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Krieg gegen Flüchtlinge

Abschottung und Ausgrenzung ein Grundmuster der deutschen Anti-Migrationspolitik

Von Ulla Jelpke*

Der Bundestag hat am Donnerstag wieder einmal einen Einsatz der Bundeswehr im Ausland beschlossen. Neu ist die Begründung des Verteidigungsministers Franz Josef Jung für die Militäraktion im Kongo: man müsse »der wachsenden Migration von Afrika nach Europa aktiv begegnen«. Dieser Zynismus drückt unverblümt die Grundidee der deutschen Anti-Migrationspolitik aus: Abschottung und Ausgrenzung!

Diese Politik wird erfolgreich in die EU exportiert. Die BRD hat mit dem System der »sicheren Herkunftsländer« die Zahl der Asylbewerber auf einen historischen Tiefstand gedrückt. Wer aus einem solchen Land kommt, hat keinen Anspruch auf ordentliche Prüfung seines Asylantrags. Die EU-weite Einführung derselben Regelung war auf deutsche Initiative hin Thema des EU-Innenministerrats am Donnerstag und Freitag in Luxemburg. Zur Diskussion stehen afrikanische Staaten wie Benin, Botswana, Ghana, Kap Verde, Mauritius, Mali, Senegal und Tansania. Flüchtlinge aus diesen Ländern haben bald keine Chance mehr, in einem EU- Mitgliedsstaat Asyl zu erhalten. Dagegen sieht ein Plan der EU-Kommission für 2007 eine Richtlinie für die Zuwanderung »Hochqualifizierter« vor. Es gilt das Nützlichkeitsprinzip: Arbeitnehmer, die den Konzernen genehm sind, dürfen kommen, Menschen, die Zuflucht und Schutz suchen, werden abgewehrt.

Schon die EU-Innenministertagung am 13. Januar 2006 sprach sich für die »Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten in besonderen migrationspolitischen Drucksituationen« aus. »Rapid Reaction Teams« sollen bei der gemeinsamen Abwehr von Flüchtlingen zusammenwirken. Die BRD bietet allen EU-Ländern den Zugriff auf die beim Bundesamt für Migration vorhandene Datenbank mit Informationen über die Herkunftsländer an. Das Ziel ist klar: Schaffung einheitlicher Standards für eine möglichst effiziente Zurückweisungspraxis. Ausdrücklich vereinbart wurde auch die Fortsetzung gemeinsamer »Rückführungsflüge«.

Zu diesem Trend in der EU passt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai. Die Richter ließen es gegen den klaren Wortlaut des Artikels 16 GG zu, dass die deutsche Staatsangehörigkeit einem Betroffenen gegen dessen Willen nachträglich entzogen werden kann, selbst wenn er dann staatenlos wird. Fragebögen über staatsbürgerliches Wissen erweisen sich damit als Falle, später eine Einbürgerung wegen unrichtiger Antworten rückgängig zu machen. So wird mit subtilen Mittel Ausgrenzung von Migranten betrieben. Dagegen ist kein ernsthafter Versuch erkennbar, die offenkundigen Mängel des Zuwanderungsgesetzes zu beheben. Die Lage der Flüchtlinge aus humanitären Gründen ist seit der Regierungszeit von SPD und Grünen immer schwieriger geworden. Asylbescheide werden nach über einem Jahrzehnt massenweise widerrufen.

Kettenduldungen führen zu Unsicherheit und Perspektivlosigkeit; es gibt sie noch immer. Geduldete erhalten keinen Zugang zum Arbeitsmarkt und werden mit Almosen abgespeist. Die unberechtigten Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention bestehen fort; das verringert die Chancen von Kindern in Asylverfahren. An das Thema der »Illegalisierten« wagt sich das Parlament nur zaghaft heran. Legalisierungen wie in Spanien oder Portugal sind in der BRD ein Tabu.

Die Bilanz deutscher und europäischer Flüchtlingspolitik ist düster. Die Linkspartei streitet gemeinsam mit humanitären- und Migrantenorganisationen für einen radikalen Kurswechsel zugunsten von Weltoffenheit und Humanität.

* Die Autorin ist innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

Aus: Neues Deutschland, 2. Juni 2006



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