Lässt sich Migration regulieren?
Prof. Felicitas Hillmann: Gescheiterte Kontrolle ist am Mittelmeer zu beobachten *
Felicitas Hillmann ist Professorin am Institut für Geografie der Universität Bremen. Die Humangeografin war an Konzeption und Organisation der internationalen Konferenz »Migration neu denken: Klimawandel, Ressourcenkonflikte und Migrations-/Flüchtlingspolitik in Europa« beteiligt, die in der vergangenen Woche in Berlin stattfand. Für das "neue deutschland" (ND) sprach Antje Stiebitz mit der Wissenschaftlerin.
ND: Warum muss man Ihrer Meinung nach »Migration neu denken«, wie es der Titel Ihrer Konferenz besagt?
Wir haben die Konferenz so genannt,
weil wir an vielen Punkten
erkennen, dass Migration die Welt
aktiv verändert und neue Geografien
hervorbringt.
Zum einen geschieht Migration
durch gesellschaftliche Entwicklungen,
ist Folge bestimmter
Zwänge oder politischer Konstellationen.
Und zum anderen ist sie
ein sozialer Prozess und formt ein
neues gesellschaftliches Gesicht.
Migration ist ein vielschichtiges,
komplexes Thema und wir versuchen
erst einmal zu verstehen, was
genau im Moment passiert. Wir
brauchen neue Ansätze und
mehrdimensionale Herangehensweisen.
An erster Stelle Ihrer Ursachenliste
steht der Klimawandel.
Spielt er tatsächlich die wichtigste
Rolle für die globale Migration?
Wir haben uns auf den Zusammenhang
von Klima und Migration
konzentriert, obwohl auch klar
ist, dass er nur eine der Entwicklungen
ist, die wir im Zuge der
Globalisierung sehen. Es handelt
sich um eine überwiegend vom
globalen Norden verursachte
weltweite ökologische Krise, deren
Auswirkungen lokal zutage
treten. Und diese Veränderungen
im Lokalen werden durch Migration
angezeigt.
Sie wollen in diesem Zusammenhang
auch die Definition von
»Flüchtling« überdenken?
Spricht man von »Klimaflüchtlingen
«, dann wird das immer mit
dem Flüchtlingsbegriff der Genfer
Flüchtlingskonvention assoziiert.
Das würde bedeuten, dass es
rechtliche Verbindlichkeiten gibt.
Deswegen verwendet man den
Begriff »Klimamigranten«. Das
sind große politische Diskurse,
rechtliche Dimensionen. Man
muss über neue Begrifflichkeiten
nachdenken, die den Entwicklungen
angemessen sind.
Die Sorge der Industriestaaten
besteht darin, all diese »Flüchtlinge
« aufnehmen zu müssen?
Man müsste sich dann in einem anderen
Maße damit beschäftigen, als
das jetzt der Fall ist. Insgesamt ist
es problematisch, dass Flüchtlinge
nicht besonders differenziert
wahrgenommen werden. Beispielsweise
spricht man von den
Flüchtlingen im Mittelmeer, dabei
sind das keine Flüchtlinge, sondern
erst einmal Migranten, die zunächst
versuchen, mit Hilfe des
Flüchtlingsstatus in Europa Fuß zu
fassen.
Sie sprechen von einem Spannungsfeld
zwischen sicherheitspolitisch
begründeter Mobilitätsund
Migrationskontrolle und gerechtigkeitspolitischen
Herausforderungen.
Ist Migration zu kontrollieren?
Ich bin mir nicht sicher, ob man
Migration regulieren kann. Es handelt
sich immer um einen sozialen
Prozess, meist verbunden mit historischen
Verknüpfungen. Soziale
Netzwerke steuern Migration sehr
viel stärker als wir uns das klar machen.
Die Vorstellung, diese Vorgänge
regulieren zu können wie
Elektrizitäts- oder Wasserströme,
in die man eine Sperre einbaut, ist
falsch. Werden stärkere Kontrollen
eingeführt, werden gerne auch
die Ausweichmanöver umfangreicher,
da entwickeln sich ganze
Migrationsindustrien. An denen
verdienen dann viele, die Migranten
profitieren nicht immer.
Können Sie Beispiele für gelungene
und eskalierende Migrationskontrolle
nennen?
Vielleicht könnte man es als gelungene
Migrationskontrolle bezeichnen,
wenn Migranten in ihren
Herkunftsorten etwas entwickeln.
Beispielsweise gibt es in Senegal
von der Diaspora organisierte
Ausbildungsprojekte. Gescheiterte
Migrationskontrolle
konnten wir im Mittelmeer beobachten.
