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Kosovo: Eine Kriegslüge nach der anderen entlarvt - doch Berlin schweigt

Interview mit OSZE-Wimmer (CDU), STERN-Artikel und Aktuelle Stunde im Bundestag

Knapp zwei Jahre nach Beginn des NATO-Kriegs fällt das Lügengebäude der Bundesregierung zusehends in sich zusammen. Die Medien, so scheint es, wollen Wiedergutmachung leisten für die (fast) kritiklose Übernahme der Regierungs- und NATO-Propaganda zur Begründung des "humanitären" Einsatzes im März 1999. In den letzten Wochen gab es geradezu eine Flut neuer Veröffentlichungen zum NATO-Krieg, die im Wesentlichen den Standpunkt der Kriegsgegner jener Tage bestätigen. Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das der BT-Abgeordnete Willy Wimmer (CDU), damals Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, am 10. Februar 2001 dem Deutschlandradio gab. Zum zweiten geben wir einen beachtlichen Artikel aus der Illustrierten Stern wieder. Und zum dritten veröffentlichen wir eine Presseerklärung des BT-Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, der sich über die Weigerung der Bundestags-Mehrheit beschwert, über all das angemessen zu diskutieren.

DeutschlandRadio, 10. Februar 2001: Interview am Morgen
Petra Ensminger im Gespräch mit Willy Wimmer, Ehemaliger Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE

Petra Ensminger: Um den Kosovo-Krieg gab es von Anfang an viel Diskussionen. Befürworter und Gegner stritten über das Für und Wider eines NATO-Einsatzes, darüber, ob man mit einem Bombardement tatsächlich die Flüchtlinge schützen, Frieden erzwingen könne. Knapp zwei Jahre nach den ersten NATO-Luftangriffen ist diese Diskussion noch immer nicht zu Ende. Vor allem die Hintergründe des angeblichen Massakers an albanischen Zivilisten im Kosovodorf Raczak ist nicht eindeutig geklärt und bietet weiterhin Anlass zu Spekulationen. Die Berichte vom Massenmord durch serbische Sicherheitskräfte waren damals einer der Auslöser der NATO-Luftangeriffe. Doch eine Gruppe finnischer Gerichtsmediziner legte unlängst einen wissenschaftlichen Abschlussbericht vor, in dem es hieß, man habe nicht feststellen können, dass die Opfer tatsächlich aus dem Dorf stammten. Dass es sich nicht um ein Massaker gehandelt hat, ist damit zwar nicht bewiesen, doch Zweifel an den von NATO und Bundesverteidigungsministerium vorgelegten Fakten werden weiter genährt. Nun hieß es in einem Bericht der ARD, das Verteidigungsministerium habe während des Kosovo-Krieges Ergebnisse grob verfälscht. Das Ministerium weist solche Vorwürfe jedoch zurück. Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem CDU-Abgeordneten Willy Wimmer, früherer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und während des Kosovo-Krieges Vizepräsident der parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Einen schönen guten Morgen Herr Wimmer.

Willy Wimmer: Guten Morgen Frau Ensminger.

Petra Ensminger: Die in der ARD-Sendung - Die Story "Es begann mit einer Lüge" - erhobenen Vorwürfe der Manipulation haben im Verteidigungsministerium nicht sonderlich viel Staub aufgewirbelt. Wundert Sie das?

Willy Wimmer: Eigentlich nicht, denn das waren ja auch die Kräfte, die uns - wenn man diesen ARD-Bericht als zutreffend unterstellt - vor und nach dem Konflikt um im Krieg gegen Jugoslawien nach Kräften manipuliert haben. Und deswegen wundert mich nicht, dass diejenigen, die das gemacht haben, sich jetzt auch zugegebenermaßen ruhig verhalten.

Petra Ensminger: Sie haben sich damals gegen die Angriffe ausgesprochen, und ich nehme an, Sie fühlen sich jetzt durch solche Vorwürfe bestätigt. Worin liegt die Bestätigung genau?

