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Wieder Dutzende Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken

UNHCR: Rund 40 Tote bei Untergang von Schlauchboot / Bericht: EU setzt auf autoritäre Regime Afrikas gegen Flüchtlinge *

Berlin. Beim Untergang eines Bootes mit Menschen, die nach Europa flüchten wollten, sind im Mittelmeer nach UN-Angaben vor der libyschen Küste rund 40 Menschen ums Leben gekommen. Das Schlauchboot der Migranten sei am Mittwoch untergegangen, sagte am Donnerstag ein Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), das im sizilianischen Augusta Augenzeugenberichte von Überlebenden sammelte. Libyen ist ein Haupttransitland für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, Asien und Afrika auf dem Weg nach Europa.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk sei jetzt dabei, die Überlebenden des Unglücks zu befragen, sagte der UNHCR-Sprecher für Italien, Federico Fossi. Ihren Angaben zufolge wurden nach dem Kentern des Boots zwischen 35 und 40 Menschen vermisst. Bei einer der bisher schlimmsten Tragödien vor der libyschen Küste hatten Mitte April nach UN-Angaben etwa 800 Menschen ihr Leben verloren. Libyen ist ein Haupttransitland für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, Asien und Afrika auf dem Weg nach Europa.

Derweil will die Europäische Union einem Medienbericht zufolge verstärkt mit den autoritären Staaten Eritrea, Sudan und Ägypten kooperieren, um die viel kritisierte »Festung Europa« zu verstärken. Wie das ARD-Magazin »Monitor« am Donnerstag berichtete, sollen etwa die Institutionen in Eritrea für die Bekämpfung von Schmugglern gestärkt werden. Bei Menschenrechtsorganisationen und Abgeordneten des EU-Parlaments stießen die Pläne auf scharfe Kritik.

Wie »Monitor« unter Berufung auf vertrauliche Verhandlungsunterlagen berichtete, ist des Weiteren geplant, dass sudanesische Beamte im »Migrationsmanagement« geschult werden und das »Grenzmanagement« des Sudan verbessert wird. Darüber hinaus solle ein »Trainingszentrum« an der »Polizeiakademie in Kairo« etabliert werden. Polizisten und Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden der afrikanischen Staaten sollen zudem mit Hilfe der EU ausgebildet werden.

Die engere Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage soll am 11. und 12. November Thema eines Sondergipfels der EU mit afrikanischen Staaten in Malta sein. Der für Migration zuständige Kommissar Dimitris Avramopoulos hatte im März für eine Zusammenarbeit mit »diktatorischen Regimen« plädiert, da diese »irgendwie Wurzel des Problems« seien. »Deshalb müssen wir uns auf sie einlassen und sie vor ihre Verantwortung stellen«, sagte Avramopoulos.

Die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Selmin Çaliskan, kritisierte aber die geplante Zusammenarbeit scharf. Es sollte keine Bündnisse geben mit Regierungen, »die Menschen in brutaler Weise unterdrücken, foltern, töten«, sagte sie der ARD-Sendung »Monitor«. »Das sind dann die Bündnispartner der EU, die verhindern sollen, dass die Menschen nach Europa fliehen können.«

Auch die Europaabgeordnete Barbara Lochbihler (Grüne) kritisierte die Überlegungen. »Die EU-Abschottungspolitiker haben offensichtlich jedes Maß verloren. Ausgerechnet jene Regierungen, die für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, sollen jetzt in die EU-Flüchtlingspolitik eingebunden werden«, erklärte die Vizepräsidentin des Menschenrechtsausschusses. Es werde von Bekämpfung von Fluchthelfern gesprochen, dabei gehe es in Wahrheit um die Bekämpfung von Flüchtlingen.

Günter Burckhardt von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl zeigte sich »entsetzt« über die EU-Pläne. »Das Ziel der europäischen Politik ist es, Flüchtlinge fernzuhalten - koste es, was es wolle. Und es gibt keine Schamgrenze mehr bei der Kooperation mit einer Militärdiktatur wie in Eritrea.« Viele der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa fliehen, stammen aus dem abgeschotteten Staat in Ostafrika, der auch von Europa wegen seiner Menschenrechtspolitik scharf kritisiert wird.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 24. Juli 2015


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