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Wem gehört das Meer?

Falsche internationale Fischereipolitik sorgt für Flüchtlingsströme

Von Ulf Buschmann, Bremen *

Eine Veranstaltung in Bremen beleuchtete den Zusammenhang von Migration und Meerespolitik.

Das Meer ist weit und es gewinnt in der internationalen Politik immer mehr an Bedeutung - als Verkehrsweg und als Rohstofflieferant. Doch dass die wirtschaftliche Ausbeutung zum Beispiel durch die Staaten der Europäischen Union direkte Auswirkungen auf Flüchtlingsströme beziehungsweise Zuwanderungsbewegungen hat, ist vielen Menschen nicht bewusst.

Dies soll sich in Zukunft wenigstens etwas ändern. Meeres- und Nord-Süd-Politik müssten stärker ineinandergreifen, waren sich die Teilnehmer eines Workshops mit dem Titel »Wem gehört das Meer?« einig, zu dem der Verein für Internationalismus und Kommunikation am Sonnabend (8. August) nach Bremen geladen hatte. Dass beide Politikfelder zusammengehören, macht vor allem die Diskussion über die Piraterie deutlich.

Wie eng Nahrungsmittelknappheit, wirtschaftliche Ausbeutung und Flucht verwoben sind, machte Sonja Tesch von der Hafengruppe Hamburg deutlich. Sie präsentierte Zahlen der UN-Ernährungsorganisation FAO, laut denen ein Großteil der lokalen Fischerei vor den Küsten des Afrikas zusammengebrochen sei. Zu diesem Desaster ist es laut Tesch gekommen, weil die EU mit zahlreichen afrikanischen Staaten Abkommen zum Abfischen ihrer Hoheitsgewässer geschlossen habe. Heimischen Fischern wurde dadurch die Ernährungsgrundlage entzogen. Viele hätten daher versucht, in Europa ihr Auskommen zu finden. Tesch hob hervor, dass rund 15 Prozent derer, die versuchten, in die alte Welt zu kommen, Fischer seien.

Nach Überzeugung von Walter Feldt vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) ist der Seetransport heute eng eingebunden in die internationalen Warenströme. Wo was produziert werde, spiele keine Rolle mehr. Vor allem im Containerverkehr befahren immer größere Schiffe die Meere. Der notwendige Ausbau der Häfen ziehe den Aus- und Neubau von Straßen nach sich. Beides sei auf immer mehr Wachstum ausgelegt. Ob dieses angesichts der Wirtschaftskrise Sinn mache, müsse bezweifelt werden, so der Tenor von Feldts Referat.

Schneller entladen, kürzer an der Pier liegen - dieses Credo der internationalen Seeschifffahrt gehe meistens zu Lasten der Besatzungen, erklärte Heide Gerstenberger, ehemalige Professorin der Bremer Universität. Sie skizzierte eine Entwicklung, die in der breiten Öffentlichkeit meist vergessen werde: das Anheuern von Besatzungen aus sogenannten Billiglohnländern und die Einführung der internationalen Schiffsregister, besser bekannt als Zweitregister. Auch wenn dies jetzt etwas zurückgeschraubt werde, habe sich an der sozialen Lage der Seeleute kaum etwas geändert, im Gegenteil. Hätten sie durch die langen Liegezeiten vor einigen Jahrzehnten wenigstens noch die Möglichkeit gehabt, Land und Leute kennenzulernen, verbrächten sie heute Monate auf dem Schiff, so die Expertin, die sich seit Jahrzehnten intensiv mit dem Thema »Arbeit auf See« befasst. Während deutsche Seeoffiziere und »Schiffsmechaniker« sichere Arbeitsplätze hätten, seien die einfachen Seeleute sozial kaum abgesichert. Und wer sich für höhere Heuern einsetze, könne davon ausgehen, seinen Job zu verlieren.

* Aus: Neues Deutschland, 10. August 2009


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