Willy Wimmer: Das, was wir mit dem Krieg gegen Jugoslawien sehen müssen, ist etwas, was uns vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts umtreiben muss. Wenn man sich den puren Krieg ansieht, handelt es sich nicht um mehr als um einen ordinären Angriffskrieg, wie er im vergangenen Jahrhundert - von uns jedenfalls - zweimal auch schon angezettelt worden ist. Und damit es nicht nur ein purer ordinärer Angriffskrieg sein durfte, hat man ja eine Überhöhung gefunden im Sinne des Vorgehens gegen eine erwartete oder tatsächliche humanitäre Katastrophe. Das, was dieser Bericht deutlich macht, ist, dass wir von einer humanitären Katastrophe nicht nur weit entfernt waren und sie nach diesem Bericht gar nicht vorgelegen hat, sondern sie herbeigeredet wurde, ohne tatsächlich vorhanden zu sein. Das heißt: Die moralische Überhöhung, die ja den einzigen Zweck hatte, auch den Rechtsverstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen, das Völkerrecht, das Grundgesetz und alle innerstaatlichen Gesetze zu überdecken, das ist präsent. Nach diesem Bericht ist das alles als etwas entlarvt, was man normalerweise als Manipulation und noch Schlimmeres bezeichnet. Und deswegen ist man auch so ruhig, und deswegen will man auch nicht, dass eine öffentliche Diskussion stattfindet. Und damals haben viele mitgemacht, und deswegen gibt es auch keine öffentliche Diskussion.

Petra Ensminger: Sie haben die humanitäre Krise angesprochen, die ja uns als Grund für die Bombardements angegeben wurde. Die US-Diplomatin Norma Brown wird in dem Beitrag zitiert, es habe keine humanitäre Krise, sondern humanitäre Probleme gegeben, und viele Vertriebene seien durch den Bürgerkrieg zwischen serbischen Soldaten und UCK vertrieben worden. Wer zieht denn da wo die Grenze?

Willy Wimmer: Also, wir haben ja mehrere Dinge, die wir im Zusammenhang mit deutschen Diplomaten, deutschen Soldaten und internationalen Organisationen feststellen können. Alle Berichte, die das Verteidigungsministerium erstellt hat über die Abläufe vor dem Krieg, sind in der Regel sehr korrekt. Sie sind ja auch dem Parlament zugegangen, und deswegen sind sie ja bis heute einsehbar. Das, was die Berichte der deutschen Botschaft in Belgrad ausmacht, das ist alles nachzulesen, wird nur durch das Außenministerium unter Verschluss gehalten. Denn die öffentlichen Erklärungen, die der Außenminister abgegeben hat, die werden von diesen Berichten der deutschen Botschaft in Belgrad überhaupt nicht gedeckt.

Petra Ensminger: Aber es wurden doch Menschen vertrieben, das ist doch Tatsache.

Willy Wimmer: Ja, das ist richtig, aber die OSZE-Mission, die an Ort und Stelle vorhanden war, hat ja auch Berichte bis zum letzten Tage, bevor sie ausziehen musste aus dem Kosovo, veröffentlicht. Und damit ist eines deutlich geworden: Wir haben eine schwierige, menschenrechtlich gravierende Situation im Kosovo gehabt im Zusammenhang mit einer bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung. Und die OSZE-Mission, die dann schmachvoll ausziehen musste, hat - solange sie an Ort und Stelle war - dazu beigetragen, dass die Dinge sich beruhigten und dass sie auch einer politischen Lösung nähergebracht werden konnten. Da man die nicht wollte, musste die Mission ausziehen und musste im Prinzip ein Scheitern deklarieren. Und das ist etwas, was ich im Prinzip nicht verstehen kann, dass in einer demokratischen Gesellschaft so etwas durchgelassen wird. Man wollte den Krieg, das hat der Bundeskanzler im Oktober 1998 bereits dem Außenminister gesagt, sonst wäre er nicht Außenminister geworden. Das ist alles im SPIEGEL nachzulesen. Und das sind Dinge, die wirklich hier den Verdacht mehr als verhärten, dass manipuliert worden ist und dass wir vorgeführt worden sind.

Petra Ensminger: Aber Herr Wimmer, die Regierungskoalition hatte damals im Kosovo-Konflikt schwer zu tragen. Vor allem die Grünen hatten Mühe, bei ihren Wählern Verständnis zu erlangen. Warum also sollte die Regierung so eine 'Machenschaft' mittragen, wenn es denn eine war?

