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"Schicksalswoche" für Menschenrechtsrat

UN-Gremium streitet über Prinzipien und Regeln seiner Arbeit

Von Olaf Standke *

Jean Ziegler, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, hat gestern im Menschenrechtsrat seinen Report vorgestellt. Im Mittelpunkt der 5. Tagung, die jetzt in Genf begann, steht jedoch die künftige Arbeitsgrundlage des neuen UN-Gremiums.

Manche sprechen schon von einer Schicksalswoche im monumentalen »Palast der Nationen«, und ein Bericht wie der von Jean Ziegler hat es da schwer, Aufmerksamkeit zu finden. Dabei ist das Problem global und gravierend: Die Zahl der Hungernden stieg seit 1996 kontinuierlich auf weltweit 854 Millionen. 80 Prozent der chronisch Unterernährten sind Kleinbauernfamilien und Landlose. Deshalb fordert nicht nur die internationale Menschenrechtsorganisation FIAN den UN-Menschenrechtsrat auf, deren Rechte anzuerkennen und besser zu schützen. Dieses Thema gehöre dringend auf die Tagesordnung am Genfer See. Doch ein Jahr nach Ratsgründung scheinen die 47 Mitgliedstaaten dort vor allem damit beschäftigt zu sein, die Auflage der Vollversammlung der Vereinten Nationen zu erfüllen, sich bis zum 18. Juni auf Richtlinien für ihre Arbeit zu einigen.

Alfonso de Alba, der mexikanische Ratspräsident, hatte zu Beginn der Sitzung an die Delegationen appelliert, die Meinungsunterschiede über die Prinzipien und Regeln des neuen Gremiums zu überwinden. »Wir müssen konkrete Lösungen finden. Das braucht Flexibilität und politischen Willen.« De Alba hatte in der Vorwoche nach monatelangen Verhandlungen in Arbeitsgruppen einen Kompromisstext mit mehreren offenen Punkten vorgelegt. Dabei geht es um sensible Fragen wie die Mandate der UN-Berichterstatter für zu kontrollierende Länder, 40 spezielle Verfahren zur regelmäßigen Prüfung des Umgangs mit den Menschenrechten, den Mechanismus für Klagen, den ständigen Kalender des Rates. Und während in anderen UN-Gremien westliche Länder das Sagen haben, dominieren hier afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Mitgliedstaaten, die sich gegen eine Bevormundung durch die reichen Industriestaaten zu wehren versuchen. Vor diesem Hintergrund entstand auch nur eine vage gehaltene Resolution zur Lage in der sudanesischen Provinz Darfur.

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Louise Arbour, verteidigt das System der Sonderuntersuchungen von Staaten. Sie seien »ein entscheidendes Element für den Schutz der Menschenrechte und eine der wichtigsten Erbschaften der (alten Menschenrechts-) Kommission«. Die war mit viel Kritik zu Grabe getragen worden, weil sich die verschiedenen Interessengruppen blockierten und eine wirkungsvolle Arbeit kaum noch möglich war. Der Völkerrechtler Simon Chesterman nannte diese UN-Kommission einmal den »größten Papierkorb der Geschichte».

Nun sperren sich China und andere Länder gegen die von den EU-Staaten unter Vorsitz der deutschen Ratspräsidentschaft geforderten weit reichenden Kompetenzen des Nachfolgeforums. Sie wollen, dass allein die Regierungen den Rat über die Situation in ihren Ländern informieren und nicht unabhängige Fachleute oder nichtstaatliche Organisationen. Das betrifft auch die so genannte Universal Peer Review, mit dem sich die Ratsmitglieder gegenseitig auf eine vorbildliche Menschenrechtspraxis überprüfen sollen – als Voraussetzung für ihr Mandat. Peking plädiert zudem dafür, dass einzelne Staaten nicht wie vorgesehen mit einfacher, sondern nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit angeprangert werden dürfen. Blockfreie Staaten möchten die Berichterstatter über die Lage der Menschenrechte am liebsten ganz abschaffen, weil sie ihre politische Instrumentalisierung befürchten.

Trotzdem wollen Beobachter in Genf nicht pauschal Washingtoner Vorwürfen folgen und den angeblich mit »Schurkenstaaten« verseuchten Rat schon jetzt für gescheitert erklären. Diplomaten loben den offenen Gedankenaustausch. Das neue Gremium tage häufiger, und die Berichte der Sondergesandten würden seriöser diskutiert, »als das in der Menschenrechtskommission je möglich war«, so der Schweizer Jurist Walter Kälin. Und die USA, die aus gutem Grund erst gar nicht in der UN-Vollversammlung für eine Mitgliedschaft kandidiert haben, müssen sich die Kritik gefallen lassen, mit ihrer Anti-Terrorpolitik selbst massiv Menschenrechte zu verletzen – wie auch der jüngste Bericht des Europarates zu den CIA-Geheimgefangenen zeigt.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Juni 2007


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