Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Abu Graib und Guantánamo

Ein Interview mit dem Menschenrechts-Anwalt Eberhard Schultz

Die schockierenden Bilder und Berichte aus dem US-Gefangegenlager Abu Graib in Irak haben den Blick auch wieder auf Guantánamo gelenkt, jenen US-Stützpunkt auf Kuba, wo die US-Armee seit dem Afghanistankrieg Ende 2001 mehrere hundert Gefangene festhält - ohne rechtlichen Beistand, ohne Kontakt zur Außenwelt.

Der Menschenrechts-Anwalt Eberhard Schultz hat einen längeren Beitrag zu Guantánamo verfasst. Der erste Teil erschien in der Mai-Ausgabe der "Blätter für deutsche und internationale Politik", ein gekürzter Vorabdruck erschien in der Frankfurter Rundschau vom 22.04.04 auf der Dokumentationsseite. Der Teil zu Kubas Haltung erschien in der Zeitschrift "junge Welt" vom 27.04.04.
Der vollständige Beitrag ist auf der Homepage von Eberhard Schultz als pdf-Datei herunterzuladen: http://www.menschenrechtsanwalt.de/.



Wir haben den Text ebenfalls als originalgetreue pdf-Datei in unserem Angebot:

Endstation Guantánamo

Ein aktueller Beitrag zu Guantanamo mit den rechtlichen Hintergründen und Kubas Haltung [pdf-Datei]



Im Folgenden dokumentieren wir ergänzend ein Interview, das im "Neuen Deutschland" mit dem Autor des Beitrags "Endstation Guantánamo" erschien.

"Es gibt eine Verbindung von Abu Graib und Guantanamo"

Interview mit dem Rechtsanwalt Eberhard Schultz, der vor allem im Bereich Asylrecht und Menschenrechte tätig ist und sich derzeit mit der "Endstation Guantanamo" beschäftigt.
Interview: Peter Nowak

ND: Zur Zeit machen Schlagzeilen um folternde US-Militärs im irakischen Gefangenenlager Abu Ghraib die Runde. Gibt es Parallelen zum US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba?

Eberhard Schultz: Ich sehe sie. Seit dem 11.09.2001 wurden die Handschuhe ausgezogen, wie es ein früher CIA-Direktor formuliert hat. Zu Staatsfeinden erklärte Gefangene sollen nicht nur wie schon bisher befreundeten, für ihre Foltermethoden berüchtigten Staaten, zwecks verschärftem Verhör im Beisein von US-Spezialisten überstellt werden; jetzt werden offenbar US-Militärs und deren private Sicherheitsdienste zunehmend als Folterknechte eingesetzt, um "terroristische Parasiten" (George W. Bush) zu bekämpfen.

Sie sprechen im Zusammenhang von Guantanamo von einem dramatischen Verlust von Rechtstaatlichkeit. Wo liegt die besondere Qualität dieses Gefangenenlagers?

Eberhard Schultz: Für die US-Administration handelt es sich bei den Gefangenen um sogenannte illegale Kämpfer, die in einem völlig rechtsfreien Raum jahrelang in vollständiger Isolation gefangen gehalten werden - ohne jeden Kontakt zur Familie, Freunden oder einem Rechtsanwalt unter unbeschreiblichen Haftbedingungen. Tatsächlich handelt es sich eindeutig um ehemalige Kriegsgefangene. Ehemalige, weil sie nach Beendigung der Feindseligkeiten längst hätten repatriiert werden oder wegen strafrechtlicher Vergehen vor ein ordentliches Gericht gestellt werden müssen. Der Status des illegalen Kämpfers ist dem humanitären Kriegsvölkerrecht unbekannt, also ein weiterer Versuch der US-Administration, das geltende internationale Recht auszuhebeln. Kriegsgefangene aber haben nach den Genfer Konventionen bestimmte Standards und verbindlich geregelte Privilegien, so auch der Standpunkt des Internationalen Roten Kreuzes und der maßgeblichen Menschenrechtsorganisationen, u.a. Amnesty international.

Wie ernst ist die Kritik der EU an den Praktiken in Guantanamo zu nehmen?

Eberhard Schultz: Im Herbst letzten Jahres hat das EU-Parlament nach einer erfreulich deutlichen Verurteilung von "Guantanamo" ausgerechnet den EU-Ratspräsidenten Berlusconi aufgefordert, bei den USA ein rechtsstaatliches Verfahren einzufordern. Auch der Protest des Parlaments vom März 2004 blieb praktisch folgenlos. In der diesjährigen Sitzung des UN- Menschenrechtsausschusses in Genf sollte Guantanamo keine Rolle spielen. Als Kuba eine Resolution zu den dortigen Haftbedingungen einbrachte und die USA um Untersuchung und eventuelle Maßnahmen ersuchte sowie der UN-Sonderberichterstatter zur näheren Untersuchung aufgefordert werden sollte, waren es auch die EU-Staaten, die Druck auf Kuba und andere Länder ausübten, den Entwurf nicht zur Abstimmung zu stellen.

Wo sehen Sie Kräfte, die in dieser Frage der Bush-Administration Paroli bieten und eine Auflösung des Lagers herbeiführen könnte?

Eberhard Schultz: In den USA selbst wachsen Kritik und Protest von Bürgerrechtsorganisationen und der Antikriegsbewegung bis hinein in das Establishment, das wohl zu Recht befürchtet, die "eigenen Jungs" könnten in den globalen Kriegen ähnlich behandelt werden. In den europäischen Ländern und der weltweiten Antikriegs- und Antiglobalisierungsbewegung muss das Thema breit diskutiert und zur Unterstützung des legitimen Widerstandes auch im Irak führen. In dem Sinne hoffe ich, dass die Endstation Guantanamo sich auch gegen die weltweiten Kriegskräfte wenden könnte.

Sie zitieren Völkerrechtler, die von einer Verletzung des Pachtvertrages gegenüber Kuba durch die Errichtung des Lagers sprechen. Welchen praktischen Wert hat diese Rechtsposition?

Eberhard Schultz: Nach dem Vorschlag eines früheren Sekretärs des UNMenschenrechtsausschusses könnten "die strittigen Fragen (zu Guantanamo) durch eine bindende Entscheidung oder durch einen Schiedsspruch des Internationalen Gerichtshofs" in Den Haag auf Antrag der UN geklärt werden. Wie die Entscheidung zu Nicaragua gegen die USA im letzten Jahrhundert gezeigt hat, könnte dies zu einer historischen Niederlage der USA führen und die Position der Entwicklungsländer insgesamt stärken

Ist Guantanamo nur ein Problem der USA oder gibt es Europa ähnliche Entwicklungen?

Eberhard Schultz: Eine genauere Untersuchung der Terrorismus-Verfolgung bei uns in der Vergangenheit zeigt schon erhebliche rechtsstaatliche und menschenrechtliche Defizite, u.a. hinsichtlich der Haftbedingungen. Nach den Anschlägen vom 11.09.2001 sind die früheren rechtsstaatlichen Schranken offiziell abgebaut worden. Was bei einem größeren terroristischen Anschlag - von wem auch immer - zu erwarten ist, lässt die Debatte um die Zulässigkeit der Folter bei uns erahnen.

Aus: Neues Deutschland, 5. Mai 2004


Zurück zur Seite "Menschenrechte"

Zur Irak-Seite

Zurück zur Homepage