Willy Wimmer: Sie hat sie nicht mitgetragen, sie hat sie organisiert. Und wer sich zurückerinnert und zwei Jahre zurückdenkt, der weiß, dass im Kern diese Aussagen - "Wir müssen ein neues Auschwitz verhindern" und ähnliches - auch die Widerstände in allen politischen Parteien im Deutschen Bundestag niedergebügelt haben; nicht nur die Dinge, die sich in der grünen oder der sozialdemokratischen Partei abgespielt haben, sondern auch bei uns. Das sind alles Ding, wo ich nur sagen kann: Wo ist denn eigentlich die Konsequenz aus einer andern deutschen Zeit gezogen worden, wo alles nur noch Propaganda war? Als Regierung sind wir jederzeit gehalten - und das gilt auch für die jetzige Bundesregierung -, im Zusammenhang mit einem Krieg, den man führt, nichts anderes zu sagen als die Wahrheit. Man hat in diesem ARD-Bericht gesehen, wie sich der jetzige Bundeskanzler zu Beginn dieses Krieges geäußert hat im Sinne, 'das ist eine Polizeiaktion'. Es war aber ein ausgewachsener Krieg und es war ein Angriff und es war ein Angriffskrieg, der gegen jedes internationale Recht verstieß.

Petra Ensminger: Vielen Dank Herr Wimmer. Das war ein Gespräch mit dem CDU-Abgeordneten Willy Wimmer, ehemaliger Vizepräsident der parlamentarischen Versammlung der OSZE.

In der Ausgabe 8/2001 des Stern kommentiert Arno Luik die ARD-Dokumentation zu den Lügen der rot-grünen Bundesregierung. Auch seine entscheidende Frage: Warum bleibt das alles folgenlos? Sein Kommentar:

Und der Minister starrt und stiert

...
Es gibt sie noch, die Sternstunden im deutschen Fernsehen - zum Beispiel vergangenen Donnerstag. "Die Story" hieß der Film, und es war eine ARD-Dokumentation über den Kosovokrieg: "Am Anfang war die Lüge". Zur Erinnerung: Vor knapp zwei Jahren begann der Kosovokrieg. Die Teilnahme daran war die erste außenpolitische Tat der neuen rot-grünen Bundesregierung. Und es war das erste Mal seit 1939, dass deutsche Soldaten wieder in den Kampf zogen: "Hätte jemand (noch im Jahr 1998) angekündigt", schrieb damals der "SZ"-Journalist Heribert Prantl, "dass ein sozialdemokratischer Kanzler, ein grüner Außenminister und ein sozialdemokratischer Verteidigungsminister den Kampfeinsatz der Bundeswehr gegen einen souveränen Staat befehlen würden, man hätte ihn ins Narrenhaus gebracht." Narrenhaus? Aber dieser Krieg war ja gar kein Krieg. "Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen", erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder am 24. März in bestem Orwell-Deutsch: "Heute Abend hat die Nato mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in Jugoslawien begonnen... Wir führen keinen Krieg." Vier Wochen später, es fielen längst Bomben auf Belgrad, wiederholte Fischer: "Wir führen keinen Krieg, wir leisten Widerstand, verteidigen Menschenrechte, Freiheit und Demokratie."

Ja, war das so? War es ein gerechter Kampf der Guten gegen das Böse? Musste man Milosevic - der ohne Zweifel massiv und brutal gegen die Kosovo-Albaner vorgegangen war - mit Bomben kommen? Ja, sicher, sagte die Regierung, und damit das glaubhaft klang, tischten die Minister ihren Bürgern viele Geschichten auf, zeigten viele Bilder. Und kamen mit Moral, vor allem Moral, die jeden Zweifler als bösen Buben abstempelte. Mit Auschwitz verglich Fischer die serbische Brutalität; er sprach "von der Deportation eines ganzen Volkes mit verbrecherischen Mitteln". Beweise dafür - keine. Scharping sprach von "Völkermord", der "im Gange" sei. Er sprach von "schwangeren Frauen mit aufgeschlitztem Unterleib", von "Konzentrationslagern im Norden von Pristina". Beweise dafür - keine. Oder doch - es gab ja diese Bilder. Zum Beispiel von zwei besonders blutigen Episoden. Sie vor allem dienten als moralische Rechtfertigung für den militärischen Draufschlag: die Massaker von Racak und von Rugovo. Doch beide Massaker, das enthüllten nun mehrere Untersuchungen, haben so nicht stattgefunden, Anzeichen für Massenhinrichtungen waren nicht festzustellen. Im Klartext: Die meisten Geschichten, die erzählt wurden, waren erfunden, die meisten Bilder manipuliert. Fischer und Scharping haben ihre Bürger beschwindelt, belogen und betrogen. Man kann es auch feiner ausdrücken: Sie betrieben eine perfekte Desinformationspolitik. Gut, könnte man nonchalant sagen, im Krieg bleibt als Erstes die Wahrheit auf der Strecke, das war schon immer so. Aber kann man sich mit solchem Zynismus abfinden? Was für eine Bedeutung hat der Kosovokrieg (der bekanntermaßen gegen UN-Recht verstieß und gegen die eigene Verfassung sowieso) für das Selbstverständnis der Nato, die neue Weltordnung? Sind solche Einsätze in Zukunft selbstverständlich, wandelt sich das Verteidigungsbündnis in eine globale Interventionsmacht? Das sind Fragen, über die zu diskutieren ist.

