegen diesen Krieg ernst wäre, hätte er das in Prag auch öffentlich zeigen müssen, meint Eisenhardt. "Stattdessen hat Schröder der Nato-Erklärung zum Irak zugestimmt, die in ihrer Diktion keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass der Irak im Visier der Nato-Geschütze steht". Die DFG-VK fordert die Bundesregierung dazu auf, die US-Anfrage nach Unterstützung des Krieges in allen Punkten abzulehnen und die ABC-Spürpanzer in Kuwait abzuziehen. Alles andere, auch die Gewährung von Überflugrechten für Nato-Bomber auf dem Weg zum Irak, wäre eine Unterstützung des dritten Golfkrieges.

An der beschlossenen "Schnellen Eingreiftruppe" solle sich die Bundesrepublik nicht beteiligen. Stattdessen, so Eisenhardt, müssen endlich die wirklichen Aufgaben angegangen werden: "Der nachhaltige Abbau des Rüstungsetats und die verstärkte Förderung von Methoden der nichtmilitärischen Konfliktbearbeitung - Schritte zur Abrüstung statt zum Krieg". Die DFG-VK hat hierzu konkrete Vorschläge entwickelt (http://www.schritte-zur-abruestung.de).

Frank Brendle
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit


Weitere Beiträge zur NATO

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