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Der Bundestag debattiert über die NATO - Die Linke demonstriert

Bundestagspräsident: "Diese Mätzchen haben im Parlamentarismus überhaupt nichts zu suchen"

Am 26. März 2009 gab Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag eine Regierungserklärung zum bevorstehenden NATO-Jubiläumsgipfel ab. Dabei kam es zu einigen Protesten im Plenarsaal, worüber die folgenden Artikel Auskunft geben.
Die Regierungserklärung und die sich anschließende Debatte haben wir hier dokumentiert: Jürgen Trittin: "Wir hören heute nicht mehr bots ...".
Und hier geht es zu einer ersten kritischen Stellungnahme aus der Friedensbewegung: "Die NATO ist gefährlich ...".


Friedensfahnen im Bundestag

Von Rüdiger Göbel *

Mit Blick auf den NATO-Gipfel in der kommenden Woche drängen Polizisten in Strasbourg Anwohner, ihre Friedensfahnen wieder abzuhängen (jW berichtete). Im Bundestag sind Saaldiener für die Beseitigung von antimilitaristischen Symbolen zuständig. Am Donnerstag hatten sie wieder zu tun. Mehrere Abgeordnete der Linksfraktion nutzten die Debatte über die künftige NATO-Strategie zu einer Protestaktion gegen das Militärbündnis und den bevorstehenden Jubiläumsgipfel. »No NATO – No War« stand auf ihren Schildern. Regenbogenfahnen sorgten für etwas Farbe im Plenarsaal. Zuvor hatte die Linke-Parlamentarierin Heike Hänsel gegen die massiven Beschränkungen bei den geplanten Gipfelprotesten in Baden-Baden, Kehl und Strasbourg protestiert. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erteilte Hänsel einen Ordnungsruf und raunzte: »Jetzt räumen Sie erst einmal den ganzen Krempel weg. Diese Mätzchen haben im Parlamentarismus überhaupt nichts zu suchen.«

Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine warf der NATO vor, zu einem Interventionsbündnis geworden zu sein, das völkerrechtswidrige Kriege führe. Namens seiner Fraktion forderte den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Grünen-Politiker Jürgen Trittin bekundete dagegen nachdrücklich, daß seine Partei Frieden mit dem Kriegspakt und seinen »Out-of-area«-Einsätzen geschlossen hat. Den Strategiegipfel zum 60. Gründungstag der NATO begrüßte er ausdrücklich als »wichtigen Event«. Die partielle Sperrung der deutsch-französischen Grenze beklagte Trittin als »falsche Begleitmusik«.

Zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Regierungserklärung zur NATO abgegeben. Die Protestierer mahnte sie, dem Militärpakt Dank zu zollen: »Niemand ist so klar und verläßlich für Frieden und Freiheit eingetreten wie die ­NATO.« Ohne sie und ihren Jahrzehnte langen Schutz für die Bundesrepublik wären solche Demonstrationen heute überhaupt nicht möglich.

* Aus: junge Welt, 27. März 2009


Friedensfahnen im Bundestag

LINKE protestierte bei Debatte zu NATO-Gipfel gegen Beschneidung des Demonstrationsrechts

Von Ingolf Bossenz **

60 Jahre NATO – die Geburtstagssitzung des Deutschen Bundestages im dürftig gefüllten Plenum geriet vor allem zur Huldigung des »erfolgreichsten Bündnisses aller Zeiten« (FDP-Chef Guido Westerwelle). Die LINKE setzte dem Militärgrau der Debatte ein paar bunte Tupfer auf.

Sogar Immanuel Kant wurde bemüht. »Der Friede muss gestiftet werden, er kommt nicht von selber«, zitierte Karl Lamers (CDU) aus der Schrift »Zum ewigen Frieden« von 1795. Dass das Gebiet um die Geburtsstadt des Philosophen, das frühere Königsberg und heutige russische Kaliningrad, von NATO-Staaten umgeben ist, passt zu Lamers' Bemerkung, der Pakt müsse »Russland die roten Linien aufzeigen, die es nicht ohne Konsequenzen überschreiten darf«.