Sind auf EU-Ebene Veränderungen
in Bezug auf die Flüchtlings-
oder Migrationspolitik notwendig?
Wir brauchen in Europa eine abgestimmte
Migrationspolitik, die
Migration nicht nur als Bedrohung
ansieht. Wir wollen keinen Alarm
schlagen, sondern wir wollten auf
unserer Konferenz genau hinsehen.
Man kann Mobilität auch positiv
werten, aber alarmistische
Vorstellungen nähren natürlich die
Idee, dass Migration eine gescheiterte
Strategie für Klimawandel
ist.
Müssen die europäischen Länder
das Potenzial der Migranten
nur besser erkennen?
Gefährlich ist, wenn erwünschte
und unerwünschte Migranten produziert
werden. Für Hochqualifizierte
macht man die Türen auf.
Damit stigmatisiert man diejenigen,
die – häufig illegal – unangenehmste
Arbeiten verrichten. Sie
sind werden unerwünscht, sobald
man etwas für sie tun müsste.
* Aus: neues deutschland, 17. Oktober 2011
Auf der Flucht vor dem Klimawandel
Mehr Extremwetterereignisse
Von Johanna Treblin **
Immer mehr Menschen verlassen ihre
Heimat, weil Umwelt- und klimatische
Bedingungen sie dazu treiben. Massenhafte
Migrationswellen hingegen
wird es nicht geben. Das war das Fazit
der internationalen Konferenz »Migration
neu denken« in Berlin.
In den kommenden Jahrzehnten
werden Extremwetterereignisse
immer häufiger – Grund ist der
Klimawandel. Wegen der globalen
Erderwärmung wird es regional
immer heftigere Niederschläge, in
anderen Gebieten der Welt mehr
Dürren geben. Auch tropische
Wirbelstürme nehmen zu und der
Meeresspiegel steigt. »Migration
wird immer häufiger die Antwort
auf diese Phänomene sein«, sagte
Cecilia Tacoli vom Internationalen
Institut für Umwelt und Entwicklung
(IIED) mit Sitz in London. Von
Millionen »Klimaflüchtlingen«, die
nach Europa und die USA auswandern,
könne allerdings nicht
die Rede sein. Die meisten Menschen
migrieren Tacoli zufolge nur
für kurze Zeit, in der Regel, um in
anderen Regionen ihres Landes
bessere Arbeitsbedingungen zu
finden – überwiegend Männer.
Allerdings: Je ärmer die Menschen,
desto weniger können sie es
sich leisten zu migrieren. »Migration
hat immer verschiedene Ursachen,
die zusammenspielen, darunter
politische, familiäre, ökonomische
«, sagte Etienne Piguet,
Professor für Geografie an der
Universität von Neuchâtel in der
Schweiz, der den Zusammenhang
zwischen Klimawandel und Migration
erforscht. Die klimabedingten
Migrationsgründe teilt er in
drei Gruppen ein. Erstens: Naturkatastrophen
wie starke Regenfälle
und tropische Hurrikans. Zweitens:
Dürre und Wüstenbildung.
Drittens: Meeresspiegelanstieg.
Obwohl sich die Zahl der Extremwetterereignisse
durch den
Klimawandel erhöhen soll, ist das
einzelne Ereignis selten direkt auf
den Klimawandel zurückzuführen,
so Piguet. Die Betroffenen sind
häufig arm und haben deshalb
kaum die Möglichkeit, weit zu reisen.
Sie fliehen nur, wenn es gar
nicht anders geht und kehren zurück,
sobald die Bedingungen es
zulassen.
Auch dort, wo Dürre und Wüstenbildung
die Lebensumstände
schwierig machen, sind die Menschen
häufig so arm, dass sie es
sich nicht leisten können, ihr Land
zu verlassen. Da Wüstenbildung
ein langsamer Prozess ist, ist der
Migrationsdruck für die Betroffenen
in der Regel im Vergleich zu
plötzlich einbrechenden Naturkatastrophen
nicht direkt spürbar.
Besonders deutlich ist der Zusammenhang
bei seiner dritten
Kategorie: »Durch den Meeresspiegelanstieg
sind die pazifischen
Inselstaaten direkt vom Klimawandel
bedroht«, sagte Piguet.
»Bereits im Laufe der nächsten
Jahrzehnte können die Inseln verschwunden
sein.« Aber das Steigen
des Meeresspiegels – auch
wenn der Prozess unumkehrbar
sei – führe nur langsam zu verschlechterten
Lebensbedingungen,
beispielsweise wenn das Meersalz
die Grundwasserspeicher durchdringt
und immer weniger trinkbares
Wasser vorhanden ist.
** Aus: neues deutschland, 17. Oktober 2011
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