Recht auf Asyl bei religiöser Verfolgung
EU-Gericht: Zur Glaubensfreiheit gehört auch das öffentliche Bekenntnis *
Menschen müssen ihren Glauben
auch öffentlich leben können.
Scharfe Sanktionen gegen ein solches
öffentliches Bekenntnis gelten
als politische Verfolgung, wie am
Mittwoch der Europäische Gerichtshof
in Luxemburg entschied.
EU-Staaten
müssen Ausländer als
Flüchtlinge anerkennen, wenn
diese in ihrer Heimat in schwerwiegender
Weise religiös verfolgt
werden. Dies hat der Europäische
Gerichtshof am Mittwoch in
Luxemburg festgestellt. Er antwortete
damit auf eine Frage des
deutschen Bundesverwaltungsgerichts.
Dieses wollte wissen, welche
Art von Verfolgung die Anerkennung
als Flüchtling rechtfertige.
Dabei ging es um zwei Personen
aus Pakistan, die der Ahmadiyya-
Gemeinschaft angehören:
Diese versteht sich als islamische
Reformbewegung, wird aber in
Pakistan verfolgt. Ahmadis, die
sich als Muslime bezeichnen, droht
drei Jahre Haft. Sollten sie den
Namen Mohammeds »verunglimpfen
«, so droht ihnen in Pakistan
sogar die Todesstrafe.
Die EU-Richter entschieden,
Einschränkungen der Religionsfreiheit
müssten »hinreichend
schwerwiegend« sein, um eine
Verfolgung darzustellen. Es dürfe
aber kein Unterschied zwischen
privater und öffentlicher religiöser
Betätigung gemacht werden.
Der »subjektive Umstand«, dass
für einen Betroffenen eine bestimmte
religiöse Praxis in der Öffentlichkeit
wichtig sei, sei »ein relevanter
Gesichtspunkt« bei der
Beurteilung der Gefahr.
Wenn feststehe, dass eine »tatsächliche
Gefahr einer Verfolgung
« drohe, müsse ein Antragsteller
als Flüchtling anerkannt
werden. Ihm dürfe nicht von EU-Staaten
zugemutet werden, auf
bestimmte Glaubensbekundungen
zu verzichten.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 06. September 2012
Sicher vor Abschiebung?
Marei Pelzer ist rechtspolitische Referentin bei der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl **
nd: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat gestern den Fall von zwei Asylbewerbern aus Pakistan entschieden. Sie laufen Gefahr, in ihrem Heimatland wegen ihres Glaubens verfolgt und bestraft zu werden. Warum ist das Urteil aus deutscher Sicht besonders?
Peltzer: Die beiden Männer waren mit ihren Asylanträgen vor dem zuständigen Bundesamt gescheitert. Damit teilten sie das Schicksal vieler Asylsuchender, die ihr Land verlassen, weil sie dort nicht gefahrenfrei ihre Religion ausüben können. Von der deutschen Rechtsprechung wurde es bisher als zumutbar angesehen, dass sich Betroffene der öffentlichen Religionsausübung enthalten, um nicht verfolgt zu werden. Die Religion sollte also im stillen Kämmerlein praktiziert werden. Der EuGH hat diese Rechtsprechung jetzt als nicht vereinbar mit dem europäischen Recht erklärt. Er hat festgestellt, dass nicht nur ein Eingriff in den sogenannten Kernbereich der Religionsfreiheit, sondern jeder denkbare Eingriff, wenn er schwerwiegend ist, anzuerkennen ist.
Das heißt, die Pakistaner sind vor Abschiebung sicher?
Sie haben nun einen Anspruch auf asylrechtlichen Schutz, wenn ihnen wegen ihres öffentlichen Religionsbekenntnisses Verfolgung droht.
Ist das Urteil auf den aktuellen Fall beschränkt oder hat es darüber hinaus Bedeutung?
Es ist für alle Mitgliedstaaten der EU verbindlich, denn europäisches Recht ist vorrangig gegenüber nationalem Recht. Von der Sache her wurde ein Grundsatzurteil getroffen, das als Meilenstein für das europäische Asylsystem bezeichnet werden kann.
Aus religiösen Gründen Verfolgte müssen also grundsätzlich keine Angst mehr haben, von deutschen Behörden »rückgeführt« zu werden?
Man muss Recht und Praxis unterscheiden. In der Praxis stehen Flüchtlinge weiterhin vor vielen Problemen. Im Asylverfahren glaubt ihnen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oftmals nicht, dass sie zum Beispiel zum christlichen Glauben konvertiert sind.
Aus völkerrechtlicher Sicht ist der vorliegende Fall eigentlich klar: Eine Abschiebung in einen Staat ist verboten, wenn dort das Leben oder die Freiheit des Betroffenen wegen seiner Religion bedroht ist. Mit ihrer restriktiven Flüchtlingspolitik verstößt die Bundesrepublik gegen diesen Grundsatz, oder?
Aufgabe des EuGH war es, die Genfer Flüchtlingskonvention, auf die Sie anspielen, für Europa zu interpretieren und auszulegen. Deutsche Gerichte haben die Konvention oft zum Nachteil der Asylsuchenden interpretiert. Der Gerichtshof hat diese Rechtsprechung nun zurückgewiesen. Die Behörden können nicht mehr sagen, diese Aktivitäten gehören zum Kernbereich einer Religion und andere nicht.
Wird das Gerichtsurteil Auswirkungen auf Asylverfahren von Menschen haben, die nicht aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit, sondern aus anderen Gründen verfolgt werden?
Voraussichtlich ja. Auch Menschen, die zum Beispiel wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden, sollte es nicht länger zugemutet werden, sich in den eigenen vier Wänden verstecken zu müssen, um einer Bestrafung zu entgehen. Auch aus diesem Grund könnte die gestrige Entscheidung von großer Bedeutung sein.
** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 06. September 2012
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