Eine profanere, gleichwohl ebenso wichtige Frage ist: Wie und warum hat die Bundesregierung ihre Bürger so belogen? Und: Warum regt das niemanden auf? Warum blieb die ARD-Sendung bisher folgenlos? Warum muss niemand Konsequenzen ziehen? Wundersames gab es in der Dokumentation "Am Anfang war die Lüge" zu sehen. Man konnte zuschauen, wie ein Minister Märchen erzählt, die physikalische Gesetzmäßigkeiten außer Kraft setzen. Weil er es nicht besser weiß? Weil er es nicht besser wissen will? Wie auch immer: Im Kosovokrieg ließ Scharping eine Broschüre auflegen, in der er detailliert die angeblichen Gräuel der Serben auflistete. Etwa wie tückisch die Serben in einem kleinen Dorf Häuser der Kosovo-Albaner zerstört hätten: "Zunächst stellt man (also die Serben) eine brennende Kerze auf den Dachboden, und dann öffnet man im Keller den Gashahn." Dörfer wurden zerbombt, Häuser gesprengt - das ist unbestritten. Warum aber fühlte Scharping sich gezwungen zu lügen? Das ARD-Team war in jenem Dorf, sprach mit den Bewohnern, keiner hat erlebt, dass auf diese Weise Häuser zerstört wurden. Ein UCK-Kämpfer: "So gerieten unsere Häuser nicht in Brand." Rudolf Scharping wird von der ARD mit den Zweifeln konfrontiert: "Welche Zweifel sind das?" "Dass man im Keller den Gashahn aufdreht und auf dem Dachboden eine Kerze aufstellt. Das funktioniert nicht." "Ja?" "Ja, es funktioniert nicht, weder chemisch, physisch, überhaupt nicht. Das weiß jeder Oberbrandmeister. Das ist also eine Information, die Ihnen zugetragen worden ist, die nicht korrekt ist." "Dann würde ich Ihnen raten, diesen Test nochmals zu machen. Aber nicht mit einem Gashahn im Keller, sondern mit einer Flasche." "Beides funktioniert nicht." "Ja?" Der Minister starrt. Er sitzt da und stiert, indigniert. Die Gesetze der Physik? Propangas ist schwerer als Luft? Warum hat ihm das keiner erzählt?