Zu derlei Klartext hatte sich die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung zum NATO-Gipfel am 3. und 4. April nicht hinreißen lassen. Ihr zentrales Thema, der Einsatz von NATO und Bundeswehr in Afghanistan, ließ denn auch jede Konkretheit vermissen. Den Satz »Mit unseren bisherigen Leistungen können wir Deutschen uns wirklich im Bündnis sehen lassen« interpretierten Agenturen flugs als Signal, die Regierungschefin werde sich auf dem Jubiläumstreffen in Baden-Baden, Kehl und Straßburg Forderungen der US-Regierung von Präsident Barack Obama nach einem größeren Engagement in Afghanistan »nicht ohne Weiteres beugen«, wie dpa schrieb. Vor den Toten in Afghanistan, so Merkel weiter, »verneigen wir uns«. Vor den toten deutschen Soldaten, wohlgemerkt.

Weshalb Oskar Lafontaine diesen »Nebensatz« der Kanzlerin zum Anlass nahm, auf die über 2000 allein im vergangenen Jahr in Afghanistan getöteten Zivilisten zu verweisen. 40 Prozent dieser Opfer, so der Linksfraktionschef, kämen auf das Konto der NATO und ihrer Verbündeten. Lafontaine forderte im Namen seiner Fraktion den Rückzug der Truppen aus Afghanistan und nannte die »humanitäre Intervention« einen der schlimmsten Verschleierungsbegriffe. Dieser habe bereits im Jugoslawienkrieg der NATO 1999 für die Rechtfertigung Tausender Toter herhalten müssen. Den Euphemismen vom »Wertebündnis« und der »Präventionsgemeinschaft« setzte der Linkspolitiker sein Verdikt vom »Interventionsbündnis« entgegen, »das völkerrechtswidrige Kriege führt« und zudem in Russland »Einkreisungsängste« wieder aufleben lasse.

Letzteres war auch Kritikpunkt von Jürgen Trittin (Grüne), der die »Verdienste« des Paktes durchaus würdigte: Die NATO habe »unsere Sicherheit gewährleistet« und dazu beigetragen, dass es nicht zu einer »Renationalisierung der Sicherheitspolitik« nach dem Kalten Krieg gekommen sei. Allerdings habe Merkel »keine neue Aufgabenbeschreibung« der Allianz vorgenommen. Dazu gehöre, endlich den 1999 angepassten Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) zu ratifizieren. Dieser legt die Obergrenzen für russische Truppen und NATO-Truppen fest. Trittin monierte zudem die von Merkel postulierte Atomwaffenpolitik. Sie hatte das Ziel einer »vollständigen Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen« auch künftig mit einer »nuklearen Teilhabe« Deutschlands verbunden. Dies, so Trittin, erwecke den Eindruck, der Weg bleibe das Ziel.

Den Hinweis der Kanzlerin und anderer Redner auf die NATO als Garant der Meinungsfreiheit auch bei Protesten gegen den Pakt selbst konterte Trittin mit dem Hinweis auf die deutsch-französische Grenze. Diese wurde im Gipfelgebiet erstmals seit Jahrzehnten de facto geschlossen. Heike Hänsel (LINKE) verwies im Plenum auf das skandalöse Vorgehen der französischen Polizei in Straßburg, die PACE-Friedensfahnen abnehmen ließ. Aus Protest gegen diese und andere Beschränkungen bei den geplanten Protestaktionen entrollten Abgeordnete der LINKEN im Plenum ebensolche Fahnen und hielten Schilder hoch, die den Schriftzug »NO NATO NO WAR« bildeten. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erteilte für »diese Mätzchen«, die »im Parlamentarismus überhaupt nichts zu suchen« hätten, einen Ordnungsruf.

Der SPD-Abgeordnete Rolf Mützenich hatte in seinem Redebeitrag angeregt, mit Blick auf die Zukunft der NATO auch das Konzept des nuklearen Ersteinsatzes zu diskutieren. Doch an dieser Stelle ging die Parlamentsdebatte zu Merkels Regierungserklärung leider schon zu Ende.

** Aus: Neues Deutschland, 27. März 2009


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