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Zu Besuch in der Hölle Europas

Papst Franziskus forderte auf Lampedusa Solidarität mit Flüchtlingen

Von Anna Maldini, Rom *

Papst Franziskus hat am Montag die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa besucht. Während des kurzen Aufenthalts klagte er die Gleichgültigkeit der Menschen und die Profitsucht der Gesellschaft an.

Auch am Montag sind wieder verzweifelte Menschen auf Lampedusa gelandet: 161 Flüchtlinge kamen kurz vor Beginn des Besuches von Papst Franziskus auf der Insel zwischen Sizilien und Tunesien an und waren nach einer lebensgefährlichen Überquerung des Mittelmeers in kleinen Holzkähnen von italienischen Marinesoldaten in Thermodecken gewickelt worden. Unter der gleißenden Sonne ein seltsamer, aber alltäglicher Anblick auf Lampedusa. Schon 4000 Migranten sind in diesem Jahr nach einer riskanten Fahrt über das Mittelmeer hierher gekommen. Und die »Saison« hat gerade erst begonnen. Nach der Fahrt beginnt dann ihr zweiter Leidensweg, der sie durch menschenunwürdige Unterkünfte und Länder führt, denen sie nur eine Last sind und die versuchen, sich diese »unbequeme Fracht« irgendwie gegenseitig aufzubürden.

Für jene, die es immer wieder nicht auf sicheren Boden geschafft haben und irgendwo im Mittelmeer gestorben sind, hielt Papst Franziskus auf dem kleinen Sportplatz der Insel eine Messe ab: Der Altar war aus halb verrotteten Trümmern der Flüchtlingsboote zusammengezimmert worden und der Papst wie auch alle anderen darauf bedacht, den Besuch möglichst wenig prunkvoll zu halten. »Einen kurzen Besuch, in der größtmöglichen Diskretion« hatte der Vatikan zuvor angekündigt.

Das Oberhaupt der katholischen Kirche hatte vorher, von einigen Fischerbooten begleitet, einen Blumenkranz ins Meer geworfen, wie bei einer Seebestattung üblich. Tatsächlich kann niemand sagen, wie viele Zehntausende Männer, Frauen und Kinder in den letzten Jahren in den Fluten umgekommen sind, als sie versuchten, Elend und Verfolgung zu entkommen. Anschließend sprach der Papst mit einigen Migranten, die zur Zeit in dem permanent überfüllten Auffanglager untergebracht sind.

Während der Messe, an der praktisch die ganze Insel teilnahm, fielen die harten Worte von Franziskus, der von einer »Globalisierung der Gleichgültigkeit« sprach und fragte, wann die Menschen verlernt hätten, über das furchtbare Schicksal und den Tod anderer zu weinen. Er klagte auch an: »Die Dramen im Mittelmeer sind das Ergebnis klarer sozio-ökonomischer Entscheidungen«, erklärte der argentinische Papst. Die Wohlstandskultur führe dazu, »dass wir nur an uns selbst denken, sie macht uns gefühllos dem Aufschrei der anderen gegenüber, lässt uns in schönen Seifenblasen leben«.

Aber er dankte auch den Einwohnern von Lampedusa, die seit Jahren mit den Flüchtlingen solidarisch sind und ihnen so weit wie möglich bei ihrer Ankunft im »gelobten Europa« helfen: Er wandte sich persönlich an Bürgermeisterin Giusi Nicolini, die immer wieder versucht, die Gleichgültigkeit zu bekämpfen und ganz Europa zur Verantwortung zu rufen. Ende 2012 hatte Nicolini in einem offenen Brief auf das Leid der Flüchtlinge und der 6000 Bewohner Lampedusas aufmerksam gemacht. »Wenn Europa aber so tut, als seien dies nur unsere Toten, dann möchte ich für jeden Ertrunkenen, der mir übergeben wird, ein offizielles Beileidstelegramm erhalten. So als hätte er eine weiße Haut, als sei es unser Sohn, der in den Ferien ertrunken ist.« Im März sprach sie angesichts steigender Flüchtlingszahlen vom »Ausnahmezustand«.

Der Besuch des Papstes in Lampedusa hat zweifellos großen Symbolcharakter. Es handelt sich um die erste Reise von Franziskus überhaupt seit seinem Amtsantritt im März. Bisher haben sich kaum hochrangige Politiker auf die Insel getraut – es sei denn sie wollten wie Silvio Berlusconi ihren ramponierten Ruf aufpolieren.

Vertreter von Flüchtlingsorganisationen würdigten die Lampedusa-Reise des Papstes als wichtiges Zeichen. Der flüchtlingspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Josef Winkler, sprach von einem »starken Signal« gegen die europäische Abschottungspolitik. LINKE-Vorsitzende Katja Kipping forderte eine »humanere und liberalere Flüchtlingspolitik«.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 9. Juli 2013


Päpstliche Geste

Von Katja Herzberg **

Signal, Geste, Appell – die Reaktionen auf die Reise von Papst Franziskus zu den toten und überlebenden Flüchtlingen auf der Insel Lampedusa fielen durchweg positiv aus. Doch geäußert haben sich vor allem Linke, Liberale und Religionsvertreter. Die Verantwortlichen für das Sterben im Mittelmeer – selbst wie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich der Kirche in Rom angehörend – schwiegen lieber.

Denn wie Franziskus bei seiner Messe richtig darstellte, ist das Leid vor und auf Lampedusa kalkuliert. Mit einer Politik für die Menschen hat das europäische Migrations- und Asylrecht nichts zu tun. Unterbringung in maroden und mit Stacheldraht umzäunten Auffanglagern oder Abschiebegefängnissen sollen genauso für Abschreckung sorgen wie die immer schärfere Überwachung der EU-Außengrenzen mit Frontex-Patrouillen und Drohnen. Das Unrecht ist in Normen wie in der Dublin-II-Verordnung geregelt, das Recht auf Flucht so gut wie aberkannt.

Ein Gebet, ein Besuch, noch so gut gemeinte Zeichen der Solidarität des Papstes reichen daher nicht, um die Situation von Flüchtlingen zu verbessern. Auch die zeitweise Unterstützung durch Kirchenasyl wie in Hamburg oder Wien genügt nicht. Schließlich geht es nicht um Nächstenliebe, sondern um das Recht eines jeden darauf, sein Leben dort zu verbringen, wo er oder sie möchte. Um die Kriminalisierung und menschenunwürdige Behandlung von Flüchtlingen zu beenden, braucht es nicht Gottesbeistand, sondern vor allem gesunden Menschenverstand.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 9. Juli 2013 (Kommentar)


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