Eine andere Lüge: Am 27. April 1999 gibt Rudolf Scharping eine Pressekonferenz, und er hält bunte Aufnahmen in die Luft - überall Blut, Tote, Leichen. Das Massaker von Rugovo. "Ich muss mir große Mühe geben", sagt Scharping bei der Präsentation dieser Bilder, "dies in einem Ton zu schildern, der nicht gewissermaßen zur Explosion führt": Es sind schreckliche Bilder, und Scharping weiß, wie sie wirken, dass sie eine hohe emotionale Wucht haben. Sie erschüttern ja ihn, den Minister, zutiefst - sagt er. Er hält die Bilder hoch, weiß, dass diese Aufnahmen schon drei Monate alt sind, dass sie manipuliert sind, nicht zeigen, was sie zeigen sollen. Scharping, der Schauspieler. Ein OSZE-Mitarbeiter war am angeblichen Tatort: der deutsche Polizist Henning Hensch. Und in der ARD-Dokumentation widerspricht er seinem Minister, er habe ihn darauf hingewiesen, dass die Aufnahmen kein Massaker zeigen. Dass die vorgeblich hingerichteten Zivilisten im Gefecht gefallene UCK-Kämpfer sind. Er selbst habe die Toten von verschiedenen Tatorten zusammengetragen. Henning Hensch: "Die Leichen sind von mir und meinen beiden russischen Kollegen abgelegt worden." "Noch nie haben so wenige so viele so gründlich belogen wie im Zusammenhang mit dem Kosovokrieg", sagte der CDU-Abgeordnete Willy Wimmer, der auch lange Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE war, schon vor einem Jahr. Zwar heile, so Wimmer, die Zeit die Wunden: "Doch Gerhard Schröder, Joseph Fischer und Rudolf Scharping dürfen auf das Tröstliche dieses Satzes nicht hoffen. Der Krieg gegen Jugoslawien wird sie so oder so einholen." Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Knapp zwei Jahre nach dem Krieg herrscht immer noch ein merkwürdiger Unwille, sich mit ihm auseinander zu setzen, den Zweifeln, Fragen, Ungereimtheiten nachzugehen. Warum diese Zurückhaltung? Da sind offenkundig Minister, die gelogen haben, immer noch lügen - und keine Konsequenzen ziehen. Dafür aber Kritiker des Krieges abservieren. Zum Beispiel den General Heinz Loquai. Er hat verschiedene Tricksereien der Regierung aufgedeckt, nachgewiesen, dass etwa der "Hufeisenplan" (angeblicher Beweis, dass die Serben lange vor den Bombardierungen "die systematische Vertreibung" der Albaner geplant hätten) eine rein deutsche Erfindung war. Heinz Loquai zieht in der ARD-Dokumentation eine bittere Bilanz: "Man hat in der Vergangenheit der deutschen Generalität oft den Vorwurf gemacht, dass sie dort geschwiegen hat, wo sie etwas hätte sagen sollen. Ich wollte in dieser Sache etwas sagen und Manipulationen und Propaganda nicht als so etwas stehen lassen." Er wurde gefeuert - von der rot-grünen Regierung. Zum Schluss noch ein Satz (er ist ein paar Jahre alt) von Joschka Fischer: "Ich wünsche mir, dass unsere Partei die Kraft hat, dass dort genügend Pazifisten sitzen, um eine andere, friedensbezogenere Außenpolitik ohne Militär machen zu können."
Arno Luik

Die ARD-Dokumentation über die Lügen der rot-grünen Bundesregierung sollte nicht folgenlos bleiben. So hat die PDS-Fraktion eine aktuelle Stunde zum Thema beantragt. Die soll nun stattfinden. Am Freitag-Nachmittag (16. Februar 2001) als letzter Punkt der Tagesordnung, wenn sich die Abgeordneten erfahrungsgemäß fast alle auf dem Heimweg befinden ...
Dazu eine Pressemitteilung von Wolfgang Gehrcke (PDS):


Parlament versteckt Aktuelle Stunde

Die von der PDS-Fraktion beantragte Aktuelle Stunde zur "Haltung der Bundesregierung zu aktuellen Berichten über die Gründe zum Eintritt in den Kosovokrieg" wurde in der Runde der Parlamentarischen Geschäftsführer als letzter Tagesordnungspunkt auf den morgigen Freitagnachmittag gelegt. Zu diesem Zeitpunkt wird die Mehrzahl der Abgeordneten in aller Regel die Rückreise in die Wahlkreise angetreten haben.

Angesichts der Bedeutung der Thematik ist es skandalös, dass sich die Mehrheit des Parlaments nicht dazu verstehen konnte, das Thema prominent in der Sitzungswoche zu behandeln. Dies gilt umso mehr, als die Präambel des Grundgesetzes das deutsche Volk dazu verpflichtet, dem Frieden der Welt zu dienen, Artikel 25 Deutschland strikt an das Völkerrecht bindet und Artikel 26 die Vorbereitung eines Angriffskrieges unter Strafe stellt.

Der Umgang der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung mit den Fragen, die im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien stehen, ist allerdings nicht neu. Am 25. März 1999 war es nur dem beherzten Eingreifen einiger Abgeordneter zu verdanken, dass es im Parlament zu einer Debatte über den am Vortag begonnenen Luftkrieg kam, während das Bundestagspräsidium dies zu verhindern suchte.

Die Große Anfrage der PDS-Fraktion zur Kriegsbilanz vom 22. März 2000 ist von der Bundesregierung immer noch nicht beantwortet worden. Die vom Auswärtigen Amt für Februar 2001 avisierte Antwort soll sich weiter verzögern. Dies alles lässt nur einen Schluss zu: Die Bundesregierung hat Gründe, den Schleier des Vergessens über die Ereignisse im Vorfeld und während des Krieges zu breiten. Die PDS wird das nicht zulassen.

Die "Diskussion" im Bundestag hat inzwischen stattgefunden. Einen Tag später berichtet die junge welt in gewohnt kritischer Manier über diese denkwürdige Sitzung u.a. Folgendes (Autorin: Jana Frielinghaus):

Neben 20 PDS-Abgeordneten saßen am Freitag nachmittag noch ganze 27 Vertreter der anderen Parteien im Berliner Reichstag. Auf der Tagesordnung stand eine von der PDS geforderte Aktuelle Stunde zur »Haltung der Bundesregierung zu den aktuellen Berichten über die Gründe zum Eintritt in den Kosovo-Krieg«.

Während sich Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) und Außenminister Joseph Fischer (Grüne) durch ihre Staatssekretäre vertreten ließen, zeigten sich die wenigen anwesenden Parlamentarier in Höchstform. Da war keine Phrase zu billig, und kein noch so peinlicher Griff in die Mottenkiste der Propaganda des Kalten Krieges blieb dem Publikum erspart.

Unmittelbarer Anlaß für die Aktuelle Stunde waren der im Januar veröffentlichte Abschlußbericht finnischer Experten über die Untersuchung der Toten des angeblichen Massakers von Racak und die WDR-Sendung »Es begann mit einer Lüge« vom 8. Februar. ... Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Angelika Beer, und zahlreiche weitere Abgeordnete erklärten am Freitag, Racak sei keineswegs Kriegsgrund gewesen, sondern die Gesamtlage im Kosovo. Die PDS bezichtigte sie, die Vorgeschichte des Krieges außer acht zu lassen. Grünen-Fraktionssprecher Helmut Lippelt nannte die Vorgänge in Racak weiter ein Massaker. Es sei zwar nicht beweisbar, daß es sich um ein solches gehandelt habe, aber das Gegenteil sei nicht feststellbar, so die verquere Logik. Auch sei es nicht von Bedeutung, ob unter den Toten auch UCK-Kämpfer gewesen seien.

Gregor Gysi (PDS) hatte der Regierung mit Blick auf die in der WDR-Sendung gezeigten Fakten vorgeworfen, »Enten« verkauft zu haben. Die Öffentlichkeit habe ein Recht, »nicht belogen und betrogen zu werden«. Für zahlreiche Behauptungen Scharpings über Greueltaten der Serben im Kosovo habe es nie einen Beweis gegeben.

Reinhold Robbe (SPD) verstieg sich dazu, Gysi einmal mehr als Verbrecher zu diffamieren, weil der im April 1999 den Präsidenten Jugoslawiens, Slobodan Milosevic, besucht hatte. Anklagend hielt er ein Spiegel-Foto in die Höhe, das den Händedruck der beiden Politiker zeigt.

PDS-Fraktionsvize Wolfgang Gehrcke half in dieser von Sachlichkeit oder gar Selbstkritik auf seiten der Koalitionsparteien ungetrübten Debatte auch nicht der Verweis auf den Stern, der getitelt hatte, Scharping und Fischer hätten die Bevölkerung »beschwindelt, belogen und betrogen«. Den WDR-Bericht, der die Manipulation der Öffentlichkeit durch die Minister belegt, diffamierten mehrere Redner als »dubios«, »fragwürdig« und »schlecht recherchiert«. Die Autoren des Fernsehbeitrags hätten sich zu »nützlichen Idioten« der PDS und ihrer »Verschwörungstheorien« über die NATO machen lassen, war zu hören. Gehrcke wies in der Debatte darauf hin, daß keiner der aktuellen Berichte über Manipulationen während des Kosovo-Krieges bislang dementiert wurde: »Scharping hat nichts dementiert, weil er nichts dementieren kann«.

Dieter Schloten (SPD) sagte in Erwiderung auf Gehrcke, der die Situation im Kosovo vor dem NATO-Einsatz einen »grausamen Bürgerkrieg« genannt hatte, dieser Terminus dürfe nicht verwendet werden, da damit nicht eindeutig »Täter und Opfer« benannt werden könnten. Die Täterrolle wies er einmal mehr einseitig den Serben zu.
Aus: junge welt, 17. Februar 2001)

All dem, was die Herren Wimmer, Luik und Gehrcke vorgetragen haben, ist von unserer Seite eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Die Aktionen der Friedensbewegung zum zweiten Jahrestag des Beginns des NATO-Kriegs am 24. März werden daran anknüpfen können und - hoffentlich - mehr Menschen erreichen als bisher.

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